Kinder und Jugendliche sind nicht nur die Zuhörer von morgen, sie sind auch heute schon gerne dabei – wenn man es für sie passend macht.
Haydn, Mozart, Bach … Die Liste der häufig musizierten Komponisten ist lang. Und ebenso lang ist in der Regel die Dauer der jeweiligen Konzerte, aufgeführt von Chören und Musikverbänden. Da wundert es kaum, dass die Kirchen und Konzertsäle doch fast ausschließlich mit Erwachsenen gefüllt sind, dabei oftmals mit dem vielbetitelten Silberhaarpublikum. Immerhin kennen die sich mit den Werken aus oder wissen zumindest, was sich in so einer Veranstaltung gehört und was nicht.
Wo bleibt die Jugend?
Soweit, so nachvollziehbar. Dennoch stellt sich hier die Frage nach den jüngeren Menschen unserer Gesellschaft, den Kindern. Sind nicht zuletzt sie es, die sich schnell von Musik begeistern lassen, die Melodien nachsummen oder gar dazu tanzen? Wo also finden sie ihren Platz in den Konzerten der Amateurchöre? Kann und sollte der Blick nicht auch nach ihnen gerichtet werden? Behutsames Heranführen an bedeutende Werke unseres kulturellen Lebens, sinnliche Erfahrungen mit einer Kunstform des Hörens. Dabei sind Kinder keineswegs nur das Publikum von morgen – sie sind es schon heute! Meistens aber dauern die Konzerte nun einmal doch zu lange für Grundschüler und sind dabei meist aufgrund ihrer Epoche in Sprache und Aufführungsform wenig kindgerecht.
Aufführungen können kindgerecht sein
Beispielsweise findet sich bei Joseph Haydns „Schöpfung“ wunderschöne Musik, dazu die Geschichte von der Entstehung unserer Erde und all das in musikalischen Bildern. Da lassen die Streicher die Sonne am Himmel aufgehen während das Fagott als Taube den Tag begurren lässt. Material also, um auch die jüngsten unter uns teilhaben zu lassen? Gemeinsam mit dem Stuttgarter Knabenchor collegium iuvenum entstanden so in der Vergangenheit unterschiedliche Konzertformate speziell für Kinder. Ende März 2019 stand im Jubiläumsjahr des Knabenchors erneut Joseph Haydns „Schöpfung“ für Kinder auf dem Programm. Der Chor musiziert ohnehin das gesamte Oratorium, hat also Orchester, Solisten und Veranstaltungsort für das betreffende Wochenende gebucht. Warum also sollte in einem Konzert für Kinder nur mit reduziertem Personal gespielt werden? Am Vortag wird daher mit derselben Besetzung der „großen“ Aufführung zusätzlich die eigene szenische Fassung für junges Publikum musiziert. Diese orientiert sich dabei dramaturgisch ausschließlich an den einzelnen Schöpfungstagen. Ausgewählte musikalische Partien fügen sich in eine kleine szenische Rahmenhandlung.
Die Geschichte für die Hörer aufgearbeitet
Ein Junge gerät zufällig in die letzten Vorbereitungen zu einem Konzert und löchert einen Mitarbeiter mit Fragen. Ist es Haydn persönlich oder kennt er sich einfach nur gut aus mit der Komposition? Der Mann nimmt den Knaben an der Hand und führt ihn stellvertretend für das Publikum durch das Chaos der Erschaffung der Erde, zeigt ihm Land, Wasser, Tier- und Pflanzenwelt. Dabei werden auch einzelne Instrumente heraus gestellt, um die Vertonung zu verdeutlichen, ehe sie sich wieder ins Ensemble einfügen und im Klang des Gesamtwerkes wiederfinden.
Die Identifikationsfigur des kleinen Jungen und die moderierende Leitung ermöglichen den Kindern eine Art Brücke, um erste Erfahrungen mit der Form des Konzerts sowie der klassischen Musik zu sammeln. Nach knapp 50 Minuten ist das Konzert beendet.
Nicht jedes Thema eignet sich gleich gut
Nun ist nicht jedes musikalische Werk von der Handlung per se so dankbar übertragbar für Kinder wie Bachs „Weihnachtsoratorium“ oder eben Haydns „Schöpfung“ es sind. Im Jahr 2015 wagte man sich ebenfalls in Stuttgart an Mozarts „Requiem“ für Kinder. In Kooperation mit einem Theaterspielclub am Jungen Ensemble Stuttgart (JES) entstand so „Amadeus` Erben“.
Unter theaterpädagogischer Anleitung erarbeiteten acht Kinder Szenen und Texte zu den Themen Tod, Trauer, Abschied und beschäftigten sich mit Fragen wie: Was möchte ich in meinem Leben erreichen bzw. abschließen und was soll einmal nach meinem Ableben von mir auf der Welt zurück bleiben? Die Umstände von Mozarts überraschenden Tod während der Kompositionsarbeiten dienten dabei als Grundidee, um die Kinder mit diesem Thema in Kontakt zu bringen.
Man muss die themen sorgsam behandeln
Nun schlagen besorgte Eltern und vorschnelle Pädagogen bestimmt die Hände über dem Kopf zusammen. Tod und Kinder? Das passt niemals zusammen! Eben doch! Werden schließlich auch schon junge Menschen damit konfrontiert oder stellen sich Fragen, denen es nicht auszuweichen gilt. Über die Musik des Requiems, die persönlichen Gedanken der beteiligten Kinder und die szenische Rahmenhandlung wurde die Musik für die jungen Zuhörer greifbar. Und so erlebte auch das anwesende erwachsene Publikum ganz neue Perspektiven auf ein vermeintliches Tabuthema der Gesellschaft. Kinderkonzerte sind keine Formate zweiter Klasse
Die beiden Beispiele sollen vor allem eines verdeutlichen: Kinderkonzerte sind keinesfalls Formate zweiter Klasse, die lediglich mit Klavierbegleitung funktionieren sollten. Oftmals ist dieses falsche Bild leider bei Veranstaltern und Musikern im Kopf. Bei ernsthafter Auseinandersetzung lassen sich hier aber mit klassischen Werken eigene Vermittlungsformate entwickeln, die jungen Menschen die Möglichkeit geben, eine erste Erfahrung mit Musik und dem Konzert an sich zu machen. Es empfiehlt sich durchaus, bei der Erarbeitung von Konzertformaten für Kinder oder auch nur zwecks Beratung auf professionelle Hilfe zurückzugreifen.
Und wer weiß? Vielleicht sitzt da dann nicht nur ein Konzertbesucher von morgen, sondern auch schon ein potentieller Sänger und Musiker von heute …
Hannes Michl absolvierte den Diplomstudiengang Szenische Künste an der Universität Hildesheim. Festengagements am Theater & Orchester Heidelberg (Text und Inszenierung „The Young Person`s Guide to the Orchestra“) und am Jungen Ensemble Stuttgart. Zusammen mit dem Knabenchor collegium iuvenum Stuttgart entstanden seit 2009 Haydns „Schöpfung“ für Kinder sowie „Amadeus` Erben – Mozarts Requiem für Kinder. Aktuell hat Hannes Michl neben freien Projekten einen Lehrauftrag für Theaterpädagogik am Institut für Soziale Berufe Stuttgart.