Walter Gropper berichtet von seinen Erfahrungen als Chorleiter, vor allem aber aus seinem Arbeitsfeld im C3-Kurs.
Die C3-Ausbildung ist die anspruchsvollste Chorleiterausbildung, die der Schwäbische Chorverband durchführt.
Hier werden Chorleiter als staatlich anerkannte Chorleiter im Nebenberuf ausgebildet und auf eine eventuelle weitere Laufbahn über die Ausbildungsschienen der Bundesakademien bis hin zur Musikhochschule vorbereitet. Auch in diesem Kurs hat das Thema Programmgestaltung einen hohen Stellenwert:
Ein Überblick über die Themen
Zum Unterrichtsfach Musikgeschichte im C 3 – Kurs gehört der Teilbereich „Programmgestaltung“. Zur Abschlussprüfung müssen die Absolventen ein Musterprogramm vorlegen, das den Kriterien standhält, die im Unterricht besprochen werden. Wie zu allen Unterrichtseinheiten bekommen die Kursteilnehmer auch hierzu Merkblätter (s. u.), die aber im Gegensatz zu den musikgeschichtlichen Themen mit Leben gefüllt werden müssen. Themen wie „Madrigal“ oder „Messe“ kann man „schön brav“ lernen und bei schönen Musikbeispielen sogar genießen, aber um gute Konzertprogramme zu erstellen, bedarf es einer großen Erfahrung, die man sogar in einem einjährigen Kurs nur skizzieren kann.
Um es offen zu sagen: die Seminaristen haben also vor dieser Aufgabe großen Respekt! Diese Erfahrung ist eben nicht unterrichtbar, lediglich die Rahmenbedingungen können dargelegt und in den Merkblättern festgehalten werden. Übrigens: Auch ich als Dozent in diesem Bereich tue mir einigermaßen schwer, Programme objektiv zu bewerten. Ich weiß ja, wie vielfältig der Musikgeschmack ist und darf mich nicht an meinem eigenen orientieren. So bleibt für eine objektive Beurteilung nur die Beachtung der Richtlinien, wie sie unten vorgestellt werden.
Jeder Prüfling und eigentlich jeder Chorleiter muss sich also fragen lassen, ob seine Programmgestaltung den Maßgaben standhält (wobei es natürlich für erfahrene Chorleiter auch andere Gestaltungskriterien geben kann, aber ein Gestaltungswille muss erkennbar sein!). Für die Programmgestaltung ist es keine „Kunst“ Händels „Messias“ aufzuführen, aber ein gutes Programm mit vielen kleineren Chorsätzen stimmig und spannend zu machen, ist weitaus schwieriger. Und letzteres sollte unser aller Ziel sein: auch mit einfachen und kleinen Bausteinen ein interessantes Ganzes zu erstellen.
Merkblatt „Programmgestaltung“
Vorbemerkung: Das Konzertprogramm ist die Visitenkarte des Chorleiters. Es spiegelt alle seine Kompetenzen wider, die er mit seinem Chor umsetzen und in einem Konzert zum Vortrag bringen kann. Entscheidend ist also nicht die künstlerische Stufe eines Chores, sondern was der Chorleiter aus seinem „Material“ macht und wie er dies so spannend wie möglich präsentiert. Um so eine musikalische Spannung im Konzert zu erzeugen, bedarf es, nach der primären Leistung der Einstudierung, auch der gekonnten Programmgestaltung, einer sekundären Leistung, der in unserem Fall (Kurs- und Prüfungsthema) eine Primärrolle im Sinne einer hohen Aufmerksamkeit zukommen soll.
Zweimal „10 Gebote“ für ein stimmiges Konzertprogramm
Vielleicht werden erfahrene Chorleiter eigene Gestaltungsgrundsätze anwenden, im Kern wird sich aber in jedem Programm der „rote Faden“ finden lassen der es stimmig macht. Und wenn folgende Kriterien selbstverständlich und simpel anmuten, werden sie leider in der Praxis und im seminarrelevanten Musterprogramm allzu oft außer Acht gelassen.
I. „10 Gebote“ zur Äußeren Gestaltung des Programmheftes
1. Format: Empfehlenswert ist ein gefaltetes DIN A 4 Blatt, das dann ein vierseitiges DIN A 5 Format ergibt. Raffiniertere Falt-ideen können apart sein, dürfen aber nicht labyrinthisch angelegt sein.
2. Titel: Auf der ersten Seite sollen der Veranstalter (Chorname), das Thema (Motto), der Veranstaltungsort und die Uhrzeit stehen. Ein passendes Bild oder Grafik zum Thema oder Veranstaltungsort ist möglich. Achtung: Unbedingt das Urheberrecht beachten!
3. Aufteilung Innen: Die beiden Innenseiten enthalten die Programmabfolge. Linksbündig die Musiktitel, daneben mit entsprechendem Abstand wieder linksbündig die Komponistennamen (mit Vornamen und Lebensdaten, letztere brauchen bei einer Wiederholung nicht mehr aufgeführt werden). Die Beiträge sollten gleichmäßig beidseitig verteilt werden, allerdings darf ein Konzertblock nicht durch den Seitenwechsel unterbrochen werden (am besten wird dieser durch eine Konzertpause geteilt). Wenn genügend Platz ist, können die Textdichter (evtl. unter dem Liedtitel) und bei den Komponisten ggf. auch das Arrangement genannt werden.
4. Rückseite: Die Rückseite nennt die Ausführenden und kann bei Platzreserve noch Gedanken zum Konzert enthalten (nach Möglichkeit keine Firmen oder Eigenwerbung).
5. Lesbarkeit: Oberstes Gebot ist eine gute Leserlichkeit (auch bei schlechten Lichtverhältnissen), die Schriftgröße, die Papier-farbe usw. müssen entsprechend angepasst werden.
6. Papier: Nicht an der Papierqualität sparen! Das Programm sollte gut in der Hand liegen und nicht knistern. Die Papierfarbe kann sich dem Konzertmotto anpassen, sollte aber den Text gut abbilden.
7. Weniger ist mehr: Ein PC erlaubt ja unzählige Schriftarten und -größen. Das darf aber auf keinen Fall zu einer grafischen Spielwiese verführen! Schriftgrößen müssen konsequent durchgehalten (z. B. für Binnenüberschriften, Komponistennamen und Titel) und sparsam eingesetzt werden; möglichst bei einem Schrifttyp bleiben. Klassische Klarheit ist besser als verwirrende Vielfalt.
8. Keine Spielereien: Verzichten Sie auf grafische Spielereien wie Notenschlüssel oder Piktogramme; auch die „Lyra“ wirkt recht antiquiert.
9. Liedtexte? Eine Frage kann nicht eindeutig beantwortet werden: Sollen Texte von Chorsätzen abgedruckt werden? Natürlich ist der Text wichtig, aber die Wiedergabe sprengt den Rahmen eines Konzertprogramms, sofern man nicht ein Programmheft anlegen will. Letzteres verführt den Konzertbesucher zu sehr, sich eher mit dem Lesen als mit dem Hören zu beschäftigen; die Köpfe stecken mehr im Heft als bei den Ausführenden. Deshalb empfiehlt sich eine gute Moderation, bei der Inhalte und andere Informationen in den Gesangsverlauf eingebunden werden können; bei guter Rhetorik, klugen und pfiffigen Texten, vielleicht sogar kleinen Aktionen, ist dies eine wunderbare Abwechslung zur Musik.
10. Mehrfachnutzen: Die Titelseite des Programms lässt sich gut zum Plakat vergrößern (noch Ausführende hinzufügen) oder zum Flyer verkleinern.
II. „10 Gebote“ zur inhaltlichen Gestaltung
Wenn man die äußere Gestaltung fähigen Chormitgliedern oder einem Team überlassen kann (plus „Endabnahme“ durch den Chorleiter), so liegt die inhaltliche Konzeption allein in den Händen des Dirigenten. Vorsitzende oder der Beirat, vielleicht auch kompetente Sängerinnen und Sänger dürfen natürlich Vorschläge machen und Ideen einbringen, aber die letzte Entscheidung liegt kompromisslos beim Chorleiter. Und diese Arbeit beginnt lange, lange vor der ersten Probe (am besten am Tag nach dem vorhergehenden Konzert!) und da sollte die Mehrzahl der Konzertstücke wenigstens „im Kopf“ vorliegen. Ein klares Konzept erleichtert enorm die Probenarbeit und vermittelt auch dem Chor ein klares Ziel. Wenigstens der inhaltlichen Rahmen (Motto, Thematik) müssen in der ersten Probe vorgestellt und nicht zu spät sollte der komplette Programmverlauf schriftlich dem Chor vorliegen, auch um die Notenmappen sortieren zu können, was viel Zeit und Nerven spart. Hier nun die nächsten „10 Gebote“:
1. Klares Motto: Einem Konzertprogramm sollte ein Motto (Thema) zugrunde liegen, um so eine in sich geschlossene oder schlüssige Abfolge zu gewährleisten.
2. Recherche: Das hat zunächst für den Chorleiter den Vorteil, dass er gezielt auf Literatursuche gehen und aus der Fülle der „Angebote“ schneller auswählen kann. Natürlich verfügt nur der erfahrene Chorleiter über ein größeres Repertoire an Chorliteratur (im Kopf oder im Notenschrank), Anfänger müssen wirklich zeitaufwändig recherchieren oder vor kollegialer Hilfe nicht scheuen.
3. Vorüberlegungen: Nach der Materialsammlung folgen Fragen zur Besetzung, zum Schwierigkeitsgrad und zur zeitlichen Bewältigung. Also:
a) Welche Chorformationen liegen mir vor, wie kann ich sie ergänzen (Begleitung, Solisten). Nicht problemlos ist es, Gastchöre einzuladen; das kann leicht zu unliebsamen Vergleichen führen und wird schnell zu massig. Wenn ein deutlicher Kontrast gewährleistet ist (z. B. Gemischter Chor plus Kinderchor) oder stilistische Gegensätze (traditionelle Chormusik plus moderne Chormusik), kann es durchaus gewinnbringend sein. Zur Frage der Besetzung gehört auch der finanzielle Aspekt (Kann ich mir ein Orchester leisten?), wobei man sich nicht zu sehr von den Vorstellungen des Kassiers beeindrucken lassen soll, der mit einem Konzert verdienen will!
b) Eine hohe Kunst des Chorleiters ist es, das Leistungsvermögen seines Chores einschätzen zu können. Man darf seinen Chor fordern, aber nicht überfordern. Es hat keinen Sinn, wenn der Chorleiter seine Wunschstücke partout unterbringen will, denen der Chor nicht gewachsen ist. „Nach unten hin“ ist weniger problematisch, denn ein einfaches Stück schön gesungen ist allemal gut.
c) Eine Konzertvorbereitung muss langfristig angelegt sein und steht im Mittelpunkt der Jahresarbeit. Wider jede Idee steht die Notlösung, im Notfall das Programm mit Repertoirestücken zu verlängern und die Thematik zu verwässern.
4. Passgenau für alle: Chor und Chorleiter müssen sich wohlfühlen! Es nützt nichts, wenn thematisch wunderbar passende Stücke einem der beiden Partner „nicht liegen“. Gerade Musik der neueren Zeit (Jazz, Pop, sogar Schlager) erfordern eine stilistische Gewandtheit, die man nicht oktroyieren kann. Auch fremdsprachige Chorliteratur hat – bei allem Reiz – seine Tücken.
5. Gliederung: Nach der Materialsammlung kommt die Grobgliederung in Abschnitte oder Blöcke. Sie müssen mit Zwischenüberschriften im Programm deutlich gemacht werden und sind in jeder Hinsicht hilfreich. Schon von der Übersichtlichkeit oder vom Schriftbild (Layout) her, wird dies vom Auge des Konzertbesuchers dankbar erfasst. Vor allem aber ist es eine Hilfestellung für das Nachvollziehen der Konzertidee, die so von mehreren
Aspekten aus konzentriert beleuchtet wird. Als Nebeneffekt könnte hiermit auch der Applaus „kanalisiert“ werden.
Anmerkung: Im Kurs werden Ideen gesammelt, wie solche Blöcke „beschriftet“ werden könnten. Einfachstes Beispiel wäre eine chronologische Ordnung, weniger gut eine praktikable nach Besetzungen, da hier die Stringenz der Idee zerstört werden könnte, eine optimale Gliederung wäre tatsächlich nach absolut inhaltlichen Gesichtspunkten, die das Motto aus einem Aspekt heraus zwingend beleuchten. Die Gesamtheit der Abschnitte (nicht mehr als vier!) muss dann ein schlüssiges Ganzes ergeben.
Beispiel zum letzten Aspekt: Konzerttitel „O du schöner Rosengarten“. Abschnitte: „Des Nachts und früh am Morgen“, „Im Mai und im Sommer“, „Liebesfreud und Liebesleid“, „Im Herbst und am Abend“.
6. Kreativ statt langweilig: Das Motto eines Konzerts soll Interesse wecken und anschaulich formuliert sein – und so Lust machen das Konzert zu besuchen. Abgegriffen und langweilig sind Titel wie „Jahreskonzert“ oder „Frühjahrskonzert“.
7. Keine Füller! Kennen Sie das „Ave Verum-Problem“? Wie oft wird diese wunderbare Komposition als gedankenloser Füller benutzt und in allen möglichen Kontexten eingebaut! Im Kurs wird natürlich besprochen, in welchen Programmen diese geniale Motette von Mozart eingebaut werden „darf“. Mit Schuberts “Heilig“ und neuerdings Cohens „Halleluja“ könnte die Liste der „No goes“ fortgesetzt werden.
8. Mischungen: Landauf landab werden geistliche und weltliche Musik in einem Programm gemischt. Besonders in Kirchenkonzerten sollte man gewissenhaft auf „Reinheit“ achten (Grenzfälle, z. B. „Es ist ein Schnitter“ von J. Brahms werden im Kurs diskutiert). Diese Haltung ist nicht altmodisch, sondern entspricht kirchlichen Vorschriften, die leider sogar Pfarrer vor Ort missachten oder sich nicht darum kümmern. Als verantwortlicher Musiker sollte man hier gewissenhaft sein und eine Kirche nicht wegen der guten Akustik oder kostenlosen Nutzbarkeit als Plattform für musikalischen Wildwuchs benutzen. Geistliche Musik in einem weltlichen Konzert ist genauso deplatziert oder muss gut begründet sein (z. B. ein „Irischer Reisesegen“ oder weihnachtliche Musik). Verwandt damit ist die „stilistischen Verwirrung“ innerhalb eines geistlichen oder weltlichen Konzerts. Dies ist nicht zu verwechseln mit stilistischer Vielfalt! Es bedarf aber eines großen Geschicks des Chorleiters, sogenannte U- und E-Musik in einem Konzertprogramm so anzuordnen, dass der berüchtigte „Stilbruch“ nicht eintritt
9. Zeit! Chormusik ist schön – aber erschlagen Sie das Publikum nicht mit einer zweistündigen Nonstop-Abfolge von zwanzig oder mehr Chorsätzen. Gönnen Sie allen (Ausführenden wie Zuhörern) eine Erholung mit solistischen Einlagen (vokal oder instrumental); sogar die optische Veränderung tut gut! Natürlich müssen diese Beiträge konsequent dem Konzertmotto gehorchen und an der passenden Stelle platziert sein; der Chorleiter sollte auch hier die Oberhand behalten und die Stücke vorschlagen oder auswählen. Die Solisten sollten wirklich sehr gut sein (Profis) und nicht aus den eigenen Reihen kostengünstig rekrutiert werden. Auch eine gute Moderation kann auflockern, Vorsicht aber bei Gedichtvorträgen, die kaum jemand so gut sprechen kann, dass sie überzeugen (Ausnahme sind Kinderchorkonzerte). Die Begrüßungsrede und die Dankesworte des Vorsitzenden zählen nicht zur Gattung Auflockerung! Sie haben in einem Konzert nichts zu suchen und sollten auf keinen Fall ins Programm aufgenommen werden.
10. Nagelprobe: Machen Sie stets die Nagelprobe! Diese Aufforderung steht als Hauptkriterium von Anfang bis Ende der Arbeit an einem guten Programm. Gemeint ist: Wie im ursprünglichen Sinn des Wortes soll der Konzertbesucher oder der Dozent (letztlich als Beurteiler des Ganzen) mit seinem Fingernagel auf ein beliebiges Konzertstück zeigen dürfen und vom Chorleiter oder Seminarteilnehmer begründen lassen, warum es im Konzertprogramm überhaupt und gerade an dieser Stelle steht. Wenn dieser Test bei allen Stücken zufriedenstellend ausfällt, dann ist die Beurteilung nicht befriedigend, sondern sehr gut!