„Gretchens Antwort“ im Porträt
„Wir wollen nicht nur kluge Fragen stellen, sondern auch Antworten geben“: So lautet das Motto von „Gretchens Antwort“. Die vier Powerfrauen aus Berlin verbinden klug arrangierte A-cappella-Stücke mit humoristischen Bühnenshows und einer ordentlichen Portion Gesellschaftskritik. Kann diese Kombination funktionieren? Ein Porträt.
Schallplattenknistern liegt in der Luft, wenn die vier Ladys von „Gretchens Antwort“ auf ihrer aktuellen CD durch die Swing-Ära grooven. Mit „Dreh den Swing auf“ hat sich das Berliner A-cappella-Ensemble völlig neu erfunden. Auf ihrer ersten CD „Liebes Leben“ klang ihr klug durchdachter A-cappella-Sound noch etwas poppiger. Doch das Schallplattenknistern, was alle sechs Songs der Aufnahme verbindet, ist, genau wie die in Schallplattenoptik gestaltete CD, sozusagen nur der verführerische Zuckerguss, der die überaus gelungene Golden Twenties-Inszenierung krönt. Denn gibt man sich der Klangwelt von „Dreh den Swing auf“ hin, gleicht das einer stimmungsvollen Zeitreise in die goldenen 20er Jahre des letzten Jahrhunderts. Das ist vor allem überraschend, wenn man sich die Repertoirezusammenstellung genauer anschaut:
Die Gretchens covern vor allem, überaus geistreich arrangiert, Popsongs der letzten 20 Jahre. Darunter eine mitreißende Interpretation des „Moulin Rouge“-Film-Hits „Lady Marmelade“ und eine bewegende Version des Faber-Songs „Lass mich nicht los“. Musikalisch haben sich Steffi Klein (Sopran), Anne Stabler (Alt), Liza John und Jessica Jorgas (Mezzosopran) darauf spezialisiert, bekannte Popsongs auf die, wie sie sagen, „Gretchenweise“ zu präsentieren. „Was uns so besonders macht“, erzählt Sopranistin Steffi Klein, „ist, dass wir uns selbst als Gretchens sehen.“ Angelehnt ist die Inszenierung der vier an die weltberühmte Gretchenfrage aus Goethes Faust. Doch „Gretchens Antwort“ fragen eben nicht ausschließlich „Sag, wie hast du’s mit der Religion?“ sondern z. B. auch „Sag, wie hast du’s mit der Gleichberechtigung?“.
Klug verpackte Gesellschaftskritik
Seit ihrer Gründung im Jahr 2014 machen „Gretchens Antwort“ nicht nur feinste A-cappella-Musik. Ihre Spezialität: Ihre Songs mit einer ordentlichen Portion Humor würzen und auf der Bühne präsentieren. Mit diesem Konzept konnten sie 2017 auch Scala vokal, den A-cappella-Wettbewerb des Schwäbischen Chorverbandes gewinnen. Auf der Bühne gibt es auch noch mehr Platz für die Antworten der Gretchens. Die vier Powerfrauen aus Berlin stehen eben auch für eine neue Generation von Vokalensembles: Sie sind technisch versiert, präsentieren wunderschöne Klänge, aber sie wollen nicht bequem sein. Denn „Gretchens Antwort“ hat eine klare Botschaft an die Gesellschaft, betont Steffi. „Die übergeordnete feministische Message bedeutet: Wir sind nicht nur Frauen, die Fragen stellen und dann auf Antworten warten, sondern selber Antworten geben und das machen wir natürlich auch musikalisch.“ Da kann es durchaus passieren, dass Britney Spears’ „Oops!… I Did It Again“ in der deutschen Version einen Max Raabe-Moment bekommt oder „Roxanne“ von „The Police“ nach großer Broadway-Bühne klingt.
„Es geht nicht darum, uns auch politisch irgendwie positionieren zu müssen. Das mache ich täglich, wenn mir irgendjemand was hinterher brüllt, irgendwas Sexistisches an den Kopf knallt, wenn ich nicht gleichgestellt bin oder so“, erzählt Steffi Klein. „Wenn ich das bemerke, macht mich das wütend. Und natürlich ist es für mich wichtig, dass meine Musik ankommt. Aber das geht über den schönen Gesang, das geht über Emotionen. Und wenn ich es dann noch schaffe, dass ich die Leute zum Nachdenken bringe: Das ist für mich die höchste Kunst.“ In den letzten Jahren haben sich sehr viele A-cappella-Gruppen neu gegründet, die Szene ist gewachsen. Die wenigsten sprechen allerdings gesellschaftskritische oder gar politische Themen an. Wie gut, dass „Gretchens Antwort“ diese Lücke schließen.
Die vier Sängerinnen formulieren ihre Meinung deutlich, sind aber nie oberlehrerhaft. Sie regen mich zum Nachdenken an, und trotzdem fühle ich mich immer sehr gut unterhalten. Sie inszenieren sich bewusst, wirken aber dennoch absolut authentisch. Das kommt nicht bei jedem Publikum gut an. In der aktuellen Bühnenshow präsentieren „Gretchens Antwort“ mit verteilten Rollen auch Texte aus dem Hip-Hop-Bereich, erzählt Liza John. „Das sind im Grunde genommen sexistische, frauenverachtende Texte und das hat schon mal das ein oder andere Publikum aus der Fassung gebracht. Entweder die Leute jubeln, finden es super und lachen oder das Gegenteil passiert: Keiner lacht und alle sind unangenehm berührt von dieser Situation. Das muss man dann auch aushalten können.“ A-cappella-Musik mit Message: Ich finde es toll, dass „Gretchens Antwort“ eine so starke Stimme gefunden haben, die über das Musikalische hinausgeht. Allerdings sind die vier auch mehr, als hübsch verpackte Gesellschaftskritik, denn ihr Sound ist exzellent und ausgewogen, obwohl sie ganz ohne Bass, Beatox oder Octaver auskommen. Die Gretchens überzeugen mit vier tollen Solostimmen, die es verstehen, sich in den richtigen Momenten zurückzunehmen und trotzdem immer zu strahlen.
Ein Gesamtkunstwerk
Musik, Outfits, Bühnenshow: „Gretchens Antwort“ stimmen all diese Elemente feinsinnig bis ins kleinste Detail aufeinander ab und erfinden sich immer wieder neu. Die klare Haltung heben sich die Vier allerdings vor allem für die Bühne auf. Dort grooven sie derzeit passend zum Swing-
Thema mit Lockenpracht, Paillettenkleidern und Haarbändern aus Samt. Auf der aktuellen CD sind die politischen Anspielungen eher zwischen den Zeilen versteckt. „Wir machen uns genaue Gedanken darüber, welche Lieder wir nehmen. Passt das zu uns? Wie müssen wir es inszenieren, in welchem Stil müssen wir singen? Wer singt was? Das macht uns schon aus“, betont Liza John. Die Wandelbarkeit erheben die vier zum Stilmerkmal. Musikalisch schätzen sie die Abwechslung, erklärt Liza John: „Wir sind nicht nur Gretchens, wir sind auch die Madonnen der A cappella-Szene. Ich glaube, wir mögen, was wir jetzt machen, aber wir möchten eigentlich gar nicht auf etwas Bestimmtes festgelegt werden, z.B. die, die immer Swing singen. „Gretchens Antwort“ soll zeitlos sein, so wie die Gretchenfrage. Die ist auch zeitlos und dementsprechend müssen Gretchens Antworten auch variierend sein.“ „Dreh den Swing auf“ ist eine Platte voller gute Laune A-cappella-Pop, die keine Wünsche offen lässt. Außer einen vielleicht: Liebe Gretchens, gesellschaftliche Botschaften in euren Songs wären sicher auch ein großer Genuss. Ich bin schon auf den nächsten Stilwechsel gespannt.