Brauchen wir heute noch Ehrungen in den Vereinen?
Sie ist nicht nur Vizepräsidentin im Schwäbischen Chorverband und Ehrenpräsidentin des Chorverbandes Ludwig Uhland, als Vorsitzende des Familienreferats ist sie für die generationenübergreifende Zusammenarbeit im Verband verantwortlich und muss in dieser Funktion auch immer wieder die ein oder andere Brücke bauen.
Frage ich ältere Sängerinnen und Sänger antworten diese mit: „Ja“. Frage ich Jüngere so heißt es: „Nein“, aber die Jüngeren werden auch einmal älter. Ich beantworte diese Frage mit einem eindeutigen: „ Ja“ und versuche dies zu begründen.
Bei vielen Ehrungen, die ich für den Chorverband durchführen durfte, ist es immer wieder berührend, wenn die Geehrten mit
einer Träne im Knopfloch ihre Urkunde in Empfang nehmen und mir hinterher erzählen, was ihnen das Singen im Leben bedeutet und wie sie durch das Singen etwas mehr Wärme und Gemeinschaft im Leben erfahren haben.
Stellen Sie sich einmal die Frage. Was wäre Ihr Leben ohne den Chorgesang? Und geben Sie sich in aller Stille die Antwort.
Die wöchentlichen Proben sind für viele ein fester Punkt im Wochenablauf. Man merkt, wenn der Nebensitzer fehlt, nimmt einander wahr. Feiert und leidet miteinander. Einem 84jährigen Sänger, dem ich den Ehrenbrief des SCV überreichen durfte und den ich fragte, ob er denn nachher auch noch die Singstunde besuchen würde, antwortete ganz trocken: „ Frau Naumann, solang i da To onds Wasser halte ka, gang i“.
Wie drückt Giora Feidmann es so treffend aus: „Das Lied ist mein Koffer, ist voller Erinnerung. Mit diesem Gepäck bin ich niemals allein.“
Ehrungen im Verein sind Rituale
Rituale haben in einem Verband und im Verein ihren festen Platz. Sie geben Orientierung, vermitteln Sicherheit und Vertrautheit.
Wer sie kennt, spürt, dass er dazu gehört. Manchmal stören sie auch – wenn sie keine positive Bedeutung mehr haben. Wenn sie nicht mehr zeitgemäß sind. Aber was ist zeitgemäß? Der Maßstab sind die Mitglieder Ihres Vereins. Welche Rituale entsprechen deren Bedürfnissen?
Ehrungen sollen Anerkennung bringen
Sie können zu echten Erlebnissen werden – wenn sie gut inszeniert werden. Das hängt ganz davon ab, wer geehrt wird. Ältere Menschen wünschen sich eher einen feierlichen Akt. Für sie mag wichtig sein, dass möglichst viele Freunde und die Familie anwesend sind. Bei Jugendlichen kann das ganz anders sein. Zuviel der Feierlichkeit ist ihnen, so denke ich, eher peinlich.
Tragende Wand im kulturellen Gebäude
Der Mensch ist ein soziales Wesen. Er lebt für die Gemeinschaft und von der Gemeinschaft.
Das wird in der Vereinsarbeit besonders deutlich: Der Einzelne engagiert sich gemeinnützig. Aber er braucht auch etwas zurück: Dank und Anerkennung. Sie bestätigen dem Ehrenamtlichen, dass die Vereinsgemeinschaft ihn wahrgenommen hat. Dass sie seinen Beitrag oder eine langjährige Vereinszugehörigkeit würdigt. Es ist die Anerkennung für seine Leistungen und für seine Treue.
Da ergibt sich die Frage: Warum ist Anerkennung überhaupt so wichtig geworden ?
Die soziologische und psychologische Debatte, die im letzten Jahrzehnt geführt wurde, kommt eindeutig zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem Bedürfnis nach Anerkennung keineswegs um ein schönes, aber eigentlich überflüssiges Beiwerk, sondern um eine tragende Wand in unserem kulturellen Gebäude handelt.
Mein Fazit
Ehrungen sind ein Meilenstein im Sängerleben, auch von Chorleitern, und gehören zu unserem Vereinsleben dazu.
Irmgard Naumann
Zusammenarbeit war und ist das Wichtigste
Christian Heieck ist Vizepräsident im Schwäbischen Chorverband. In dieser Funktion steht er dem Verband und seinen Vereinen vor allem in rechtlichen und organisatorischen Belangen mit Rat und Tat zur Seite.
2016 war ein ganz besonderes Jahr. Jedes Jahr ist ein besonderes Jahr, werden Sie sagen, doch: 2016 ging über das „Besondere“ hinaus.
Wir haben einen neuen Präsidenten. Dr. Jörg Schmidt, vom Chorverbandstag Stuttgart gewählt, hat seine Arbeit aufgenommen. Herr Präsident Dr. Seifert hatte schon im September 2015 angekündigt, für das Amt nicht mehr zu kandidieren.
Die Stimmung im Verband und im Deutschen Chorverband knisterte. Sie knisterte seit dem Chorverbandstag in Stuttgart 2015. Das gegenüber dem Dachverband formulierte Misstrauen, welches sich in der Bildung einer Arbeitsgruppe (an welcher der SCV personell nicht beteiligt war) Ausdruck fand, war aufgerufen, das finanzielle und organisatorische Verhalten des Deutschen Chorverbandes „unter die Lupe zu nehmen“.
Wie hat sich die Situation im Schwäbischen Chorverband dargestellt?
Auch im Schwäbischen Chorverband wurde viel und kontrovers über diese Themen und das beabsichtigte Chorzentrum in Berlin diskutiert. Im Januar wurde bei einer Regionalpräsidententagung emotional informiert und diskutiert. Im Februar dann beschloss die Mehrheit eines außerordentlichen Chorverbandstages des DCV in Frankfurt, das Deutsche Chorzentrum in Angriff zu nehmen. Die Mehrheit war klar, Einmütigkeit herrschte aber nicht.
Ende März 2016 legte dann die Arbeitsgruppe ihren Bericht dem DCV und den Landesverbänden vor. Das Präsidium des Deutschen Chorverbandes reagierte, überarbeitete seine Satzung und Geschäftsordnung, klärte – vor allem mit den Kassenprüfern – die betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten und Abläufe und holte eine dezidierte Stellungnahme des ehemaligen Präsidenten des Bundesrechnungshofes ein. In Fulda schließlich, beim außerordentlichen Chorverbandstag, wurde die vom DCV vorgelegte Satzung gebilligt und auf Vorschlag der Rechnungsprüfer das Präsidium entlastet. Der Chorverbandstag und die dortigen Arbeitsergebnisse dokumentieren eine neue, konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Landesverbänden und dem Deutschen Chorverband; Beobachter und Delegierte sehen in diesem Chorverbandstag den Abschluss eines zweijährigen, außerordentlich konfliktträchtigen Prozesses der Verbandsarbeit im Deutschen Chorverband.
Im Schwäbischen Chorverband schlug „die Stunde der Vizepräsidenten“. Das möchte ich eigentlich hervorheben: Die langjährigen Vizepräsidenten Irmgard Naumann und Wolfgang Oberndorfer – letzterer auch zusätzlich als Beisitzer im DCV-Präsidium – haben Außerordentliches geleistet an Teamgeist und Engagement in dem Bewusstsein, dass in dieser Zeit der Konfliktträchtigkeit und der hitzigen Debatten eine ruhige Hand und ein klarer Kopf von Nöten sind, um das Bewusstsein aller hochzuhalten, dass wir Ehrenamtler in einem Verband sind, dessen Aufgabe die schönste Sache der Welt ist: das Singen.
Ich danke meinen beiden Mit-Vizepräsidenten von Herzen für die wunderbare Zusammenarbeit, das gegenseitige Vertrauen und die konsequente Fortentwicklung der gemeinsamen Bemühungen in Geschäftsführendem und im Präsidium. So stehen wir gemeinsam am Ende eines konflikt- und arbeitsreichen Jahres, und wir können sagen, Mühe und Arbeit haben sich für unseren Verband und unsere Aufgabe gelohnt.
Christian Heieck
Von Sonanzen und Dissonanzen…
Als Musikdirektor im Schwäbischen Chorverband ist Marcel Dreiling musikalischer Verantwortlicher für den gesamten Verband. Dabei kommt es aber nicht immer nur auf seinen ausgezeichneten musikalischen Sachverstand an. Als Leiter der AK-Seminare ist er auch für viele der wichtigen Seminare im Schwäbischen Chorverband verantwortlich.
Als Chorleiter fühlt man sich in der Regel der Harmonie verpflichtet. Klar gibt es in jeder Komposition ein paar spannungsgeladene Akkorde. Dies sind meistens die interessanten, da dieser Dissonanz eine Konsonanz folgt – sich die Spannung in einer wohltuenden Art und Weise entlädt. Bei Richard Wagner „Tristan und Isolde“ folgte zum ersten Mal eine Dissonanz einer weiteren Dissonanz – bei Schönberg besteht die Musik nur noch aus Dissonanz.
Das vergangene Jahr bot einige Dissonanzen in DCV und SCV. Sie führten für mich an den Rand des Erträglichen. Bleibt zu hoffen, dass nach dieser heftigen Phase der Dissonanzen im Prozess der Katharsis (Reinigung) eine genauso „heftige“, produktive Phase folgt.
Die Freude an der Musik, die Freude am Miteinander mit musikalisch Gleichgesinnten bleibt jedoch unzerstörbar.
„Harmonische Stimmung“ oder „die musikalische Macht des Menschen“
Vor kurzem fragte mich eine Freundin, was ich unter Stimmung und Harmonie im Chor verstehe. Ich sagte ihr, dass sie hier ein großes Faß aufmache. Als Musiker kann man Harmonie unter musikalischen Punkten betrachten, Stimmung als Barometer in einer Chorgemeinschaft und im Rahmen eines Konzertes. Doch zuhause angekommen, hat mich das Thema Stimmung und Harmonie nicht losgelassen. Sind es nur die musikalischen und gesellschaftlichen Themen, die Stimmung und Harmonie ausmachen?
An meinem Schreibtisch durchstöberte ich zunächst verschiedene Lexika und Foren, um eine eigene Definition der beiden Themenfelder zu bekommen. Unter ‚Stimmung‘ kann man positive und negative Stimmungslagen verstehen. Im Vergleich zu Gefühlen dauert eine Stimmungslage länger. Stimmungen können Gedanken, Entscheidungen und Erinnerungen beeinträchtigen und auch unser Immunsystem positiv stärken. Von dem griechischen ‚harmonia‘ stammt das heute umgangsförmliche Harmonie. Darunter kann Zufriedenheit und Einigkeit verstanden werden. Auf die Persönlichkeit bezogen ist dies an Natürlichkeit und Reinheit festzuhalten. Negative Harmonie umschreibt Unzufriedenheit und Unruhestiftung.
Viele Punkte kommen mir bekannt vor. Es sind Punkte, die einem Chorleiter sowohl im musikalischen Bereich als auch im Umgang mit seinen Mitmenschen täglich begegnen. Doch wie sieht die Antwort auf die Frage meiner Bekannten aus?
Stimmung und Harmonie kann …
… das Repertoire in vielerlei Hinsicht die Stimmung eines Chores während der Probephase, aber auch das Konzert und sein Publikum beeinflussen. Wird ein Programm vom Chorleiter ohne Rücksprache mit dem Chor ausgewählt, kann dies bei Choristen für eine negative Stimmung sorgen, da sie singen müssen, was der Chorleier will und nicht vielleicht der Chor singen oder das Publikum hören möchte. Daher ist zu raten, das Repertoire thematisch gemeinsam zu besprechen, die Vorlieben des Chorleiters und des Chores zu berücksichtigen, aber auch die Vorlieben des Publikums, für die das Programm gedacht ist, einzubinden.
… der Probenraum sollte grundsätzliche eine positive Wirkung ausstrahlen. Stehen zusätzlich Tische, Stühle und evtl. auch Kisten im Raum, so kann dies eine schlechte Aura erzeugen. Während einer zweistündigen Chorprobe sollte man sich wohlfühlen und nicht das Gefühl haben, dass man in einem Lagerraum singt.
… sich auf die Stimme und das menschliche Wohlbefinden übertragen. Ist man stimmlich nicht fit, so kann dies die persönliche Laune trüben. Doch fühlt man sich stark und voller Tatendrang, so ist auch die Stimme hell, belastbar und stark.
… die Wirkung untermauern. Ist ein Ensemble als Gruppe einig und gemeinsam am gleichen Ziel orientiert, wirkt dies nach außen für Dritte positiv und professionell. Ist das Ensemble musikalisch motiviert und brennt für die Präsentation, wirken Lieder nochmals intensiver und die Begeisterung und Leidenschaft des Chors werden auf das Publikum überspringen. Dies wird mit wirkungsvollem Applaus bezeugt und gewürdigt.
Ob meine Bekannte die Antworten versteht? Wenn nicht, dann stelle ich ihr die Frage wie damals der Philosoph Ludwig Feuerbach: „Was wäre der Mensch ohne Empfindung?“ Die Antwort: „Sie ist die musikalische Macht im Menschen.“
Marcel Dreiling