Für eine gute Ausbildung ist man nie zu jung oder zu alt.
„Was, du machst den C3-Kurs beim Schwäbischen Chorverband? Aber warum denn, du machst doch schon so lange Chorarbeit?“ Diese Frage stellten mir einige der Sängerinnen und Sänger meines Pop-Chors, den ich seit mehr als zwölf Jahren leite. Eine gute Frage, allemal… Warum sollte jemand wie ich, die ich nicht mehr ganz jung bin und seit fast 20 Jahren ohnehin meine Brötchen als freie Musikerin und Autorin verdiene, diesen durchaus anspruchsvollen Kurs für „Chorleiter im Nebenberuf“ – wie es offiziell heißt – absolvieren? Die Antwort ist, wie vieles im Leben, vielschichtig.
Warum diese Ausbildung?
Zunächst einmal hatte ich 2019 einen zweiten Chor gegründet, mit dem Zweck, mich mehr der modernen Kirchenvokalmusik zuzuwenden, für die ich in letzter Zeit ein ausgesprochenes Faible entwickelt hatte. Doch was im Notentext noch verlockend wirkte, stellte sich für mich als Learning-by-doing-Popdirigentin schnell als harte Nuss heraus. Wie um Himmels willen dirigiert man E-Vokalmusik?, fragte ich mich verzweifelt. Da kam mir der Zufall zu Pass. Eine Kollegin bat am Telefon um die Möglichkeit einer Chorhospitation, weil sie gerade „diesen Kurs zur C3-Dirigentin beim Schwäbischen Chorverband begonnen habe“. Ich horchte auf und die Anruferin aus. „Was macht ihr da? Und wie lange dauert das?“, wollte ich wissen. Die Antwort war beides: ein wenig beängstigend und gleichzeitig der näheren Betrachtung wert. Die Website des Schwäbischen Chorverbandes ergab Weiteres…
Die Ausbildung zum/ zur C3-Dirigenten/in geht auf alles ein, was ein Chorleiter zumindest im Amateurchorbereich, aber auch bei ambitionierteren Chören an Handwerkszeug braucht. Da geht es um Stimmbildung und Gesangstechnik, die Fähigkeit, Chorsätze für sich und später mit den Chor am Klavier, aber auch nur per Stimme und Stimmgabel zu erarbeiten, um Notenkenntnisse und einen praktikablen musikwissenschaftlichen Werkzeugkasten, will sagen vertiefte Kenntnisse zur harmonischen Analyse verschiedenster Chorliteratur. Es ist ein Parforceritt durch Musikgeschichte und Musikwissenschaften im Überblick, vom Beginn notierter Vokalmusik bis zur Gegenwart. Es geht um künstlerische Fragen und ganz praktische Dinge, wie die Bewältigung von Problemen im Choralltag und die sinnvollen Zusammenstellung von Konzertprogrammen, und natürlich vor allem um das Dirigieren selbst.
Das klingt nach viel und ist es auch
Innerhalb eines halben Jahres in mehreren dicht gepackten Samstagen, Sonntagen oder ganzen Wochenenden werden die Absolventen und Absolventinnen des Kurses von vier erfahrenen Fachdozenten in den einzelnen Disziplinen geschult. Viel Eigeninitiative und Selbststudium ist überdies gefordert, um die gesteckten Ziele auch zu erreichen. Doch die gemeinsame Anstrengung schweißt zusammen – Lehrende und Lernende. Überhaupt lernt man beim gemeinsamen Bemühen nicht nur die Musik, sondern auch einander besser mit allen Stärken und Schwächen kennen.
Wir waren eine wirklich bunt zusammengewürfelte Truppe unterschiedlichster Altersstufen – die jüngste Teilnehmerin war gerade einmal zarte 19, der älteste 61 Jahre alt. Auch gab es unterschiedlichste Vorkenntnisse und Ambitionen. Einige von uns waren sozusagen „alte Hasen“ im Chorleitergeschäft, leiteten zum Teil sogar mehrere Chöre und hatten in der Jugend selbst in hochwertigen Chören gesungen, oder sogar, wie einer unser Kursteilnehmer, bereits ein ganzes Jazzmusik-Studium absolviert. Andere suchten eine berufliche Neuorientierung oder Ergänzung, während wieder andere aus einer Teilnahme als Sänger/ Sängerinnen in einem heimatlichen Chor über den Einstieg mit C1 (Grundkenntnisse) und C2 (Kurs für Vizechorleiter im Laienbereich) nun mutig auch die Herausforderung zum C3 Chorleiter meistern wollten. Mancher unter uns stellte sich im Laufe des Kurses als begnadeter Pianist heraus, andere wagten sich dagegen nur mit Bedacht an das diffizile Thema des Chorpartitur Spielens. Einige brachten schon besondere Fähigkeiten und Erfahrungen im Bereich Gesang mit, während einige an das solistische Singen erst herangeführt sein wollten. Der eine bewegte sich sicher im Bereich Harmonielehre, für die andere erwies sich gerade das als besonders schwer zu meisternde Disziplin.
Diese unterschiedliche Ausgangslage machte die Kursleitung für unsere Dozenten zu einer recht anspruchsvollen Aufgabe. Nichtsdestotrotz, sie verstanden ihr Handwerk so gut, dass wir alle, wenn auch mit manchem Stöhnen und Zagen – das sei nicht verschwiegen – das Ziel erreichen konnten. Alle Hausarbeiten sind nun geschrieben, alle Notenwerke analysiert, die Dirigentenprüfung und das Gesangsfach absolviert, alle Programme geplant, alle Chorsätze gespielt und gesungen und nun halten wir stolz unser C3-Zertifikat in Händen, das uns als Chorleiter nicht nur ausweist, sondern auch befähigt.
Zudem haben wir durch den Kurs nicht nur notwendige Kenntnisse hinzugewonnen, sondern sind nun eingebunden in ein Netzwerk aus vollberuflichen Musikern und ambitionierten Laienchören, in das wir uns einbringen, in dem wir uns entfalten kön-
nen und in dem wir immer weiter hinzulernen wollen und werden.
Eva Württemberger ist 55 Jahre alt und arbeitet seit 20 Jahren nach mehrjähriger beruflicher Tätigkeit als Dipl Soz. Päd. als freie Musikerin und Autorin. Sie schreibt und komponiert für mehrere Musik- und Buchverlage sowie für den öffentlichen Rundfunk, veröffentlichte mehrere Kindermusik-CD’s mit dem Schwerpunkt Jazz für Kinder und wirkt auch als Creative Consultant für Städte, Gemeinden und überregionale Bildungseinrichtungen. Seit 2008 leitet sie das Chorprojekt Slap-Stick.