Wir singen im Chor aus Noten. Aus Liederbüchern, aus Klavierauszügen, aus Sonderdrucken, Einzelstimmen, aus handgeschriebenem Notenmaterial, aus Kopien. Die Aufzählung ist nicht abschließend. Die Noten werden neu gekauft, aus dem Notenfundus des Notenwarts entnommen, entliehen oder gemietet; auch hier gibt es viele Varianten.
Hinter all diesen Vorgängen steckt ein rechtlicher Hintergrund. Stichworte sind vor allem das Vertrags- und Urheberrecht.
Die Notenschrift hält den kompositorischen Gedanken fest. Die Musik, die zunächst vom Komponisten gedacht wurde, wird niedergeschrieben und somit dauerhaft zur Wiedergabe erhalten. Zugrunde liegt also eine geistige Schöpfung. Ich bin kürzlich gefragt worden, ob man denn auch die Aufführung eines Stückes bei der GEMA anmelden muss, wenn der (Kinder-) Chorleiter ein GEMA-pflichtiges Stück mit seinen jungen Sängerinnen und Sängern auswendig lernt und dabei keine Noten benutzt.
Die Antwort ist natürlich „ja“. Er hat nämlich die geistige Leistung eines Komponisten in Anspruch genommen, um damit ein Kinderchorkonzert zu gestalten. Es ist völlig gleichgültig, aus welchem Medium die Information stammt, die dem Chor das Singen eines Stückes ermöglicht: Erinnerung, die Note, das IPad, das Internet, die CD: alle sind Träger der urheberrechtlich geschützten Information.
Gemeinfreie Werke unterliegen dem urheberrechtlichen Schutz nicht mehr; ist der Komponist vor 70 Jahren oder länger verstorben, können seine Werke – von Ausnahmen abgesehen – ohne Erlaubnis gesungen, kopiert, digitalisiert etc. werden.
Komponisten und Verlage leben von ihren Werken
Die moderne (und deshalb nicht gemeinfreie) Chorliteratur, nicht zuletzt die für Kinder- und Jugendchöre, aber auch moderne Bearbeitungen oder Arrangements sind ein quantitativ und qualitativ wesentlicher Bestandteil der Chorpraxis. Nicht nur die Verlage, sondern auch die Komponisten selbst leben oft von ihren Kompositionen, und es wäre ein großer Verlust für unsere Musiklandschaft, wenn sie dies nicht in ausreichendem Maße könnten. Und ihre Interessen werden von der Wahrnehmungsgesellschaft und der VG Musikedition vertreten.
Andererseits: Noten sind teuer. Deshalb verzichten viele Chöre darauf, Notenmaterial für größere Werke anzuschaffen. Und hier liegt natürlich auch der Grund für die Versuchung, aus bereits vorhandenen Noten zu kopieren, sei es, um die eigenen Originalnoten zu schonen, sei
es, um die Investition zu sparen.
Das Kopierverbot für Noten ist das strengste im ganzen Deutschen Urheberrecht. Es gibt nahezu keine Ausnahmen, jedenfalls keine solchen, die praktikabel wären. Die sogenannte Privatkopie, die bei Büchern beispielsweise grundsätzlich erlaubt ist, wenn sie nicht anderweitig und vor allem gewerblich genutzt wird, hilft bei Noten nicht weiter. Denn: Man darf aus kopierten Noten nach § 53 Abs. 4 UrhG nicht singen, auch dann nicht, wenn man die Kopien aus den beim Chor vorhandenen Originalnoten angefertigt hat.
Das wäre nur anders, wenn der Verlag der Anfertigung von Kopien zugestimmt hätte, was durchaus nicht immer und jedenfalls immer nur gegen Zahlung einer Lizenzvergütung der Fall ist. Vor allem den Zeitverlust, der mit der Einholung einer Kopiergenehmigung verbunden ist, wird von vielen Chöre gescheut, auch wenn dieser Aufwand inzwischen deutlich zurückgegangen ist. Jedenfalls wird von dieser Möglichkeit nur sehr selten Gebrauch gemacht.
Noten können auch gemietet werden
Das Vermieten von Noten wird vor allem im Orchesterbereich häufig praktiziert. Die Probleme im Zusammenhang mit der Zustandserhaltung der Noten sind allerdings die gleichen wie bei Kauf oder Leihe.
Der Unterschied zwischen Miete und Leihe liegt bei Noten darin, dass Vermietung gewerblich und daher nur durch den Verlag oder lizensierte Unternehmen zulässig ist; jedermann kann hingegen seine eigenen Noten verleihen, also kostenlos weitergeben, weil durch den Erwerb der Noten das Nutzungsrecht des Urhebers erschöpft ist und der Erwerber mit seinen Noten nach Belieben verfahren kann.
Nur: Wenn er aus diesen öffentlich musiziert, muss die öffentliche Darbietung bei der GEMA gemeldet werden.
Notenbeschaffung aus dem Internet
Schließlich: Das Internet und die modernen elektronischen Medien haben neue Türen aufgestoßen, auch für das Singen aus Chornoten. Beispielsweise stellt das Mozarteum in Salzburg die gesamte Musikliteratur Wolfgang Amadeus Mozarts zum kostenlosen Download zur Verfügung. Es gibt Musikverlage, die ihre Musikliteratur als Download verkaufen; in den Kaufpreis ist dann selbstverständlich die Möglichkeit einkalkuliert, dass von den downloadeten Noten Kopien abgefertigt werden.
Immer häufiger sieht man auf Notenpulten und auch in Sängerhand Tablet-Computer, aus denen die dort heruntergeladenen Noten gesungen werden. Das wird teilweise legal, teilweise illegal gemacht. Wir wissen, dass das Abschreiben von Noten auch mit Notenschreibprogrammen wie Capella zulässig ist, allerdings nur – wenn erforderlich – zur Aufnahme in das eigene Archiv. Das Abschreiben von Noten und Versendung als Email-Anhang an jedes Chormitglied, damit dieser von allen ausgedruckt oder auf dem Tablet-PC heruntergeladen wird, ist nach wie vor ein Verstoß gegen § 53 Satz 4 UrhG. Es gibt also viele Wege zur legalen Notenverwendung im Chor, sicher ebenso viele illegale. Schön wäre es, wenn es demnächst im Sinne eines gegenseitigen Verständnisses von Chören, Komponisten und Verlagen eine praktikable und für alle Beteiligten zufriedenstellende Lösung gäbe. Wir sind dabei, dies zu versuchen.