Ein Denkmal für den ersten Bundeschormeister
Am 5. Juni 1894 starb Immanuel Faißt, der Mitbegründer und erste Chormeister des Schwäbischen und des Deutschen Sängerbundes (Chorverbandes).
„Der Schwäbische Sängerbund hat die Absicht, das Andenken seines heimgegangenen Ehrenchormeisters durch ein einfaches, würdiges Denkmal zu ehren“.
Mit diesen einleitenden Worten wandte sich der Chorverband am 20. Dezember 1894 in der Tagespresse an die Öffentlichkeit. Mit einem Artikel rief er alle Sänger dazu auf, an dem geplanten „Werk der Pietät ihren tatkräftigen Anteil zu nehmen“ und Spenden für die Verwirklichung eines Faißt-Denkmals zu sammeln.
Aber nicht nur die Mitglieder des Schwäbischen und des Deutschen Chorverbands wurden 1894 um Hilfe gebeten. Man sprach auch „die zahlreichen Schüler Faißts“ vom Stuttgarter „Königlichen Konservatorium für Musik“ sowie den hiesigen „Verein für klassische Kirchenmusik“ an. Und die Bereitschaft war groß. Zwei Jahre später, am 6. Dezember 1896, konnte die Sängerschaft unter reger Anteilnahme der Bevölkerung die Einweihung des Denkmals an Faißts Grab feierlich begehen.
Ein Denkmal wird zum Denkmal
Das Monument auf dem Pragfriedhof, inzwischen selbst ein in die Denkmalliste des Landes eingetragenes Kunstdenkmal, erinnert noch heute an seinem ursprünglichen Platz an den bedeutenden Förderer des Chorgesangs. Es handelt sich um ein Porträt, das den Musiker als vollbärtigen Mann im fortgeschrittenen Alter als imposante, aber durchaus freundliche Persönlichkeit zeigt. Die vollplastische Büste ist aus weißem Carrara-Marmor gefertigt und thront auf einem hohen, grauen, mit einer Inschrift versehenen Granitsockel.
Der Schöpfer des Werks, der seitlich seine Signatur hinterlassen hat, war Karl Donndorf (1870 -1941). Der Sohn des bekannten Stuttgarter Akademieprofessors Adolf Donndorf hatte zunächst in Stuttgart, später in Dresden (1892), Paris (1900) und Rom (1902) studiert. Seine Faißt-Büste von 1896 ist ein Jugendwerk, das noch stark an die Arbeiten seines Vaters erinnert. Die beiden Donndorfs waren einst nicht nur gefragte Porträtisten, sie haben auch sonst eine ganze Reihe Denkmäler, Brunnen und anderweitiger Arbeiten hinterlassen. Von Karl stammt u.a. der „Schicksalsbrunnen“ beim Stuttgarter Opernhaus.
Ein großes Erbe
Das Faißt-Denkmal ist nicht das einzige Monument dieser Art, das der Schwäbische Chorverband im Lauf seiner Geschichte initiiert und (mit-)finanziert hat und für dass er heute noch teilweise Sorge trägt. Diese Denkmäler bedürfen allerdings auch immer wieder der Pflege. So sollte das Faißt-Denkmal demnächst gereinigt und seine verblichene Inschrift erneuert werden.
Vielleicht finden sich ja – wie einst vor 125 Jahren – auch heuer Chöre, Sänger und sonstige Verehrer des Musikpädagogen, die etwas zur Erhaltung seines Denkmals beitragen wollen.
Ein Leben für die Musik
„Die Lieder unserer schwäbischen Dichter erfüllen das ganze Vaterland, an bedeutenden Musikern [dagegen] ist das sangesfrohe Schwabenland verhältnismäßig nicht so reich. Aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts sind Conradin Kreutzer und Friedrich Silcher die Namen, welche am längsten fortleben werden, in der zweiten Hälfte ist Immanuel Faißt einer der hervorragenden Musiker“. Mit dieser Beurteilung beginnt ein 1894 veröffentlichter Nekrolog auf den gerade Verstorbenen.
Ein großes musikalisches Talent
Faißt, der 1823 als Sohn eines Lehrers in Esslingen das Licht der Welt erblickt hatte, war die Musik schon mit in die Wiege gelegt.
Beim Vater lernte er das Klavierspiel, als Neunjähriger konnte er bereits den Gottesdienst auf der Orgel begleiten. Doch bevor sich der Junge ganz seiner eigentlichen Begabung widmen durfte, musste er 1840 in Tübingen ein Studium der evangelischen Theologie antreten.
Auch in der Universitätsstadt fiel Faißts Talent auf. Er spielte im Stiftsorchester die Baßgeige, sang in der Liedertafel und begleitete im Oratorienverein die Proben und Aufführungen am Flügel (während Silcher den Chor dirigierte). In Tübingen organisierte er außerdem zusammen mit seinem Freund Otto Elben 1843 ein großes Schwäbisches Liederfest. (Sechs Jahre später, 1849, werden die beiden zu den Gründungsvätern des Schwäbischen Chorverbands gehören und 1862 zu den Gründern des Deutschen Chorverbands.) Als Bundeschormeister leistete Faißt den Sängern des Landes von 1849 bis 1892 unschätzbare Dienste!
Ein Musiker auf Umwegen: Sein Werdegang
Schon als Seminarist in Schöntal hatte der Musiker Lieder (u. a. zu Texten von Uhland und Mörike) komponiert, aber auch Orgelstücke und Sinfonien „im Haydn-Mozart-stile“, ferner Klavier-stücke: „Faissts Lieder ohne Worte verdienten ein Urteil, welches Lob und Kritik zugleich enthielt: man konnte dieselben ohne allen Anstand für Mendelssohn´sche ausgeben,“ schreibt ein Kritiker.
Nach Abschluss des Theologiestudiums ging Faißt 1844 zum Studium der Kirchenmusik nach Berlin. Seinen Lebensunterhalt erwarb er durch Klavierauszüge für Verlage (z. B. von Haydns Schöpfung), außerdem gab er viel beachtete Orgelkonzerte. Zurück in Württemberg ließ er sich in Stuttgart nieder, wo er 1847 den „Verein für klassische Kirchenmusik“ (heute Stuttgarter Oratorienchor) und 1857 die „Stuttgarter Musikschule“ (heute „Hochschule für Musik“) mitbegründete.
Faißt veröffentlichte mehrere Lehrbücher, u. a. 1847 die „Tonsatzlehre für künftige Organisten“ und 1880–1882 die „Elementar- und Chorgesangschule für höhere Lehranstalten“. Von seinen zahlreichen Kompositionen seien hier nur die „Stuttgarter Synagogengesänge“ von 1861 erwähnt (Für Solo oder gemischten Chor mit Orgelbegleitung, Texte in Hebräisch). Bei all diesen Verdiensten wundert es nicht, wenn die Schwäbische Chronik am 8. Juni 1894 berichten konnte: „Eine großartige Kundgebung der Liebe, Verehrung und Dankbarkeit war gestern Nachmittag 4 Uhr die auf dem Pragfriedhofe erfolgte Bestattung Prof. Dr. Faißts“.