Vor zwei Jahrhunderten übernahm Friedrich Silcher das Amt des Musikdirektors in Tübingen.
Das Museum hütet neben vielen Dokumenten des Komponisten auch einige andere wertvolle Archivalien, die man dort zunächst gar nicht vermuten würde. Wie diese Stücke einst ihren Weg in die Sammlung gefunden haben, ist manchmal unklar, aber dass sie dort aufgenommen wurden, dafür gibt’s dann doch immer eine plausible Erklärung. Das gilt auch für ein Briefchen aus dem Jahr 1642 mit der Unterschrift und dem Siegel des Konrad Widerholt von Ziegenhain (1598-1667).
Widerholt, ein berühmt-berüchtigter „Warlord“ im Dreißigjährigen Krieg.
Er war ab 1634 für anderthalb Jahrzehnte Festungskommandant der Burg Hohentwiel, einer Exklave des protestantischen Herzogtums Württemberg im damals kaiserlich-vorderösterreichischen Hegau. Den Menschen in dieser Region ist der württembergische Commandante vor allem deshalb im Gedächtnis geblieben, weil er seinerzeit mit einer Art Guerilla-Taktik die Bevölkerung terrorisiert hat. Zur Versorgung seiner Soldaten brandschatzte er regelmäßig die umliegenden Orte und schleppte so ziemlich alles weg, was nicht niet- und nagelfest war. Nach einem Überfall auf die Stadt Überlingen im Jahr 1643, ließ er dort sogar aus einer Kirche eine Orgel mitgehen und zum Absingen from-
mer Lieder auf dem Hohentwiel wieder aufstellen.
Von so einem Überfall zeugt auch unser Briefchen. Widerholt hat es am 24.11.1642 mit der Bemerkung „citissime“ (schnellstens) aus seinem „Quartier Dutling“ (Tuttlingen) dem Hegau-Städtchen Engen zustellen lassen. Gerade hatte er Tuttlingen überrumpelt, jetzt sollten die Bürger von Engen „mit Äxten und Beilen“ bewaffnet „zur Rasierung des Feinds hiesiger Ecken“ und zur „Abhauung der Palisaden“ schleunigst anreisen. Und weil Widerholt wusste, dass die Engener von diesem Auftrag nicht begeistert sein würden, versuchte er ihnen mit der Androhung „befahrener hoher Straf“ zusätzlich Beine zu machen.
In Altwürttemberg idealisierte man Widerholt später als furchtlosen und treuen Verteidiger der Landesinteressen und des rechten Glaubens. Noch um 1800 rechtfertigt ein Geschichtswerk dessen Gewaltaktionen mit seinem „christlichen gottseligen Eifer“; heute nennt man das schlichtweg „Religionsfanatismus“. (Korrekterweise sei hier ergänzt: solche Typen hat es damals auch auf katholischer Seite mehr als genug gegeben.)
Verklärt im Lied
Ein typisches Beispiel der Widerholt-Verklärung im 19. Jh. stammt von Heinrich Wagner. Der Stuttgarter Gelegenheitsdichter, uns vor allem durch sein „Muss i denn zum Städtele ´naus“ bekannt, verfasste um 1825 ein Gedicht mit dem Titel „Conrad Wiederhold von Ziegenhain“. Es beginnt mit den Worten „Wer deutsche Tugend liebet“ und endet mit dem Refrain „der ehret Konrad Wiederhold“. Zu allem Überfluss hat kein geringerer als Silcher dieses „Lebehoch“ alsbald „für eine Bass-Stimme mit Männer-Chor und Klavier-Begleitung“ vertont und 1829 in Tübingen veröffentlicht. Es war eines der ersten Lieder der Akademischen Liedertafel und wurde von den Studenten besonders gern gesungen, denn bei dem darin enthaltenen Toast „Es lebe hoch der Ziegenhainer!“, wurde natürlich mit vollen Gläsern angestoßen! Im Silcher-Museum war das „Wiederhold“-Lied früher in einer Vitrine ausgestellt; daneben lag als kleine Reliquie des Ziegenhainers, das oben zitierte Briefchen.
Der „fromme Räuber Widerholt“, wie ihn ein badischer Chronist später einmal nannte, durfte seine Karriere schließlich nach dem Religionskrieg als gut situierter Mann in Kirchheim unter Teck beenden. 1667 ist er dort so gestorben, wie es vielen, die ihm einst in die Quere gekommen waren, nicht vergönnt war: friedlich.
Und die Burg Hohentwiel? Sie hat, wie Gustav Schwab 1837 schrieb, „ihre Ehre erst im französischen Revolutionskrieg schimpflich verloren“. Die Festung wurde im Jahr 1800 „dem vorübereilenden und gar nicht ernstlich verweilenden General Vandamme überliefert und von den Erb-
feinden Deutschlands zertrümmert.“ Mit anderen Worten: die Franzosen gestalteten das einst uneinnehmbare Bauwerk mit ein paar gezielt montierten Sprengsätzen in eine prächtige Ruine um. Damit war die Zeit, in der dort oben raue Söldnerkehlen fromme Lieder an gestohlenen Kirchenorgeln intonierten, endgültig vorbei.
Der Hohentwiel – ein Ort für Gesang und Musik
Gesungen wurde in der stimmungsvollen Kulisse der „schwäbischen Gralsburg“ aber auch später noch. Vor allem von den vielen Touristen, die seither dorthin pilgern. Zu diesen Burgenromantikern zählte übrigens auch der ehemalige Liedertäfler Emil Fladt, der Schöpfer des Silcher-Museums. Als Student habe er hier oben sogar einmal den Dichter Viktor von Scheffel angetroffen und mit ihm zusammen gezecht und gesungen, berichtet er später in seinen Lebenserinnerungen.
Und auch heute wird auf dem Singener Hausberg noch kräftig musiziert, allerdings deutlich professioneller als früher. Hier röhrt und trällert seit nunmehr fast fünfzig Jahren beim alljährlichen Hohentwiel-Festival die Creme der Rock- und Popszene. Manchmal wird sogar – wie beim „Fest der Klänge“ 2007 – ein klassisches Chorwerk aufgeführt. Den „Ziegenhainer“ der Herren Wagner und Silcher erwartet bei diesen Konzerten aber gewiss keiner mehr auf dem Programm!