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SINGEN 2018-09, Thema

„Chöre sind wichtig für den Zusammenhalt“

Interview: Nina Ruckhaber / Redaktion: Nina Ruckhaber & Klaus Frech
10. September 2018

Nina Ruckhaber im Gespräch mit Christian Wulff, Präsident des Deutschen Chor-
verbandes, über die Zukunft des Verbandes und die Rolle der Vereine in Deutschland

Ruckhaber: Sie sind seit 6 Monaten Präsident des Deutschen Chor-
verbandes (DCV). Welches sind die aktuellen Themen, mit denen Sie
sich im Verband beschäftigen?

Wulff: Übernommen habe ich das Amt des DCV-Präsidenten, um die
Lobbyarbeit für das dt. Chorwesen zu verbessern, das Ansehen von Chormusik und Chören zu erhöhen und das Bewusstsein zu verbrei-
ten, wie wertvoll Chöre für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind.
In den von Ihnen genannten ersten Monaten habe ich den Eindruck
gewonnen, dass wir den Mitgliedsverbänden des DCV den Wert und
die Bedeutung der eigenen Mitgliedschaft vor Augen führen müssen,
dass wir den Verband insofern ein Stück weit reformieren und basis-
näher organisieren müssen, dass wir also mehr Hilfe vor Ort anbieten
müssen, als von der Zentrale her zu denken. Ich hoffe, dass wir der Mitgliederversammlung im November dazu Ergebnisse vorlegen kön-
nen und uns dann ganz den eigentlichen Aufgaben widmen können:
Wieder mehr Mitglieder in die Chöre zu bekommen und größere Re-
sonanz und öffentliche Anerkennung für Chöre zu bewirken. 

Ruckhaber: Es gab einige Umbrüche. Was nehmen Sie Positives aus den ersten sechs Monaten mit?

Wulff: Total begeisternd und eindrucksvoll ist das enorme ehrenamt-
liche, professionelle Engagement von Chorleitern, von Veranstaltern,
von Chortagen: Bei chor@berlin z. B. „Pop-Up“ und andere Chöre erlebt zu haben, mit einem ganz jungen, ganz kreativen Publikum, wo Begeisterung und die Lebensfreude am Gemeinsamen spür- und
erlebbar war – das hat mich total begeistert. Ebenso z. B. bei Händels
„Jephta“ bei den Chortagen Hannover in den Herrenhäuser Gärten; auch da habe ich mich gerne mitreißen lassen.

Ruckhaber: Gesamtgesellschaftlich betrachtet gibt es derzeit in Deutschland relativ viele strukturelle Herausforderungen. Sehen Sie
da ein Potenzial des Chorgesangs?
Wulff: Ich bin überzeugt, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger
spüren, wie sich der Wandel beschleunigt, wie sich Dinge um einen herum verändern: durch die Digitalisierung der Kommunikation, durch
die Globalisierung – das überfordert manche, es fordert alle. Es wird
ja in einigen Ländern der Welt schon diskutiert, Ministerien gegen Einsamkeit, gegen Vereinzelung einzurichten. Die beste Antwort auf
diesen beschleunigten Wandel ist die Förderung von Geselligkeit, Zu-
sammengehörigkeit und Miteinander. Es gibt das schöne Zitat „Musik
braucht keinen Dolmetscher“; gemeinsam in einem Chor zu singen verbindet an sich schon, integriert Menschen, schafft Möglichkeiten
der Teilhabe, der Anerkennung, der Aufmunterung, fördert aber auch
Integration, Austausch, musisch-kulturelle Bildung und steigert sogar
den Intelligenzquotienten. Es ist so viel Positives mit Chören verbun-
den, dass mir Chöre eine der klügsten Antworten auf die Herausforderungen dieses 21. Jahrhunderts zu sein scheinen. 

Ruckhaber: Wo sehen Sie die Rolle des DCV bzw. der Vereine in der
Demokratie?
Wulff: Deutschland ist auch deshalb im internationalen Vergleich so erfolgreich, weil wir ein Land der Kleinstaaterei und der Vereins-
meierei sind. Es gehört bei uns zum guten Ton, in mehreren Vereinen
Mitglied zu sein, sich selbst zu engagieren, sich vor Ort zu kümmern;
nicht auf Lösungen von oben zu warten, sondern unten, im Dorf, in
der Gemeinschaft anzupacken und Menschen, die abseits stehen, einzubinden. Deshalb muss der Deutsche Chorverband das Sprach-
rohr dieser vielen ganz unterschiedlichen Chöre in Deutschland sein
und ihnen Dienstleistungen anbieten zu Themen wie GEMA, oder der
Gestaltung der Homepage. Der DCV muss die Arbeit von Chorleitern
und Chören fördern, begünstigen, erleichtern, muss den Informationsaustausch sicherstellen, ein Netzwerk sein – aber eben auch ein starkes Sprachrohr sein. Ich bin ein bisschen entsetzt, wie wenig Geld
für das Laienmusikwesen in Deutschland von Bund, Ländern und Kommunen gezahlt wird; natürlich müssen wir den öffentlichen Bei-
trag steigern. Offenkundig ist es leichter, Gelder loszueisen, wenn das Kind im Brunnen liegt, als zu verhindern, dass es überhaupt erst
reinfällt. Und diese präventive Qualität von Kultur würde ich als DCV-Präsident gerne in die Debatte mit politischen Vertretern ein-
bringen.

Ruckhaber: Wo sehen Sie die Zukunft der Vereine in Deutschland?
Wulff: Vereine haben etwas sehr Verantwortliches, Stabilisierendes,
Dauerhaftes, sie sind Traditionspflege, Herkunft und Entwicklungspotential. Es wäre zu wünschen, dass viele spontane, freie Initiati-
ven wie z. B. Pop- und Jazzchöre auch in Vereinsstrukturen geführt werden, um dauerhaft organisiert zu sein, um nicht von einem Chor-
leiter oder Spontanität abhängig zu sein. Vereine schaffen Stabilität
und können aus einem breiten Fundus schöpfen. Im dt. Sängerwesen spüre ich natürlich die Tradition, die dort oftmals sehr eindrucks-
voll atmet. Sich aus dieser Tradition heraus modern aufzustellen, in
der modernen digitalen Gesellschaft präsent und vor Ort zu sein, ist
eine echte Herausforderung.

Ruckhaber: Glauben Sie, dass die Vereinsstrukturen bei der Umset-
zung der Demokratie helfen?

Wulff: Demokratie kommt vom griechischen Wort „demos“: Volks-
herrschaft. Und Demokratie funktioniert überhaupt nur, wenn das Volk herrscht, herrschen will, sich zur Wahl stellt, selbst wählt, etwas
tut, sich engagiert, nicht nur darauf hofft, dass es andere tun. Deswe-
gen gehören Demokratie und bürgerschaftliches Engagement sach-
notwendig direkt zusammen. Ein Verband wie der DCV, der Millionen
Sängerinnen und Sänger vertritt, ist wichtiger Teil der Demokratie: Die Macht geht vom Volk, von der Basis aus; das Volk kann sich sel-
ber einbringen, mitwirken und Einfluss nehmen. Das ist ein konstitu-
tives Element von Demokratie.

Ruckhaber: Man kann den Umgang im Verein als Spiegelbild der Gesellschaft bezeichnen. Glauben Sie, dass in Vereinen Menschen einen demokratischen Umgang miteinander lernen können?

Wulff: Wenn ich höre, wie in Chören manchmal diskutiert wird, ob alle ein Halstuch bei der Aufführung tragen und in welcher Farbe es denn sein soll und ob alle die gleiche Farbe tragen, dann erlernt man dort Mehrheit und Minderheit in Abstimmungsverfahren, also Demokratie. Das ist ein Ort gelebter Demokratie. 

Ruckhaber: Wie stehen Sie zur Professionalisierung im Ehrenamt?
Wulff: Wir als DCV finden die Initiative der Deutschen Chorjugend gut, Chormanager auszubilden, Seminare für bessere und effizientere Organisation und Vermarktung von Chören anzubieten: Hier kann man Chöre professionalisieren, um Ehrenamtliche zu entlasten.
Denn die Bereitschaft, dauerhaft einen Großteil seiner Zeit einzu-
bringen, sinkt, während die Anforderungen im beruflichen, familiä-
ren Bereich steigen – da ist es immer gut, niemanden zu überfordern, sondern ihr oder ihm Hilfen an die Hand zu geben.

Ruckhaber: Wie gewinnt man Nachwuchs für das Ehrenamt im Vereinsbereich?
Wulff: Ich glaube, wer dabei ist, merkt schnell, welche Freude ihm das vermittelt und welche neuen Bezüge und Beziehungen, Kontakte,
ja welche Freude es auch auslöst. Aber junge Leute überhaupt erst zu dieser Erfahrung zu bringen, ist schwieriger geworden, weil man
mit anderen konkurriert, die auch um junge Leute buhlen. Insofern ist für mich das Wichtigste, dass man Kindern im Kindergarten und
in der Grundschule das Singen viel näher bringt, dass noch viel mehr
gesungen wird und dort neue Kinderchöre gegründet werden. Denn
wer früh ans Singen herangeführt wird, singt sein ganzes Leben lang;
wer daran nicht herangeführt wurde, wird eventuell niemals das Glücksgefühl einer Zugehörigkeit zu einem Chor erleben.

Ruckhaber: Was tut der DCV für seine Vereine? Warum ist es für einen Verein wichtig, beim DCV Mitglied zu sein? 

Wulff: Einmal bieten wir natürlich sehr viel Unterstützung, Informa-
tion, Vernetzung, um Vereine gut zu führen und Chöre gut zu leiten.
Aber das Bessere ist Feind des Guten. Wir glauben, dass wir zwar gut
sind, aber noch besser werden können und haben eine Reihe von Gremien eingerichtet, die jetzt tagen und bereits im November der Mitgliederversammlung Ergebnisse vorlegen sollen: wie wir unsere „Chorzeit“ besser machen, wie wir unsere Angebote transparenter ma-
chen, wie wir den Nutzen des DCV deutlicher machen und wie wir mehr öffentliche Mittel für Mitgliedsverbände in den Bundesländern
gemeinsam durchsetzen können, damit dieser Bereich die Unter-
stützung erfährt, die er aus meiner festen Überzeugung heraus ver-
dient hat. 

Ruckhaber: Mitglied im Chor zu sein bedeutet, in einer Gemeinschaft zu sein. Warum ist diese Gemeinschaft unentbehrlich?

Wulff: Es gibt ein Buch eines Kolumnisten der New York Times über
den beschleunigten Wandel: Thomas Friedman, „Thank you for being
late“ Er kommt am Ende zum Ergebnis, dass jeder – auch in der mo-
dernen, digitalen Gesellschaft – einen Mentor, einen Hinweisgeber braucht. Jemand, der ihm die Hand auf die Schulter legt, der ihm Mut
macht, der ihm Hinweise gibt und an Wegmarkierungen Hilfestellung leistet. Das alles geschieht im Chor. Dort treffen Menschen zu-
sammen und verbinden sich miteinander, über das Singen hinaus, in ihrer Freizeit. Und diese menschlichen Bindungen von Mentoren zu Mentees, von Älteren zu Jüngeren, von Berufstätigen zu Berufs-
suchenden stellen Verbindungen her, die ein Leben lang tragen. „Allei-
ne klingt es bei weitem nicht so toll wie zusammen“ und „Je besser wir zusammenwirken, desto besser klingt es zusammen“; das sind Gefühle, die man nicht nur in der Musik gebrauchen kann, sondern auch in anderen Bereichen des Lebens.

Ruckhaber: Was wünschen Sie sich von den Vereinen im DCV?
Wulff: Gemeinsinn: Dass wir die Begeisterung, die wir fürs Singen und für die Chöre haben, nach außen tragen und uns darauf konzen-
trieren, unsere Wirkung zu erhöhen, statt uns intern mit Debatten aufzureiben und einander die Zeit zu stehlen, die wir besser nutzen können, um für die Chorszene aktiv Werbung zu machen.

Ruckhaber: Wie kann sich ein Verein bei der Gestaltung des Ver-
bandes einbringen?
Wulff: Zu meiner Verwunderung finden jetzt, teilweise erstmals, Ein-
bindungen einzelner Vereine und Mitgliedsverbände in die konkre-
te Gremienarbeit intensiv statt; jeder, der eine Idee oder Kritik hat, kann sie loswerden und wird eine Antwort bekommen. Die Stimme des Schwäbischen Chorverbands wird ja ganz kontinuierlich durch Herrn Dr. Jörg Schmidt erhoben: Er achtet darauf, dass wir nichts machen, was nicht auch Schwaben nutzt. Aber das Feld, sich einzu-
bringen, ist unerschöpflich. Natürlich ist die Haupteinbringung bei unseren großen Veranstaltungen chor.com und Chorfest erwünscht –
zum gegenseitigen Nutzen und zur Außenwirkung – aber auch zwi-
schen diesen Großveranstaltungen sind unsere Ohren weit offen. Wir
sitzen da nicht in Berlin in der Zentrale und walten unserer Amts-
geschäfte, sondern wir sind vor Ort unterwegs. Ich war jetzt beim Hamburgischen Chorverband, beim Niedersächsischen Chorverband,
beim Fränkischen Sängerbund und höre vor Ort, wo der Schuh drückt
und wo der DCV helfen kann. Ganz besonders freue ich mich auf das Chorfest Heilbronn, weil ich die Verbindung von Chormusik und Bundesgartenschau toll finde. Man findet dort große Resonanz
seitens der Besucher, und in der Natur ist immer eine sehr aufge-
räumte Stimmung. Da ich viele Bundesgartenschauen erlebt und sogar eine in Koblenz als Bundespräsident eröffnet habe, freue ich mich auf den Schwäbischen Chorverband in Heilbronn, der sich darauf seit Langem schon gut vorbereitet.

Ruckhaber: Wo geht es mit dem DCV hin? Welche Herausforderungen stehen an?
Wulff: Für mich wäre es schön, wenn wir mit dem Deutschen Chor-
zentrum, mit den großen Ereignissen und den vielen kleinen Gesprä-
chen, Terminen, Veranstaltungen, die wir machen, mehr Menschen darauf stoßen könnten, in einen Chor einzutreten, im Chor mitzu-
singen und damit auch ihr Leben zu verlängern: Es ist ja der Nach-
weis geführt, dass eine langjährige Mitgliedschaft in einem Chor das
Leben verlängert – weil gemeinsames Singen offenkundig Lebens-
freude vermittelt.

Amateurmusik, Chor, Deutscher Chorverband, Verein
„Chöre sind wichtig für den Zusammenhalt“
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