Welchen Einfluss die Jugend auf die Entwicklung des gesamten Verbandes im Laufe der Zeit hatte
In der letzten SINGEN-Ausgabe war an dieser Stelle von den Statuten des „Schwäbischen Sängerbundes“ aus dem Jahr 1850 die Rede. Dort fand im Gegensatz zur heutigen Satzung des SCV eine „Sängerjugend“ noch mit keinem Wort Erwähnung. Das hatte seine Gründe.
Bereits in der Epoche des „Sturm und Drang“ gehörte gemeinsames Musizieren zu den Ausdrucksmitteln der gegen Autorität und Tradition rebellierenden Jugend. Der junge Friedrich Schiller etwa besuchte während seiner Stuttgarter Zeit gern ein Kränzchen aus ehemaligen Studenten der Hohen Karlsschule, das sich um 1780/85 regelmäßig zum geselligen Musizieren traf.
Die Jugend – von Anfang an mit dabei
Auch in den frühen Gesangvereinen ab 1820 waren zahlreiche junge Menschen aktiv. Vom 1824 gegründeten Stuttgarter Liederkranz wäre da z. B. der Dichter Wilhelm Hauff zu nennen. Hauff, ein Schüler Silchers in Tübingen und dort ein Mitglied der Burschenschaft Germania, war einer von jenen Studenten, die in der auf die Befreiungskriege folgenden Restaurationszeit aufwuchsen. Sie liebten das gemeinsame Singen, waren aber auch politisch hochmotiviert. Zur „Pop-Musik“ dieser rebellischen Jugend gehörten neben dem Volkslied deshalb vor allem politische, von den Ideen des Nationalliberalismus geprägte Gesänge.
Einfach ausbrechen
Neben der Politik spielte bei dieser Jugend natürlich auch der Wunsch, aus den Zwängen der oft spießbürgerlichen Biedermeierwelt auszubrechen, eine große Rolle. Man denke dabei nur an den Dichterstudenten Wilhelm Waiblinger, der sich jeglicher Anpassung verweigerte und sich bevorzugt dem Liebes- und Alkoholrausch hingab.
Die Jugend gehorcht und verändert doch!
Die akademische Jugend hat im 19. Jahrhundert einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Entstehung und Entwicklung der Sängerbewegung genommen. Der Historiker Dietmar Klenke bezeichnet die frühe Sängerbewegung in seinem Buch „Der singende `deutsche Mann´“ deshalb selbst als eine Art „Jugendbewegung“. Um den Nachwuchs mussten die Vereine damals noch nicht buhlen, und so waren auch keine eigenen „Sängerjugend“-Organisationen nötig. Die Jungen kamen von selbst oder wurden, wie später oft noch der Fall, von ihren Vätern in die Vereine eingeführt.
Von Generationskonflikten innerhalb der Liederkränze ist im 19. Jahrhundert noch relativ wenig zu hören, den Ton gaben hier, wie in der patriarchalischen Gesellschaft damals generell üblich, vor allem die älteren Herren an. Vereinsspaltungen, Neugründungen und die Bildung einzelner Gruppierungen (z. B. von Quartetten) in den Chören deuten allerdings darauf hin, dass das Zusammenspiel der Generationen auch damals nicht immer unproblematisch war.
Auch die Arbeiterbewegung singt
Nach der Reichsgründung 1871 und mit der Ausdifferenzierung unterschiedlicher Lebenswelten während der Industrialisierung begannen sich die Verhältnisse zu ändern. Für viele Junge, die als Arbeiter vom Land in die Städte zogen, waren jetzt die etwas weltoffeneren, für Neues zugänglicheren Arbeitergesangvereine attraktiver als die alten bürgerlichen Männerchöre.
Raus in die Natur
Um 1900 kam dann eine neue Jugendbewegung auf. Man wollte raus aus den wuchernden engen Städten, zog als „Wandervögel“ singend hinaus in die Natur. Nicht nur die Städte waren diesen Jungen inzwischen zu miefig und stickig, auch die Gesangvereine waren es. Dort verklärte man in Liedern immer noch gerne Themen wie Kampf und Vaterland, und ältere Herrschaften sangen weinselig Schmachtfetzen wie „Schön ist die Jugend/ sie kommt nicht mehr“.
Veränderungen sind nicht aufzuhalten
1914 erfasste dann die Welle der Kriegsbegeisterung nahezu alle Jugendliche, auch die aus der Arbeiterschaft. Viele von ihnen, die im August 1914 singend ins Feld zogen, kamen nicht wieder. Von den Überlebenden warfen sich nicht wenige auf die Vergnügungsangebote der „Roaring Twenties“ mit ihren neuen Musik- und Tanzstilen (Jazz, Swing und Boogie). Die bürgerlichen Sänger dagegen hielten zäh am „deutschen (Volks-)Lied“ als einem Bollwerk gegen die „zersetzenden Elemente aus dem feindlichen Westen“ fest.
Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs und dem II. Weltkrieg öffnete sich dann die junge Generation erst recht einer internationalen modernen Jugendkultur. In den Fünfzigern begeisterte der Rock´n Roll, in den Sechzigern der Beat. Ausgelöst und begleitet wurde das Ganze von einem neuen Selbstverständnis der Jugend und von neuen Freizeitangeboten.
Die Sänger und ihre Verbände haben auf diese Entwicklungen erst spät und oft hilflos reagiert, für viele Traditionsvereine hat das inzwischen bekanntlich das „Aus“ bedeutet. Deshalb verabschiedete der Schwäbische Sängerbund schließlich 1989 eine Jugendordnung und rief eine eigene (sehr erfolgreiche) Chorjugend ins Leben. Seither sind fremdsprachige Liedtexte, neue Musikstile und körperbetonte Präsentationen keine Tabus mehr; Tabu dagegen sind nationaler Chauvinismus und Militarismus.
Rudolf Veit