In einem Sänger-Blog gab jüngst ein Chorleiter seinen Kollegen folgenden Tipp: Wenn einer mal keine Lust auf die Durchführung einer Chorprobe habe, dann werfe er nur das Stichwort „Chorkleidung“ in die Runde – und schon sei die Veranstaltung gelaufen; kein Problem würde von den Sängerinnen und Sängern eifriger diskutiert als dieses.
Die ironische Bemerkung des Chorleiters ist zwar etwas übertrieben, sie spricht aber ein Thema an, das für viele Chöre heute tatsächlich wichtig ist: das harmonische Erscheinungsbild bei einem öffentlichen Auftritt. In den ersten hundert Jahren der Sängerbewegung dagegen lieferte die Kleiderfrage noch kaum Stoff für lange Diskussionen.
Was die Sängerinnen und Sänger im 19. Jahrhundert bei einem Konzert trugen, entschieden die Konvention, die jeweilige Mode und vor allem der eigene Geldbeutel. Kleidung war damals noch kostspielig, nur die sprichwörtlich „Gutbetuchten“ hatten in ihren Schränken davon eine etwas größere Auswahl hängen.
Betrachtet man alte Darstellungen und Fotos, traten die Sänger meistens in ihrem „Sonndichshäs“ (wie der Schwabe zu sagen pflegte), im Sonntagsgewand, auf. Bei den Herren war das ein dunkler Anzug. Die Städter besaßen außerdem oft noch eine helle, legere Freizeitgarderobe, die – je nach Anlass des Auftritts – ebenfalls getragen werden konnte. Sängerinnen wiederum erschienen ganz in Weiß. Kleine Abweichungen in modischen Details waren üblich, Hauptsache, der Gesamteindruck des Erscheinungsbildes blieb erhalten.
Die Regel, für einen öffentlichen Auftritt nur sein Bestes aus dem Kleiderkasten zu holen, galt auch bei den dörflichen Liederkränzen. Allerdings konnte die arme Landbevölkerung den immer rascher wechselnden Modeströmungen des 19. Jahrhunderts nicht folgen. So bestand das gute „Häs“ für den sonntäglichen Kirchgang hier aus einem Gewand, in dem modische Elemente aus früherer Zeit kombiniert waren. Den Städtern gefiel diese veraltete, exotisch wirkende Bekleidung der Bauern, man gab ihr damals den Namen „Tracht“.
Mit ihrem Besten, der Tracht, erschienen die Landliederkränze dann auch häufig auf den Liederfesten des Chorverbands. Als z. B. die Sänger aus Silchers Geburtsort Schnait 1856 beim Liederfest in Ludwigsburg ihren Einzug hielten, ruhten die Blicke der Festbe-sucher besonders auf ihnen, wie die Presse damals berichtet. Ihre Tracht aus weißer Lederhose, dunkelblauem Frack und schwarzem Dreispitz auf dem Kopf fand allgemeinen Beifall. Die Kleidung, in der man zu Konzerten anreiste, war auch die, in der man auftrat. Man hatte lange Wege zu überwinden, oft zu Fuß. Das einzige Gepäckstück, der Beutel auf dem Rücken, enthielt Reiseproviant, aber keine zusätzliche Garderobe. Das galt auch für das Schuhwerk. Auf alten Fotos sieht man die Herrschaften zwar im festlichen Anzug, aber mit klobigen Reisestiefeln an den Füßen. Die Schuhsohlen waren genagelt, das Betreten der Bretterbühne geräuschvoll wie ein Donnerwetter. Während des Vortrags hieß es daher: Still gestanden!
Das einheitliche „Vereinsoutfit“ ist also ein relativ junges Thema. Es beginnt bei den Sängern erst mit den Wirtschaftswunderjahren nach dem 2. Weltkrieg allmählich an Bedeutung zu gewinnen. In den meisten Vereinschroniken taucht es sogar erst ab den 1970er Jahren auf. Showauftritte professioneller Chöre (z. B. im Fernsehen), eine eigene Kleidungsbranche für „ChorFashion“ und moderne Marketingstrate-gien wie die des „Corporate Identity“ haben den Trend gefördert. Die Lösungen der Dresscode-Frage sind seither sehr unterschiedlich ausgefallen. Zwischen Uniformlook und individuellem Outfit, zwischen stilsicher gelungen und reichlich schräg bis peinlich daneben ist alles anzutreffen.
Einen Versuch, gleich die ganze deutsche Sängerschaft im Sinne einer Corporate Identity visuell zu vereinheitlichen, unternahm übrigens der Deutsche Sängerbund (Chorverband) schon 1927. Er führte damals für die Mitglieder eine „Sängermütze“ ein. Liberal gesinnte Kritiker aus den eigenen Reihen lehnten sie zwar als „Uniformierung“ ab, aber die Mütze setzte sich damals dennoch durch.