Chorstrukturen etablieren und festigen
Seit Oktober 2016 gibt es die „Musica Cantorum – Katholische Singschule“ in Heidenheim an der Brenz. Sie wurde auf die grundlegende Idee aufgebaut das Chorsingen im kirchlichen Kontext der Gemeinde St. Maria und Christkönig und dem Dekanat Heidenheim für die Zukunft zu stärken und den Fortbestand der Kirchenmusik und des Chor- und Gemeindegesangs zu ermöglichen. Doch was ist aus den Vorsätzen geworden? Wie haben sich die Anfänge entwickelt? Ging der Plan auf? Nach drei Jahren des Bestehens kann man ein erstes Fazit ziehen…
Planbarkeit und Flexibilität
Nach wie vor bin ich der Überzeugung, dass es einer Idee bedarf, damit sich etwas entwickeln kann. Ohne eine Idee und damit einem definierten Ziel, ist die Gefahr groß, ziellos oder unmotiviert zu agieren. Für einen langfristigen Aufbau böte dies keinen Nährboden. Doch sollten Ideen und die daraus resultierenden Strukturen sich nicht verhärten. Entwicklung benötigt ein flexibles Gefüge, um reagieren zu können. So ist und wird es stets Aufgabe sein, Strukturen, Traditionen und Gewohnheiten auf ihre Sinnhaftigkeit und Effizienz hin zu hinterfragen.
Ein Beispiel: Die wöchentlichen Stimmbildungseinheiten in den Chören der Musica Cantorum haben sich absolut bewährt. Doch haben sie mittlerweile eine ganz andere Form bekommen, als zu Anfang gedacht: Aus anfänglichen Kleingruppen im Jugendchor wurden Einzelstimmbildungseinheiten; zu den Gruppeneinheiten im Erwachsenenchor wurde Einzelstimmbildung ergänzt.
Durchhalten und nicht resignieren
Für Musiker, so auch für mich, ist ihr Wirken etwas Persönliches; etwas, das uns ausmacht und ein Teil von uns ist. Obwohl es in den meisten Fällen den Rahmen der Anstellung übersteigt, stecken sie unendlich viel Energie, Kraft und Leidenschaft in ihre Projekte und Ideen. Das ist wunderbar, motiviert und reist Menschen mit. Es kann jedoch zugleich für einen selbst verletzend sein, wenn Pläne nicht aufgehen oder Angebote nicht angenommen werden. Der erste Gedanke des Musikers: Was habe ich verkehrt gemacht oder übersehen?
Sicherlich eine sehr gesunde, aber auch überaus zehrende Überlegung, die jedoch die Ursache nicht immer auf den Punkt trifft. Denn zum Gelingen und Misslingen von neuen Angeboten gehören auch viele Faktoren, die man selbst nicht in Händen hält, ja oft vielleicht nicht sehen kann. So hängt das Misslingen häufig an Banalitäten wie dem „richtigen Zeitpunkt“ ab. Eine große Gefahr besteht nun darin, dass man sich selbst Vorwürfe macht und in eine Resignation verfällt. Damit tut man den Leuten und sich selbst unrecht – nach drei Jahren eine wichtige Erkenntnis. Schwankungen vom Positiven ins Negative und umgekehrt sind beim Aufbau von Strukturen ganz natürlich. Über den gesamten Entwicklungszeitraum einen globaleren Blick über das gesamte Angebot aufrecht zu halten und in die Möglichkeiten der Zukunft zu entwickeln verlangt auch, sich in Geduld, Widerstand und Standfestigkeit zu üben.
Ein Beispiel: Vor kurzer Zeit boten wir einen neuen Kurs „Baby-Musikwelt“ an und glaubten, nach einigen Ermutigungen von außerhalb, den Nerv der Zeit getroffen zu haben. Anmeldungen gab es jedoch nur eine und etwas geknickt hatten wir uns bereits damit abgefunden, dass der Kurs nicht stattfinden wird. Natürlich stand im Raum, ob wir ein solches Angebot noch einmal ins Programm aufnehmen würden. Unverhofft erfuhren wir dann allerdings von Interessenten, denen der Veranstaltungsort ungelegen war. Der Kurs konnte stattfinden, jedoch an einem anderen Ort. Die nachfolgenden Kurse werden sehr positiv angenommen.
Wer sucht, der findet
Bis ein langfristiges Projekt auf den Weg gebracht ist und in die Phase der Umsetzung kommt, vergehen häufig viele Ge-
spräche, Stunden des Denkens und Überlegens, kleinere und größere Diskussionen und Kämpfe und vor allem Verhandlungen. Denn es braucht personelle und ideelle Rückenstärkung sowie die finanzielle Basis. Es kommt zu Vereinbarungen, Absprachen und Fristen, an die sich gehalten werden muss. Dies erzeugt Druck, der sich sicher-
lich einerseits positiv auf die Motivation der Ausführenden auswirkt. Doch bei Rückschlägen kann dieser Druck auch zur immensen Belastung werden. Es gilt erneut vieles abzuwägen oder aber zu überlegen, ob es andere Wege gibt sein Ziel zu erreichen.
Ein Beispiel: Nach den ersten Jahren des Bestehens der Musica Cantorum musste ich feststellen, dass der Zuspruch für den Kinderchor nicht den Erwartungen entsprach. Zweifel kamen auf und es wurde viel spekuliert. Besonders schwer fiel es mir, die Kinder „bei der Stange zu halten“ und auf bessere Zeiten zu vertrösten. Mir war klar, dass die Kinder eine Entwicklung und Veränderung spüren mussten, wie sie es beispielsweise in größeren Singspielen oder Musicals erleben können. Doch dafür reichte unsere Besetzung bei weitem nicht aus.
Ich musste zugestehen, dass eine zentralisierte Struktur für den Raum Heidenheim derzeitig nicht fruchtet. Ich suchte also den Kontakt zu meiner Kollegin in Giengen, die recht neu in ihrer Stelle war. Mit ihr arbeitete ich ein Kooperationskonzept aus, sodass eine Zusammenarbeit zwischen Giengen und Heidenheim entstand, die man
sich als Zweigstelle der Musica Cantorum vorstellen kann. Resultat ist, dass wir bereits im ersten Jahr einige Projekte wie Familienkonzert, Singspiel mit großem Orchester u.a. gemeinsam realisieren konnten. Obwohl sich diese Kooperation in den Kinderschuhen befindet, ist ein erfreulicher Zuspruch zu verzeichnen, der ursprüngliche
Zweifel beseitigen konnte.
Ein TIPP
Die ausgeführten Aspekte sind lediglich kleine Einblicke in einen umfangreichen Entsstehungsprozess. Mindestens in der Vielzahl und Individualität der Probleme und örtlichen Gegebenheiten gibt es Ansätze und Möglichkeiten für Lösungen. Daher ist der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen unerlässlich und gerade für die Motivation der Leitungen immens wichtig. Regelmäßige Fort- und Weiterbildungen, Teilnahmen an Seminaren sowie Festivals, Chor- und Leitungstreffen be-
fruchten das eigene Denken und erfrischen die persönliche Arbeit.
Diese Möglichkeit möchten wir Ihnen gerne in einem Tagesseminar am 09. Mai 2020 in Villingen-Schwenningen geben. An Beispielen möchten wir in den Austausch und zu vielfältigen Lösungen gelangen. Sie erhalten zahlreiche Ideen und Materialien zum Aufbau und zur Festigung von Chorstrukturen. Über Ihre Teilnahme würde ich mich sehr freuen!