„Zu gemeinsamer Pflege des Volksgesangs und damit der Volksbildung“
Die Liederkränze Schwabens vereinigen sich zu gemeinsamer Pflege des Volksgesangs und damit der Volksbildung und eines deutschen Sinnes zu einem allgemeinen schwäbischen Sängerbunde“.
Mit diesem Satz beginnen die „Statuten“, die sich der Schwäbische Sängerbund (SSB) im Jahr 1850 erstmals gegeben hat.
Stellen wir diesen Statuten die aktuelle Satzung des Schwäbischen Chorverbands (SCV) gegenüber, wird schnell deutlich, dass sich außer dem Namen des Verbands seither noch einiges mehr verändert hat:
„Der Schwäbische Chorverband e. V. ist eine Vereinigung von Männer-, Frauen-, gemischten Chören sowie Jungen Chören, Jugend- und Kinderchören sowie Tanz- und Instrumentalgruppen im Gebiet des ehemaligen Württemberg und Hohenzollern.“ Als Verbandszweck erklärt dann § 3 „die gemeinsame Pflege des Chorgesangs sowie die Beratung und Förderung der Vereine auf allen Gebieten des Chorwesens“.
Von einer nationalen Tonlage ist in der heutigen Satzung nichts mehr zu vernehmen, stattdessen werden Frauen- und gemischte Chören, Jugend- und Kinder-chöre genannt, die wir 1850 noch mit keinem Wort erwähnt finden. Aber bei allem Wandel im Lauf der vergangenen 167 Jahre – es sind 1850 auch Fundamente gelegt worden, die sich noch heute bewähren.
Bis 2008 nannte sich der SCV noch „Schwäbischer Sängerbund“. In seinem Namen führte er als Zusatz die Jahreszahl „1849“. Das war nicht nur das Gründungsjahr des SSB, es war auch das Jahr des ersten deutschen Einigungsversuchs, der Revolution und des Parlamentarismus.
Die deutsche Einheits- und Freiheitsbewegung ist von den Sängern wesentlich mitgetragen worden, und so hat die national-liberale Gesinnung in den Statuten von 1850 ihren Niederschlag gefunden. Das geschah aber nicht nur mit der Formulierung „Pflege eines deutschen Sinnes“ (womit u. a. die Bewahrung der Einheitsidee nach dem Scheitern der Revolution gemeint war), sondern auch mit ganz konkreten Umsetzungen liberaler Ziele:
„Jeder Sängerverein, der den angegebenen Zweck verfolgt, kann in den Sängerbund eintreten“, heißt es 1850. Nachfolgende Paragraphen regeln dann das Mitsprache- und Mitentscheidungsrecht:
„Die Geschäfte des Sängerbundes besorgt ein engerer Ausschuss“, dem ein „weiterer Ausschuss von Mitgliedern aus den verschiedenen Landesteilen“ vermittelnd und beratend zur Seite steht. Der „engere Ausschuss“ soll alle drei Jahre von einer „Generalversammlung der Vereine durch Abgeordnete“ neu gewählt werden. Diese Abgeordneten waren ihrerseits von den Vereinsmitgliedern gewählte Männer, denn auch in den Vereinen stimmte man damals (z. B. mittels Ballotage) ab. Für uns sind demokratische Vorgehensweisen selbstverständlich, 1850 waren sie es in Staat und Gesellschaft noch nicht.
Wer mitbestimmen darf, der sollte natürlich über eine gewisse Bildung verfügen. Die allgemeine „Volksbildung“ war deshalb eine der Leitideen des Liberalismus. Jeder sollte Zugang zu Bildungsgütern haben. Der SSB hat deshalb von Anfang an nicht nur städtisch-bürgerliche, sondern auch ländliche Liederkränze und Arbeitersängervereine gefördert.
Wenn die „Volksbildung“ in der aktuellen Satzung des SCV als Begriff nicht mehr auftaucht, dann deshalb, weil diese Zielsetzung inzwischen so selbstverständlich ist, dass sie nicht einmal mehr eigens benannt werden muss.
Zur Verwirklichung seiner Ziele hat der Schwäbische Sängerbund ab 1850 eine ganze Reihe von noch heute bestehenden Einrichtungen geschaffen, z. B. regelmäßige Sängertreffen mit Gesangswettbewerben, Liedersammlungen, eine Bibliothek mit Chorliteratur, Chorleiterkurse, Informationsblätter usw. Es gehen also nicht nur einige äußerliche Zeichen und Symbole des Chorverbands wie z. B. seine Farben Schwarz-Rot auf die Gründungsjahre zurück, sondern auch einige bis heute elementare Vorstellungen und Einrichtungen.
Aber es hat auch gravierende Veränderungen gegeben, in der sich die Entwicklung der Gesellschaft widerspiegelt. Die Sängerbewegung war lange fast ausschließlich eine Angelegenheit erwach- sener Männer. Frauen und Jugendliche spielten allenfalls eine Nebenrolle, in der Satzung von 1850 tauchen sie noch mit keinem einzigen Wort auf. Aber dazu mehr in den Heftausgaben der kommenden Monate.
Rudolf Veit