Prof. Dr. Barbara Busch ist eine Expertin auf dem Gebiet der frühmusikalischen Bildung. Sie zeigt auf, wie wichtig das Singen von Anfang an ist.
Musikalische Früherziehung ist für Prof. Dr. Barbara Busch nicht einfach nur ein Beruf, sondern eine wahre Berufung. Deutschlandweit zählt sie zu den Experten, wenn es um das Thema „Singen mit Kindern“ geht. Im Interview mit Holger Frank Heimsch erklärt Sie, warum das gemeinsame Musizieren für die Entwicklung so wichtig ist.
Frau Dr. Barbara Busch ist Professorin für Musikpädagogik an der Musikhochschule Würzburg mit dem Schwerpunkt der außerschulischen Musikpädagogik, speziell bei Instrumental- und Vokallehrern, sowie der Elementarpädagogik. Zudem begleitet sie seit vielen Jahren Praxisprojekte aus wissenschaftlicher Perspektive.
HFH:
Das Singen in der Familie war früher viel stärker etabliert als heute. Warum ist das Singen in der Familie so wichtig?
BB:
Die Familie ist das Vorbild für einen Menschen, der heranwächst. Wenn ich in einem Umfeld aufwachse, in dem die Stimme ganz natürlich eingesetzt und gesungen wird – nicht vorsätzlich, sondern einfach so, dann ist dies der beste Nährboden für das aufbauende Selbstvertrauen der Kinder zur eigenen Stimme. Sie lernen recht früh, sich mit ihrer Stimme auszudrücken. In dem Moment, in dem in den Familien weniger bis gar nicht mehr gesungen wird und in einer Zeit, in der Kinder immer mehr Zeit außerhalb der Familie verleben, brauchen wir Institutionen wie Kindertagesstätten, die ein stückweit diesen verlorengegangenen Alltag auffangen.
Das Liederbuch und das Handbuch zu „Die Carusos“ ist so konzipiert, dass man mit den Kindern singt und sie auch dazu ermutigt. Durch die große Anzahl an fremdsprachigen Liedern, gibt es auch Möglichkeiten der Einbindung von Eltern, die diese Fremdsprache vermitteln können. Somit ergibt sich auch eine stärkere Bindung von Elternhaus und Einrichtung.
HFH:^
Das klingt nach Kritik am Elternhaus, dass zu Hause weniger gesungen wird, weil die Zeit ausbleibt oder zu viel Zeit außerhalb der Familie verbracht wird.
BB:
Wir befinden uns in einer Art Spirale. In dem Moment, in dem ich als Erwachsener für mich das Gefühl habe, ich kann nicht singen, werde ich auch nicht singen. Viele Erwachsene sind geprägt von einem furchtbaren Musikunterricht, in dem man öffentlich vorsingen musste, um eine Note zu bekommen. Dieses Erlebnis prägt Menschen bis heute. Wenn ich aber weiß, wie einfach Singen ist und mein Kind keine Lust hat, beispielsweise Schuhe anzuziehen, und ich dann singend an das Kind herantrete, dann funktioniert es auch. Solche Erfahrungen muss man machen. Singen mit Kindern ist eine tolle Erziehungshilfe.
HFH:
Warum sollten wir grundsätzlich singen?
BB:
Es gehört zum Menschen dazu. Wir haben eine Sprechstimme und wir haben auch eine Singstimme. Über die Stimme wird Persönlichkeit transportiert. Je nachdem wie jemand spricht oder jemand seine Stimme einsetzt, gibt er einen Teil seiner Persönlichkeit preis. In diesem Zusammenhang ist auch Singen und Bewegung zu betrachten.
HFH:
Sie begleiten seit einigen Jahren „Die Carusos“, eine Initiative des Deutschen Chorverbandes für das kindgerechte Singen in Kindertageseinrichtungen. Welches Ziel verfolgt diese Initiative?
BB:
Wir sprechen hier von einer sehr komplexen Initiative, in deren Mittelpunkt die Kita-Zertifizierung steht. Es geht darum pädagogische Fachkräfte in Kindertagesstätten soweit zu qualifizieren, dass sie im Kitaalltag mehr und besser mit Kindern singen. Es geht um die Zielgruppe 0 bis 8-Jährige, die wir schlussendlich erreichen wollen.
HFH:
Vor einem Jahr kam das Liederbuch „Alle Lieder sind schon da“ auf den Markt. Was zeichnet das Buch aus?
BB:
Rund 190 Lieder umfasst das Buch, die thematisch angeordnet sind und sich an die Lebenswelten der Kitas anpassen. Das Buch bietet eine thematische wie auch musikalische Vielfalt für die 0 bis 8-Jährigen. Man kann es vielleicht mit dem Erlernen einer Sprache vergleichen. Kinder lernen nicht Sprache durch einfaches Sprechen, sondern durch den normalen Sprachgebrauch im Alltag. So ist es auch beim Musizieren: Lieder dürfen nicht künstlich reduziert werden, um sie melodisch oder rhythmisch zu vereinfachen. Sie müssen musikalisch wertvoll und reichhaltig sein. Musikalische Entwicklung vollzieht sich auch durch eine reichhaltige Umgebung. Dazu soll das Liederbuch beitragen.
HFH:
2018 wird es ein Handbuch zum Liederbuch geben.
BB:
13 Autoren haben an diesem Handbuch mitgearbeitet, welches von meiner Kollegin Silvia Möller und mir herausgegeben wird. Ziel ist es auf der einen Seite, Fragen aus dem Alltag zu vertiefen. Warum soll ich beispielsweise täglich mit Kindern singen? Erzieher bekommen hier eine Argumentationshilfe. Es geht aber auch darum, wie mache ich das überhaupt? Wie fange ich an? Die Autorin Alexandra Ziegler geht von der These aus, man muss es im Team bewerkstelligen. Mir persönlich kommt dies sehr entgegen. Es kann und darf nicht nur eine Erzieherin singen, sondern alle. Das Gute ist, dass nicht jeder alles gut können muss. Der eine spielt Gitarre, der andere bringt neue Ideen von einer Fortbildung mit – Singen im Team ist wichtig.
Aber das Handbuch gibt auch Antworten auf Fragen, wie gebe ich den richtigen Anfangston, muss ich ein Instrument spielen können? Es gibt ein Kapitel zum Thema Liedbegleitung und gezielter Einsatz elementarer Musikinstrumente.
HFH:
Wäre es nicht besser, wenn die Ausbildung zum Erzieher/Erzieherin musikalisch umfangreicher gestaltet würde?
BB:
Das ist ein Wunschdenken. Wer heute als Erzieher ausgebildet wird, muss sich sehr breit qualifizieren. Bewegung mit Kindern, Philosophieren mit Kindern, Natur und Technik erleben mit Kindern – bei so einer Themenvielfalt ist es wichtig, eine musikalische Grundqualifikation zu erwerben.
HFH:
Kann ich als Vater oder Mutter auch mit diesem Handbuch arbeiten?
BB:
Das Handbuch ist so konzipiert, dass ich es als niederschwellig und voraussetzungsoffen bezeichnen würde. Sie müssen Spaß am Singen haben. Das ist das A und O. Alles andere ist selbsterklärend. Es wird mit Sicherheit den einen oder anderen Fachbegriff geben, der nicht geläufig ist. Eine Definition findet sich am Ende der Handreichung. Die Handreichung eignet sich auch sehr gut für Grundschullehrer, die später die Kinder aus den Kitas übernehmen. Das Liedgut ist nicht auf eine bestimmte Zeit festgelegt, sondern wird durch das Leben mitgetragen. Wenn ich Ideen und Anknüpfungspunkte habe ein Lied immer wieder zu singen – da setzt das Handbuch an. Ideenreichtum brauchen wir, denn wenn wir vielfältig mit Kindern singen, bleibt der Spaß erhalten.
HFH:
Welchen Schritt muss die Initiative „Die Carusos“ als nächstes gehen?
BB:
Steter Tropfen höhlt den Stein. Man muss am Thema bleiben. Die Initiative ist noch nicht bereit genug aufgestellt, dass sie flächendeckend arbeiten kann. Vorteil ist die Orts- und Personenunabhängigkeit im Vergleich zu anderen Projekten dieser Art. Die Initiative muss sich weiterentwickeln. Das soll heißen, dass sie sich der Übergangsphase – 7-Jährige aufwärts – , sowie bis zu den 16-Jährigen annehmen muss. Wir können nicht immer aufs neue ein Feuer entfachen.
HFH:
Vielen Dank für das Gespräch.
Holger Frank Heimsch im Gespräch mit Prof. Dr. Barbara Busch
Dr. Barbara Busch, Diplommusiklehrer-Studium (Querflöte) an der Hochschulefür Musik und Theater Hamburg. Magisterartium (Musik- und Erziehungswissenschaft) an der Universität Hamburg. Erstes und Zweites Staatsexamen für das Höhere Lehramt (Musik und Pädagogik) an den Universitäten Hamburg und Münster. Promotion 1999 an der Universität Hamburg über „Berthold Goldschmidts Opern im Kontext von Musik- und Zeitgeschichte“, ausgezeichnet mit dem Hamburger Wissenschaftspreis Kurt-Hartwig-Siemers.
Barbara Busch lehrt seit 2004 als Professorin für Musikpädagogik an der Hochschule für Musik Würzburg; seit 2014 Studiendekanin und seit 2016 Mitglied des Vorstands der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung Trossingen.
In Forschung und Lehre Verbindung künstlerischer und musikpädagogischer Erfahrungen mit wissenschaftlicher Reflexion. Ihr Interesse für Fragestellungen der Instrumentaldidaktik und Elementaren Musikpädagogik sowie für musik- und bildungshistorische Themen spiegelt sich in verschiedensten Publikationen:
Veröffentlichung von Standardwerken („Einfach musizieren!? Studientexte zur Instrumentalpädagogik, Wißner 2014 sowie „Grundwissen Instrumentalpädagogik“, Breitkopf & Härtel 2016) sowie zahlreicher Buch- und Lexikonbeiträge.
Einladungen zu Vorträgen, Gutachtertätigkeiten und Workshops im In- und Ausland stehen neben Arbeiten für das Goethe-Institut und der wissenschaftlichen Begleitung musikpädagogischer Projekte wie Die Carusos (Deutscher Chorverband).