Die Sommerreise des Friedrich Silcher in das Land der Staufer
Schon zu Silchers Zeit zogen die Sänger sommers gern in die Ferne. Aber nicht nur sie. Auch der Tübinger Universitäts-Musik-
direktor selbst ließ es sich nicht nehmen, während der Ferien auf Reise zu gehen.
„In der Vakanz war ich auf Hohenstaufen, in Lorch auf den Kaisergräbern, Gmünd usw.“, schrieb der Musikdirektor 1838 an seinen früheren Schüler Fritz Weizsäcker. Und er fügte hinzu: „Sie können (sich) denken, wie mir da zu Muth war.“
Auf den Spuren der Staufer
Silcher war damals also auf eine „Tour de Ländle“ gegangen, um alte Stauferorte zu besuchen. Die geschichtsträchtigen Stätten wiederum haben wohl einen ziemlichen Eindruck auf sein Gemüt gemacht. Er war sicher nicht der einzige, dem es damals beim Besuch historischer Stätten so erging.
Das romantische Bild der Staufischen Adeligen
Das längst erloschene Adelsgeschlecht der Staufer (auch „Hohenstaufen“), das zwischen dem 11. und 13. Jh. mehrere schwäbische Herzöge, Könige und Kaiser hervorgebracht hatte, stand in der Epoche der Romantik und im Vormärz beim deutschen Bürgertum hoch im Kurs. Mit dem Adelsgeschlecht der Staufer verknüpfte man das strahlende Bild einer geeinten deutschen Nation, deren Wiederauferstehung man nun herbeisehnte. Symbolfigur dieser Nationalidee war der Stauferkaiser Friedrich Barbarossa, über den Friedrich Rückert 1817 folgende Verse schrieb:
„Er hat hinabgenommen
Des Reiches Herrlichkeit
Und wird einst wiederkommen
Mit ihr, zu seiner Zeit.“
Kein Zufall, dass der Schwäbische Sängerbund (Chorverband) 1857 als Schmuck für seine neue Bundesfahne – das so genannte Stauferbanner – ausgerechnet ein Staufermotiv wählte!
Die Staufer als Vorbild von Literatur und Kunst – auch bei Silcher
Die sowohl an Höhepunkten als auch an Tragödien reiche Geschichte der Staufer lieferte außerdem reichlich Stoff für Literatur und Kunst. Unzählige Romane, Gedichte und Dramen beschäftigten sich mit dem Adelshaus, nicht selten aber leider mit
einem eher bescheidenen künstlerischem Ergebnis.
Silcher ließ sich von dieser Staufer-Mode ebenfalls anstecken. Seine Tour von 1838 führte ihn nicht zufällig an die oben genannten Orte. Sie ist vielmehr in Verbindung mit einer Veröffentlichung zu sehen, die er in jenem Jahr für den Stuttgarter Verleger Liesching vorbereitet hat: die „Hohenstaufenlieder“ (op. 32).
In seinem Brief an Weizsäcker bemerkte Silcher zum weiteren Verlauf seiner Fahrt: „Auf meiner Rückreise ging ich in Stuttgart zu dem kunstsinnigen Buch- u. Kunsthändler Samuel Liesching, der (den) Hohenstaufen im Stahlstich herausgab, gerade so im Sturm gezeichnet, wie ihn mein Bauer´sches Lied beschreibt.“
Ein Lied über den Hohenstaufen
Silcher spielt hier auf einen von Carl Ludwig Frommel gezeichneten Stahlstich an, der den Berg Hohenstaufen bei düsterer Gewitteratmosphäre zeigt. Das Bild erinnerte den Komponisten an ein Gedicht seines einstigen Schülers Ludwig Bauer, das er erst kürzlich für sein geplantes Heft vertont hatte:
„Wie ragt das Schloss in Gewölk und Sturm!
Die Leuchte zittert im Bubenthurm,
Das Burgtor knarrt mit Riegel und Kette,
Die Zofe wacht an der Kaiserin Bette.“
Das Gedicht „Der Mutter Ahnung“ schil-
dert eine gespenstische Erscheinung, von der die Mutter des letzten Staufers Konradin in der Nacht vor dessen Hinrichtung im Jahr 1268 heimgesucht wird. Bauer hat diesen Text als Beispiel für die Schauerromantik der Biedermeierzeit verfasst und ihn in seinem komischen Roman „Die Überschwänglichen“ veröffentlicht. Silcher hat ihn dort gefunden.
Kritik am Werk
Er hätte ihn auch besser dort belassen sollen! Das zumindest fand 1840 ein Berliner Rezensent des inzwischen erschienen Heftes.* Der Komponist habe zwar „Lobenswerthes geleistet“, schreibt der Kritiker gönnerhaft; er habe aber letztlich sein musikalisches Können an „dichterische Nullitäten“ verschwendet. Das sei namentlich der Fall „bei dem ersten Liede: ´Wie ragt das Schloss in Gewölk und Sturm´, das uns nur leeres Pathos bringt“.
Überhaupt, so sagt der Kritiker, „wollen die Worte“ der von Silcher ausgewählten lyrischen Erzeugnisse „nicht gut ins Gewand der Musik“ hinein. Einzige Ausnahme sei eben das „herrliche allbekannte Lied“ des Rückert´schen „Barbarossa“, „welches auch in der Musik den würdigsten Ton getroffen“ habe. Es mache letztlich „den Werth des ganzen Heftes“ aus, sei aber schon seit vielen Jahren separat in Umlauf.
Etwas freundlicher beurteilte man dagegen Silchers neues Opus dagegen in seiner schwäbischen Heimat. In den Jahrbüchern des deutschen Nationalvereins für Musik (Stuttgart 1839) werden die Lieder, in denen „der süße Traum alter deutscher Kraft und Herrlichkeit ein begeisterndes Leben“ atme, zur Anschaffung empfohlen.
Weiter heißt es: „Diese Sammlung erinnert an das schöne Bild von Hohenstaufen, das vor Kurzem in demselben Verlage erschien; bildende Kunst, Musik und Poesie vereinigen sich zur Feier des Gedächtnisses einer großen Zeit deutscher Geschichte und ihrer Reste“. Vom Erfolg des Heftes her gesehen ist´s eine ziemlich kleine Feier geblieben.
Rudolf Veit
* Hohenstaufenlieder / von L. Bauer, J. Ker-
ner, P. Pfizer, G. Rapp und F. Rückert. Für eine Alt- oder Baßstimme mit Begleitung des Pianoforte. Componiert und den edlen Dichtern verehrungsvoll gewidmet von Fr. Silcher. Op. 32. Stuttgart, S.G. Liesching, 1838!