Wie Chöre sich dabei oft selbst im Weg stehen – und wie sie es dennoch schaffen können:
Sicher, kleine Dinge müssen sofort entschieden werden. Zum Beispiel, was beim Chorwochenende gegessen werden soll oder welches Geschenk der werdenden Mutter überreicht wird. Es ist in Ordnung, solche kleineren Themen jederzeit in die große Runde zu werfen. Sobald aber Entscheidungen mit größerer Tragweite getroffen werden müssen, funktioniert diese spontane Form nicht. Dennoch ist eben genau das der häufigste Fehler, der einen friedlichen Entscheidungsprozess von vorn herein torpediert. Welche Fehler man sonst noch so machen kann und wie man sie in Zukunft vermeidet – davon handelt dieser Artikel.
Was ist eigentlich eine gute Entscheidung?
Es geht hier nicht ums Prinzip! Jede Entscheidung, die eine geklärte und friedliche Atmosphäre hinterlässt, ist eine gute. Ganz egal, wie sie getroffen wurde. Viele Entscheidungen verursachen keine Probleme, wenn klar ist, wer sie trifft. Wenn z. B. schon seit Menschengedenken vom Chorleiter entschieden wird, welche Songs gesungen werden, wird es damit kaum Probleme geben. Es darf und soll also weiterhin so verfahren werden. Solange, bis sich etwas unklar anfühlt und immer wieder für Konflikte in der Gruppe sorgt.
Eine gute Entscheidung erkennt man daran, dass sie eine geklärte, friedliche Atmosphäre hinterlässt. Gruppenmitglieder, die anderer Meinung sind, tragen die Entscheidung dennoch mit und stellen sie nicht immer wieder infrage. Das hört sich einfacher an, als es ist. Die Realität sieht oft anders aus.
Die 5 gefährlichsten Fallen auf dem Weg zur Gruppenentscheidung
1. Die Überrumplungs-Falle
Wer plötzlich mit einer neuen Kleidungsidee in der Chorprobe auftaucht muss sich nicht wundern, wenn sie ungesehen verrissen wird. Menschen brauchen Sicherheit. In diesem Fall die Sicherheit, dass sie ihre Einwände anbringen dürfen und sie auf eine transparente Weise am Prozess beteiligt werden. Viele Diskussionen drehen sich gar nicht wirklich um die Sache, sondern um das Gefühl, überrumpelt worden zu sein. Das kann leicht vermieden werden!
2. Die „keiner-weiß-worum-es eigentlich-geht“ Falle
Mangelnde Information ist wirklich eine große Gefahr für jede Entscheidung. Je genauer die Menschen wissen, worum es im Detail geht, welche Parameter mit einbezogen werden müssen, welche Ideen schon abgewogen und aussortiert wurden und aus welchem Grund, desto mehr Verständnis bringen sie logischerweise auf. Oft wird das einfach vergessen. Die Gruppe wird vor vollendete Tatsachen gestellt und hat nur noch geringen Handlungsspielraum, was sich in diffusen Widerständen äußert.
3. Die Konsens-Falle
In vielen Gruppen fehlt die Abstimmung am Ende! Es wird so lange diskutiert und geredet, bis es keine Einwände mehr gibt oder sie nicht mehr geäußert werden. Das führt dazu, dass viele Entscheidungen überhaupt nicht fallen, vertagt werden oder sich lediglich auf den kleinsten, gemeinsamen Nenner geeinigt werden kann.
4. Die „viel-zu-viele-Optionen“ Falle
Ein Mensch kann sehr gut zwischen drei Optionen abwägen und entscheiden. Wir überfordern unsere Gruppen, wenn wir ihnen eine ungezählte Anzahl an Optionen und Wahlmöglichkeiten zur Verfügung stellen.
5. Die Innovations-Falle
Gruppen ticken konservativ. Im Zweifel entscheiden sie sich für das Bekannte. Wenn kreative, zukunftsweisende oder innovative Prozesse anstehen, muss der Entscheidungsfahrplan angepasst werden.
Wie können nachhaltige Entscheidungen vorbereitet und getroffen werden?
Um nicht in die oben genannten Fallen zu tappen, können einige Vorkehrungen getroffen werden.
1. Die Entscheidung zeitig ankündigen
Zunächst sollte möglichst lange vorher angekündigt werden, welche Entscheidung wann ansteht. Wichtigste Information an dieser Stelle: wann darf der Chor worüber abstimmen? Und mit welcher Mehrheit gilt eine Entscheidung als getroffen?
2. Den Entscheidungsfahrplan vorlegen
Der Vorstand (bzw. das beauftragte Team) entwirft einen Entscheidungsfahrplan (zum Download auf www.chorliebe.de). Dieses zentrale Dokument enthält alle wichtigen Informationen, Details und Absprachen. Er wird zunächst allen wichtigen Einzelpersonen vorgelegt, die vorab informiert und /oder nach Ihrer Meinung gefragt werden sollen. Später dann dem Chor.
3. Alle Einwände sammeln
Es werden alle Einwände gesammelt- in der Chorprobe und per Mail. Es wird wirklich jeder noch so kleine Einwand entgegengenommen, ohne ihn zu kommentieren. Es geht nicht darum, alle zu berücksichtigen. Aber alle werden gelesen und zur Kenntnis genommen. Die wichtigsten fließen in die Vorschläge ein.
4. Unterpunkte sammeln
Entscheidungen sind meist viel komplexer, als sie zunächst aussehen. Bevor z. B. über neue Kleidung abgestimmt werden kann, müssen Details geklärt werden. Zu welchem Anlass wird sie getragen, was darf sie kosten, wer trägt die Kosten, sollen vorhandene Textilien integriert werden und so weiter. Oft müssen die Unterpunkte von Einzelpersonen, Teams oder dem Vorstand vorab entschieden werden. Diese Unterpunkte auf einer Liste sammeln (ebenfalls auf www.chorliebe.de).
5. Den Chor regelmäßig informieren
Im Laufe der Vorbereitung zur finalen Entscheidung werden sich immer mal wieder Dinge ändern. Darum sollte der Chor regelmäßig auf den aktuellen Stand der Dinge gebracht werden. Alles, was hier versäumt wird, rächt sich am Tag der Entscheidung in Form von emotionalen Ausbrüchen oder unangemessenem Verhalten einzelner SängerInnen, die sich übergangen fühlen.
6. Wachsam sein
In vielen Gruppen tauchen immer wieder Schwierigkeiten mit den selben Personen auf, die absichtlich oder unabsichtlich die Entscheidungsprozesse unfair torpedieren. Man sollte im Vorfeld kreativ bei der Frage werden, wie sich voraussehbare Konflikte entschärfen lassen. Zum Beispiel, indem man diese Menschen mit ins Boot holt, vorab nach ihrer Meinung fragt, oder sie sich in einem ernsten Gespräch zur Brust nimmt.
7. Zwischen drei Möglichkeiten wählen lassen
Egal, um welche Entscheidung es geht: der Mensch wählt am liebsten zwischen drei Optionen. Wenn irgendwie möglich, sollten also drei Vorschläge zur finalen Abstimmung gebracht werden. Zwei sind zu wenig, vier schon zu viel.
8. Der Vorstand führt durch den (Abstimmungs-)Prozess
Dieser wichtige Punkt kann eine Menge Nerven schonen! Alles, was im Chor passiert, braucht die Rückendeckung des Vorstandes. Der Vorstand ist immer DIE offizielle Stimme – auch, wenn die wichtigen Vorarbeiten von Teams übernommen wurden. Das Team kann erklären, beschreiben, argumentieren. Durch den Prozess führt aber der Vorstand. Darum ist es auch so wichtig, dass der Vorstand über alles informiert ist und sein Okay gibt. Sonst kann es im letzten Moment zu bösen Überraschungen kommen.
9. Am Ende auch wirklich abstimmen
Es ist schon kurios! Viele Gruppen durchlaufen diesen Prozess geradezu vorbildlich, um sich am Ende um die Abstimmung zu drücken. Vielleicht, weil jeder weiß, zu welch unfairem Verhalten sich „die Überstimmten“ manchmal hinreißen lassen. Dennoch: hier geht kein Weg dran vorbei. Je innovativer und kreativer ein Vorschlag ist, desto größer ist die Gefahr, dass er nicht oder nur gegen Widerstand umgesetzt werden kann. Das liegt in der Natur der Sache. Also: durch!
10. Sehr innovative und kreative Ideen nicht zur Abstimmung bringen
Eine Gruppe wird sich im Zweifel immer für das Gewohnte entscheiden. Manchmal muss man als Chor aber ungewohnte Wege gehen! Alle Visionen und besonders kreativen Ideen sollten daher anders abgestimmt werden. Hier gilt es zu klären, OB ein neuer Weg z. B. in Sachen Konzertform begangen werden soll, und WER das Vertrauen der Gruppe bekommt, es zu entwickeln. Das Konzept selbst wird dann nur noch mit dem Vorstand abgesprochen. Dies gilt z.B. für die Entwicklung eines neuen Logos, einer neuen Konzertform, eines ungewöhnlichen Projekts oder ähnlichem.
Zu letzt: „Ist egal, wir lassen das jetzt so“
Die wenigsten Entscheidungsprozesse werden von A-Z glatt laufen. Es gibt immer den Punkt, an dem man die Dinge zu den Akten legen muss. So ist das eben! Beim nächsten Mal gibt es die Chance zur Verbesserung des Prozesses.
Entscheidungen brauchen Strukturen. Auf www.chorliebe.de gibt es hilfreiche Dokumente zum Herunterladen.
Der Artikel erschien zuerst im Februar im „Chorliebe-Journal“.