Der Verlag Breitkopf & Härtel feiert 2019 seinen 300. Geburtstag.
Breitkopf & Härtel wird 300. Zum großen
Jubiläum sind im Daniela Wolff und Frank Reinisch im Gespräch mit Verlagsleiter Nick Pfefferkorn und mit dem Buchlektor Thomas Frenzel.
Daniela Wolff/Frank Reinisch: 300 Jahre Breitkopf & Härtel im Jahr 2019: Das große Jubiläum fällt mit Sicherheit in ein besseres Jahr, als dies 1919 unmittelbar nach Kriegsende und 1969 mit den geteilten Feiern in den beiden deutschen Staaten der Fall war. Aber es wäre andererseits wohl auch nicht richtig, im Moment „Business as usual“ zu verlautbaren – weder für das Verlagsprogramm noch in der Leitungsebene im Verlag?
Nick Pfefferkorn: Nein, ganz im Gegenteil. Selbst wenn es im Verlag ganz nach „Business as usual“ zuginge, könnte man bei einem 300. Firmenjubiläum ganz sicher nicht davon sprechen. Bereits als ich 2015 in den Verlag eintrat, wurde ich kurze Zeit später mit den ersten Fragen zu diesem Thema konfrontiert. Im Grunde gehen wir in dieses Jubiläumsjahr mit genau so viel „Unruhe“, wie es sie zum 200. und zum 250. gegeben haben muss. Glücklicherweise können wir heute jedoch von „positiver Unruhe“ sprechen. Es gibt so viele span-
nende Projekte, die wir rund um das Jubiläumsjahr und darüber hinaus geplant haben, dass wir es selbst kaum abwarten können, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Eine dicke Katze ist ja nun mittlerweile aus dem Sack: Wir starten – pünktlich zu diesem herausragenden Ereignis in der Musikwelt – mit einem ebenso herausragenden Editionsprojekt.
Sämtliche Symphonien von Gustav Mahler werden in den kommenden Jahren in modernen, Maßstab setzenden Ausgaben bei Breitkopf & Härtel erscheinen und damit unseren Katalog mit einem wahrlich symphonischen Schwergewicht komplettieren. Gleichzeitig gehen wir aber auch den umgekehrten Weg, indem wir (endlich) unser Archiv öffnen. In der neuen Reihe „Breitkopf Originals“ legen wir Meilensteine des Verlagsprogramms – zunächst hauptsächlich aus dem Kammermusikbereich – in hochwertigen und originalgetreuen Reprintausgaben vor, die natürlich mit den heutigen Digitalisierungs- und Druckverfahren ganz anders hergestellt werden können, als dies zum Zeitpunkt ihres ursprünglichen Erscheinens der Fall gewesen ist. Insbesondere die viel gerühmte historische Optik und die Repertoireauswahl stehen im Fokus, und selbst wir sind überrascht, auf welche Raritäten wir bei unseren Archiv-Tauchgängen stoßen.
Thomas Frenzel: Es ist erfreulich, dass es nach der unfreiwilligen Aufgabe der Leipziger Zweigadresse Ende 2014 inzwischen wieder ein Büro in der Stadt der Verlagsgründung gibt, von dem aus die Kontakte zum Leipziger Musikleben und zu den vor Ort ansässigen Forschungseinrichtungen einfacher zu knüpfen und zu pflegen sind, als dies – trotz aller Kommunikationstechnik – von Wiesbaden aus möglich ist. Dies betrifft sowohl die schon existierenden längerfristigen wie auch noch aufzubauende Beziehungen. Letztlich hat Breitkopf & Härtel in der Stadt die vielfältigsten Spuren hinterlassen (und das reiche Musikleben Leipzigs den Verlag erst groß werden lassen).
Die Reaktionen, die wir in letzter Zeit diesbezüglich erfahren haben, lassen darauf schließen, dass der Name ja durchaus nicht vergessen ist. Die Adresse in Leipzig steht also für ein fortgesetztes Bekenntnis zu Leipzig als Gründungsort und für den Gewinn, der mit der 1991 erfolgten Zusammenlegung von KG West und VEB Ost verbunden ist, sie soll aber auch eine Art Initialzündung sein.
Daniela Wolff/Frank Reinisch: Zu Beginn des Jahres und mit der Gelegenheit, in den eigentlichen Geburtstag am 27. Januar hineinzufeiern, stand das Festkonzert am 26. Januar im Wiesbadener Kurhaus mit dem hr-Sinfonieorchester, Danach verlagert sich der Schwerpunkt des Verlagsjubiläums eher nach Leipzig. Was können Sie uns im Moment über die weiteren Veranstaltungen verraten, die 2019 stattfinden werden?
Nick Pfefferkorn: Wir hatten Ende November 2018 eine Betriebsversammlung und haben diese Gelegenheit genutzt, die gesamte Belegschaft über die bevorstehenden Veranstaltungen zu informieren. Wir, als Geschäftsleitung, waren selbst erstaunt, was da alles zusammengekommen ist. Die beiden Standorte Leipzig und Wiesbaden halten sich dabei gut die Waage. Von einer Schwerpunktverlagerung würde ich daher nicht sprechen. Beide Städte bekommen eine „Großveranstaltung“ – wobei wir im Januar in Wiesbaden beginnen und das Festjahr 2019 am 18. September mit einer Geburtstagsgala in Leipzig beenden.
Zusätzlich gibt es zahlreiche Veranstaltungen in beiden Städten. In Wiesbaden bekommen wir die Goldene Plakette der Stadt verliehen, es gibt einen Komponisten-Workshop mit Martin Smolka an der Kunst- und Musikakademie, ein Kammerkonzert im Staatstheater, einen Gedenkgottesdienst, ein weiteres Kammerkonzert in Taunusstein, um nur einiges zu nennen.
In Leipzig sind wir mit einer großen Ausstellung im Druckkunstmuseum vertreten, es wird eine Ausstellung im Bacharchiv geben, mehrere Veranstaltungen rund um das Thema Breitkopf & Härtel und Clara Schumann (die im nächsten Jahr übrigens ihren 200. Geburtstag feiern würde) sowie ein musikwissenschaftliches Symposium im Dezember. Darüber hinaus wird es auch in Tokyo und Shanghai Veranstaltungen geben, über die ich im Moment noch nichts Genaueres verraten kann.
Daniela Wolff/Frank Reinisch: Durch die Vorbereitungen der Festschrift „300 Jahre Breitkopf & Härtel“ ist Thomas Frenzel ein intensiver Kenner der Verlagsgeschichte. Werden die bekannten Lesarten, wie sie zuletzt 1994 in der Festbroschüre und wenig später dann in der MGG abgedruckt wurden, revidiert, und wenn ja, an welchen Stellen?
Thomas Frenzel: Wenn man bedenkt, wieviel zum Teil unerschlossenes Archivmaterial zur Verlagsgeschichte noch immer trotz aller großen Verluste, vor allem im Zweiten Weltkrieg, existiert – allein im Sächsischen Staatsarchiv Leipzig befinden sich über 300 laufende Regalmeter Firmenunterlagen –, möchte man fast kapitulieren. Immerhin hat vor 100 Jahren bereits Oskar von Hase als damaliger Inhaber eine gründliche und detailreiche Verlagsgeschichte in mehreren Bänden vorgelegt. Da ihm seinerzeit noch ein gewachsenes haus-
eigenes Archiv ohne wesentliche Lücken zur Verfügung stand, ist seine Darstellung manchmal die einzige sekundäre Quelle für einen bestimmten historischen Sachverhalt, zu dem heute die Belege fehlen.
Andererseits kommt hinzu, dass man als „Betroffener“ ja trotz aller Bemühungen um Objektivität stets befangen bleibt und immer auf der Hut sein muss, bestimmte Sachverhalte nicht über- oder unterzubewerten. Da ist man gut beraten, sich der Mitarbeit anderer Autoren und Berater mit einem Blick „von außen“ zu versichern, vor allem bei der Darstellung der jüngeren Vergangenheit.
Daniela Wolff/Frank Reinisch: Können Sie uns schon einen Ausblick auf die Festschrift 2019 geben?
Wie wird sie aussehen, auf welche Beiträge dürfen sich die Leser freuen und wann wird sie erscheinen?
Nick Pfefferkorn: Ich hoffe, noch 2019!
Thomas Frenzel: Wir planen, die Festschrift quasi als Lese- und Bilderbuch anzulegen, das neben einer Chronologie der Firmengeschichte eine Reihe von Originalbeiträgen zu ausgewählten historischen Aspekten und zahlreiches Quellenmaterial in Wort und Bild, vieles davon in Erstveröffentlichung, enthalten soll. Es wird also zum Blättern und Verweilen einladen, und wir hoffen, eine angemessene, abwechslungsreiche und symptomatische Auswahl sowohl der Themen als auch der Archivalien getroffen zu haben. Wer weiß schon noch, dass Breitkopf im 18. Jahrhundert Tapeten herstellte, um die englische Konkurrenz auszustechen, dass Breitkopf & Härtel im 19. Jahrhundert zwei Generationen lang der wichtigste Klavierproduzent in Leipzig war, dessen Lehrlinge weitere namhafte Instrumentenbaufirmen gründeten, oder dass das Unternehmen vor 1914 die größte verlagseigene Druckerei der Welt unterhielt?
Viele alte, erstmals wieder ans Licht geholte Texte enthalten nicht nur allerlei abhanden gekommene Informationen, sondern sind auch dank ihrer Sprachqualität mit Genuss zu lesen. Am Rande finden sich bisweilen Hinweise auf Quellen und Orte, die man als Interessierter noch immer besichtigen oder aufsuchen kann, und auch das Anekdotische soll nicht zu kurz kommen. Und: Breitkopf & Härtel war und ist bekannt für die hohe gestalterische und drucktechnische Qualität seiner Produkte, zu denen bis in die 1930er Jahre auch Belletristik und Fachliteratur, Bildbände und Kunstblätter, Werbung und zahlreiche andere Druckerzeugnisse gehörten – auch dieser Aspekt wird bei der Ausstattung der Festschrift eine Rolle spielen.
Zum Erscheinungstermin: Es wird kräftig an allem gearbeitet, und spätestens im Sommer/Herbst 2019, also damit auch zur offiziellen Abschlussveranstaltung in Leipzig, soll der Band vorgelegt werden.
Daniela Wolff/Frank Reinisch: Breitkopf & Härtel ist der älteste Musikverlag der Welt und das älteste Musikunternehmen in Deutschland – und dabei ist der Verlag 1719 nicht gegründet worden. Vielmehr hat der Geselle Bernhard Christoph Breitkopf die Druckerwitwe Maria Sophia Müller geheiratet. Das heißt, die Druckerei gab es zumindest schon seit 1542. Sie hat mit Breitkopf dann nur (mal wieder) den Namen gewechselt. Mithin wäre der Verlag also noch viel älter, hätte 1992 als „Eichbuchler, Müller, Breitkopf & Härtel“ den 450. Geburtstag feiern können und den Titel „allerältester Musikverlag der Welt“ verdient. Warum sind wir so bescheiden?
Thomas Frenzel: Den Verlag als allerältesten Musikverlag zu bezeichnen, wäre gar nicht korrekt: Der erste Musikverleger im engeren Sinne (und einer, der in unmittelbarer Nachfolge Gutenbergs ein ähnliches Notendruckverfahren entwickelte wie später in den 1750er Jahren Johann Gottlob Immanuel Breitkopf) war der ab 1498 in Venedig tätige Ottaviano Petrucci.
Breitkopf & Härtel ist also „nur“ der älteste unter den heute existierenden, wobei die drei Säkula seiner Existenz, in der strenggenommen nur ein einziges Mal die Eigentümerfamilie wechselte, ja tatsächlich ein inzwischen einmaliger Fall sind. Die Leipziger Druckerei nun war in der Tat im 16. Jahrhundert erstmals aktenkundig, allerdings scheinen dort im Laufe der Zeit neben allem Möglichen eher zufällig auch einmal ein paar Musikalien gedruckt worden zu sein, und qualifizierte Tätigkeiten als Verleger und Händler sind den Vorbesitzern, neben ihrer Arbeit als Drucker, nur gelegentlich nachzuweisen.
Nicht lange nachdem Bernhard Christoph Breitkopf eingeheiratet hatte (übrigens ganz der Zunfttradition entsprechend: er nahm sich eine deutlich ältere Witwe zur Frau und garantierte damit den Fortbestand des Unternehmens), erweiterte er die Druckerei sehr wesentlich durch Grundstückskauf und Neubau. Was dabei längerfristig mit der vormaligen Müllerschen Druckerei geschah, ist nicht bekannt. Entscheidend jedoch ist, dass es etliche Perioden gab, zum Beispiel die Jahre, während derer J. G. I. Breitkopf und Gottfried Christoph Härtel die Geschicke des Verlags bestimmten, in denen sich die Innovationen geradezu häuften: Hier war der Verlag wahrhaftig der erste bei vielen weit in die Zukunft weisenden satz- und drucktechnischen, verlegerischen oder Vertriebsmaßnahmen.
Das Verblüffende ist, dass selbst hochriskante Entscheidungen überwiegend gut ausgingen – Indiz für eine bemerkenswerte unternehmerische Klugheit.
Nick Pfefferkorn: Naja, ich finde, man sollte beim Jahrhunderte-Zählen die Kirche auch im Dorf lassen. Allein, die 300 Jahre sind nicht nur Ehre, sondern manchmal auch Bürde, die es zu schultern gilt. Wir tragen ja nicht nur die Erfahrung, die ersten gewesen zu sein, mit uns herum –
man muss diesem Anspruch auch im 21. Jahrhundert gerecht werden. Und da gibt es eben nichts Passenderes als unser eigenes, persönliches Leitmotiv: First in Music.
Daniela Wolff/Frank Reinisch: Herr Pfefferkorn, über welche Nachricht würden Sie sich am Ende des Jahres 2019 besonders freuen?
Nick Pfefferkorn: (lacht nochmal): Ich würde mich natürlich freuen, wenn ich am Ende des Jahres 2019 noch klar denken kann. Nein, im Ernst: Wenn alle Beteiligten – Kunden, Mitarbeiter und Besucher – sagen würden: „Das war ein tolles Jahr!“, dann wäre ich glücklich!!
Breitkopf & Härtl