am 6. Dezember 2016 jährt sich zum 150. mal der Tod des ersten Präsidenten des Schwäbischen Chorverbandes
Am 6. Dezember 1866 wird der Ausschuss des Schwäbischen Sängerbundes kurzfristig zusammengerufen. Anlass des Treffens ist ein Ereignis, das die Herbeigeeilten mit großer Trauer erfüllt, sie aber nicht ganz unvorbereitet trifft:
„Gestorben zu Esslingen Karl Pfaff / Präsident des Schwäbischen Sängerbundes / nach 9-monatlicher schwerer Krankheit“ – mit diesen Worten beginnt das Protokoll der außerplanmäßigen Sitzung.
Mit Pfaffs Ableben verlieren an diesem Dezembertag vor 150 Jahren nicht nur die Sänger Württembergs ihren ersten Verbandspräsidenten, sein Tod ist auch ein Verlust für die ganze deutsche Sängerschaft. Kaum ein anderer hat die Laienchorbewegung in den Jahren ihrer Entstehung und Ausbreitung mehr gefördert und ihren organisatorischen Zusammenschluss leidenschaftlicher vorangetrieben als der Esslinger „Sängervater“.
Zum Leben von Karl Pfaff
1795 als Sohn eines Mathematikers in Stuttgart geboren, studiert Pfaff ab 1812 in Tübingen Theologie. Der junge Mann mit den für die Romantikgeneration typischen langen Lockenhaaren, der auch gerne Gedichte schreibt, interessiert sich aber bald mehr für die Geschichte und die Kultur als für den Pfarrberuf. So tritt er nach einem kurzen Vikariat 1818 dann doch nicht in den Kirchendienst ein, sondern wird Lehrer (ab 1819 Konrektor) am Esslinger Pädagogium, eine Lebensstellung, die er bis zu seiner Pensionierung 1850 behält.
Karl Pfaff – ein Pädagoge seiner Zeit
Als Pädagoge ist Pfaff ganz der Volksbildungsidee seiner Zeit verpflichtet. Er legt Wert darauf, „der freien Charakterentwicklung der Jugend Raum zu gewähren, ihren Selbständigkeitstrieb zu wecken, den Sinn für das Rechte und Edle und ein unauslöschliches Freiheitsgefühl in die jugendlichen Herzen zu versenken“ – so sein späterer Weggefährte Otto Elben. Die pädagogischen und politischen Ideale des Volksbildungsgedankens sind auch in Pfaffs außerberuflichen Aktivitäten, z. B. in der Sängerbewegung, deutlich zu spüren. Bereits während des Studiums in Tübingen hält sich Pfaff – selbst kein begabter Sänger – gern im Kreis singender Kommilitonen auf.
Was für eine wichtige Rolle der Gemeinschaftsgesang in der Gesellschaft spielen kann, wird ihm aber erst 1824 bewusst, als er den Stuttgarter Liederkranz kennenlernt. In diesem hochkarätigen Chorverein ergreift ihn und begreift er die „erhabene Macht der Töne“ (so der Titel eines Gedichts, das Pfaff damals verfasst und das Johann Georg Frech wenig später für Männerchor vertont). Gemeinschaftliches Singen kann – wie Pfaff damals fasziniert feststellt – ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit erzeugen, und mit Liedern können Botschaften verbreitet werden.
Wie Hans Georg Nägeli ist Pfaff davon überzeugt, dass solche Chorvereine im ganzen Land ins Leben gerufen werden sollten. Er selbst gründet deshalb 1827 mit einigen Gleichgesinnten den Esslinger Liederkranz. Im selben Jahr organisiert er mit seinen Freunden außerdem das erste „schwäbische Sängerfest“. Es wird 1827 in Plochingen veranstaltet und gilt heute als das erste größere Sängertreffen auf deutschem Boden.
Die Anfänge der Sängerbewegung
Das Plochinger Fest ist der Auftakt zu einer langen Reihe „allgemeiner schwäbischer Liederfeste“. Bis 1832 werden sie jährlich in Esslingen, danach in wechselnden Städten Württembergs gefeiert. Pfaff tritt dort regelmäßig als mitreißender Redner auf. Er preist die befreiende Wirkung des Gesangs auf das Gemütsleben des Menschen, vor allem aber betont er die gesellschaftspolitische Aufgabe der Vereine:
„Nicht nur Freude holt der Sterbliche aus des Gesanges kristallnem Hause, für das Höchste, Teuerste, was er kennt, für Glauben, Freiheit, Fürst und Vaterland wird hier sein Gemüt begeistert …. Er schwebt hoch über dem kleinlichen Streben, den ängstlichen Sorgen der Alltagswelt, er wird seinen Mitmenschen näher gerückt, und niedersinken vor des Gesanges Macht der Stände lächerliche Schranken.“
Als Liberaler des „Vormärz“ ist Pfaff auch von der Idee eines künftigen deutschen Nationalstaats beseelt. Die Einigung Deutschlands erlebt er zwar nicht mehr, wohl aber zwei bedeutende Zusammenschlüsse der Sängerschaft, auf die er selbst lange hingearbeitet hat: die Gründung des Schwäbischen Sängerbundes (heute Chorverbands) 1849 und die des Deutschen Sängerbundes (Chorverbands) 1862. Dass er – im ganzen Land durch seine Auftritte als charismatischer „Sängervater“ beliebt – die Wahl zum ersten Präsidenten des Schwäbischen Sängerbunds annimmt, ist selbstverständlich; die ihm 1862 angetragene Führung des Deutschen Sängerbundes dagegen überlässt er aus Altersgründen seinem jüngeren Mitstreiter Elben.
Karl Pfaff – der Historiker
Eine Biographie Pfaffs wäre unvollständig ohne den Hinweis auf seine zweite große Leidenschaft neben dem Chorwesen: die Geschichtsforschung. „Schon von Jugend auf trieb meine Neigung mich zur vaterländischen Geschichte“, erklärt er 1831 in einer seiner zahlreichen historischen Veröffentlichungen. Unermüdlich forscht er in Archiven, schreibt Ortschroniken (z. B. die der Städte Esslingen und Stuttgart) und versucht, seine eigene Begeisterung auf die junge Generation zu übertragen; als Beispiel für seine volkspädagogisches Absichten sei hier nur seine mit Lithographien geschmückte „Geschichte Wirtembergs für die Jugend“ aus dem Jahr 1824 genannt.
Der Schöpfer des „Stauerfbanners“
Die Liebe zur Geschichte lässt Pfaff auch gern in seine Sängerfestreden einfließen, und nicht nur in diese; sie findet sogar einen sichtbaren Niederschlag im wichtigsten Symbol des Schwäbischen Chorverbands, im „Stauferbanner“. Es ist Pfaffs Idee, die Bundesfahne mit den Wappen der Stauferstädte zu schmücken, und die aufgestickte Fahnendevise „Noch blüht im Schwabenlande heut / das Lied wie einst zur Stauferzeit“ stammt gewiss aus seiner Feder. Eine Porträtlithographie, die wohl im Jahr der Fahnenweihe 1857 angefertigt wurde, zeigt uns den Sängervater als stolzen Träger des Stauferbanners, unter dem sich die Sängervereine versammeln. Auf dem Blatt ist die von Pfaff verfasste Aufforderung zu lesen:
„Wie auch die Zeiten sich, die wechselnden, gestalten, wir wollen treu und fest am Sängerbunde halten.“
Sänger aus dem ganzen Land erweisen Karl Pfaff die letzte Ehre
Am 8. Dezember 1866 wird das Stauferbanner wieder einmal entrollt, nun mit einem Trauerflor versehen und über dem Grab des Sängervaters. Unter dem Banner versammeln sich mehr als eintausend Sänger; sie sind der am 6.12. eilig ausgegeben Einladung des Ausschusses aus allen Ecken des Landes gefolgt, „von Heilbronn bis Biberach“, wie das Protokoll anschließend festhält. Der „Schwäbische Merkur“ wiederum berichtet, es seien seit Uhlands Begräbnis im Jahr 1862 nicht mehr so viele Sänger zusammengeströmt wie zu diesem Leichenbegängnis.
Die Trauerfeier auf dem Esslinger Stadtfriedhof bleibt nicht die letzte Ehrenbezeugung der Sänger für Pfaff. Bereits am 30. Juni 1868 enthüllt der Schwäbische Chorverband während des in der Neckarstadt veranstalteten Sängerfestes ein Denkmal für seinen ersten Präsidenten. Das Monument, zu dessen Realisierung die Sänger des ganzen Landes mit ihren Spenden beigetragen haben, steht noch heute auf der Maille, dem Veranstaltungsort der ersten Sängerfeste.
Schon die Zeitgenossen lobten die Bronzebüste als ein gut gelungenes Porträt des Sängervaters, von dem Karl Rosenzweig berichtet:
„Er war ein schöner Mann, der in seiner Erscheinung wirklich ein geniales Wesen offenbarte“, und den Otto Elben mit folgenden Worten charakterisiert:
„Alles an dem Manne, seine Erscheinung, seine gesellige Haltung, sein Schreiben und Reden, seine wissenschaftliche Leistung wie sein Anteil am öffentlichen Leben waren aus einem Guss, eigengeartet und in seiner Originalität anziehend, belebend.“