Berufliche Perspektiven in der Musikwelt
Eine Probe leiten, im Chor singen, ein kreatives Konzertprogramm entwickeln: Für viele unserer Leser bedeutet das wohl in erster Linie Freizeitvergnügen und Spaß. Die Musik als Ausgleich zum stressigen Berufsalltag im Büro oder der Werkstatt. Der Verein als zentraler Mittelpunkt des geliebten Hobbys. Singen, die große Leidenschaft, der man privat nachgeht. Wie schön wäre es, wenn wir uns jeden Tag mit den Themen beschäftigen könnten, die uns brennend interessieren? Könnten Sie sich vorstellen, ihr Hobby zum Beruf zu machen? SINGEN verrät, wie das gelingen kann und wo mögliche Herausforderungen warten. Berufswunsch „Irgendwas mit Musik“ – ein Ratgeber.
Dieser Text entsteht im Morgengrauen mit der freundlichen Unterstützung von fünfeinhalb Tassen Kaffee. Ich bin Musikjournalistin, arbeite freiberuflich und gebe zu: Work-Life-Balance und perfekte Tagesorganisation gelingen nicht immer optimal. Auch ich zähle zur Gruppe der „irgendwas mit Musik“-Idealisten. Eines ist klar: Im weiten Feld „Berufe in der Musikbranche“ gleicht kaum ein Lebenslauf dem anderen, viele arbeiten nicht von neun bis fünf in einem klar strukturierten Berufsalltag. Diese Erfahrungen teilen auch Clara Schürle, Lisa Meier und Lea Wolpert. Aktuell arbeiten die drei gemeinsam für das Projekt „Kinderchorland“ der Deutschen Chorjugend und sind fest angestellt. „Ich habe mich lange Zeit gefragt: Möchte ich das überhaupt? Eine Festanstellung?“, berichtet Clara Schürle, Projektmanagerin des „Kinderchorland“-Projekts. Auch den Kolleginnen ging es ähnlich. Lisa Meier und Lea Wolpert waren als Chorleiterinnen und Sängerinnen freiberuflich aktiv. Wer im Bereich Musik professionell arbeiten möchte, sollte sich eines immer bewusst machen: Es ist viel Eigeninitiative und Selbsterkenntnis gefordert. Wie möchte ich arbeiten? Welchen Sinn soll mir meine Tätigkeit geben? Bin ich eher Team Büro oder gerne unterwegs? Fragen wie diese gewinnen heute immer mehr Gewicht. Denn es scheint uns zunehmend wichtiger zu sein, wie wir arbeiten wollen. In der Generation meiner Eltern sah das z. B. noch ganz anders aus.
Lebenslauf kreativ zusammenstellen
Eines sei vorweggesagt: Es gibt nicht den einen direkten Weg, um beruflich in der Musikbranche Fuß zu fassen. Die Berufsfelder, Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten sind wahnsinnig vielfältig. Wie werde ich Sänger? Wie Musikmanager? Wie erfolgreicher Chorleiter oder Musikplaner? Ein angehender Arzt weiß, dass ein Medizinstudium die Basis ist. In der Kulturbranche sieht das ganz anders aus. Das ist herausfordernd, aber auch eine Chance. „Dass ich gut singen kann, habe ich erst während des Studiums bemerkt“, erzählt Lea Wolpert. Nach dem Abi studiert sie zunächst Musik auf Lehramt mit Hauptfach Klavier. Im Bachelor entdeckt sie ihre Leidenschaft für Chormusik und übernimmt die Leitung des Kinderchores „Quilisma“ Springe bei Hannover. Den Master nutzt sie, um sich auf Kinder- und Jugendchorleitung zu spezialisieren. Später arbeitet Lea als erfolgreiche Chorleiterin. Ähnliche Erfahrungen hat auch Lisa Meier gemacht. „Nach dem Abi dachte ich, ich werde Sängerin. Aber nach einer Zeit hat sich das für mich sehr unsicher angefühlt.“ Damals studiert sie Pop- und Jazzgesang an der Hochschule für Musik in Köln. Sie wechselt in den Bereich Lehramt für Musik und Französisch. „Lange war Chorleitung kein Thema für mich. Ich habe das immer weit von mir weggeschoben, weil ich total Angst davor hatte. Ich wusste aber, dass es Teil des Studiums ist.“ Lisa belegt einen Kurs im Bereich Chorleitung bei Erik Sohn, der auch an der Kölner Musikhochschule lehrt. „Ich kannte ihn schon als Chorleiter von „Vocal Journey“. Er hat mich motiviert und plötzlich habe ich gemerkt: Einen Chor zu leiten macht mir wahnsinnig viel Spaß. Ich war angefixt.“ In dieser Zeit eröffnen sich nicht nur neue Fähigkeiten für Lisa, auch ihre Vorstellungen vom persönlichen Traumberuf wandeln sich. „Sicherheit war für mich dann doch nicht so wichtig. Ich wollte meine Freiheit.“ Doch sich erstmal vom Gedanken an eine Festanstellung zu verabschieden braucht Zeit und auch etwas Mut. Wer sich selbst gut kennt, kann die eigenen Stärken besser ausbauen. Im Musikbereich lohnt es, sich breit aufzustellen und den eigenen Lebenslauf mit individuellen Highlights zu bestücken. Wer z. B. gut im Bereich Gesang ist und ein Gespür für soziale Medien hat, kann sich daraus zwei berufliche Standbeine aufbauen. „Es ist superwichtig“, betont Clara Schüle, „dass man einfach ganz viel ausprobiert.“ Die Projektmanagerin spricht aus eigener Erfahrung. „Mein Berufsweg ist eher zickzackförmig verlaufen.“ Zunächst möchte Clara Opernsängerin werden, merkt aber schnell, „dass eine gewisse Ellenbogenmentalität herrscht. Das war nicht das, was für mich Gesang bedeutet.“ Sie macht diverse Praktika, studiert Französische und spanische Philologie in Barcelona, Musiktheaterwissenschaft in Berlin und findet dann in der Musiksoziologie die Themen, die sie interessieren. „Was macht Musik mit der Gesellschaft? Wie können wir neue Konzertformate entwickeln? Aber so sehr ich auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung geschätzt habe, ich war wie in einem Elfenbeinturm. Die Praxis hat mir gefehlt.“ Die sucht sich Clara in Projekten neben dem Studium. Sie beginnt für das Netzwerk junge Ohren zu arbeiten, organisiert mit Freunden Projekte zu zeitgenössischem Musiktheater an Berliner Grundschulen, beginnt eine einhalbjährige berufsbegleitende Ausbildung im Bereich „Music Education“ und vieles mehr. „Ich wusste, mein Medium ist der Gesang. Die „Music Education“-Ausbildung war sehr Orchesterlastig. Also habe ich begonnen, Education Chor-Projekte zu organisieren. Am Anfang hatte ich das Gefühl: Ich habe das doch nicht studiert. Bin ich in der Position, anderen etwas vorzuschlagen? Das ist, denke ich, auch ein sehr deutsches Denken: Ich brauche doch ein Zertifikat.“ Doch auch ohne „offizielles Dokument“ macht Clara weiter. Eben das ist auch ein Lernprozess, zu erkennen, dass bestimmte Fähigkeiten, die wir für selbstverständlich ansehen, professionelle Qualifikationen sind, die in bestimmten Berufsbereichen gebraucht werden. Es gibt nicht den einen Studiengang, das eine Seminar, die eine Qualifikation, um im Bereich der Musikwelt beruflich Fuß zu fassen. Es gilt, herauszufinden, welches Angebot persönlich zu einem passt. Doch eines sollte man sich bewusst machen: Die Währung in der Berufswelt ist praktische Erfahrung. Theorie ist wichtig und gut, doch wer die Praxis kennt, hat auf dem Stellenmarkt zumindest einen Bonus.
Beruf ist nicht gleich Hobby
Einen beruflichen Einstieg in die Musikbranche zu finden ist individuell. Allerdings gibt es ein paar Eigenschaften und Einstellungen, die auf dem Weg dort hin nicht schaden können. „Es braucht vor allem Begeisterung für die Musik“, betont Lisa. „Denn dann lernt man automatisch weiter. Es gibt so viele Laien, die wahnsinnig gut Musik machen. Vorbildung muss keine Rolle spielen. Man muss eben Spaß an der Sache haben. Und zwar so viel, dass man mehr machen möchte als nur ein Hobby. Am Ende ist Arbeit trotzdem Arbeit.“ Was viele erstmal nicht vor Augen haben, wenn sie euphorisch daran denken, das Hobby zum Beruf zu machen: Wirtschaftliche Faktoren spielen eine große Rolle. Kann ich meine Miete damit zahlen? Kann ich mir das Leben leisten, das ich mir vorstelle? Wie viel Steuern muss ich zahlen? Wie gewinne ich neue Aufträge oder Kunden? Wie vermarkte ich mich? „Ich kenne viele Künstler, die tolle Musiker sind, aber es fällt ihnen schwer, sich zu vermarkten. Das ist aber wichtig und gehört dazu“, erklärt Lisa. Denn nur wer wahrgenommen wird, kann neue Kunden gewinnen. „Gerade aktuell, in Zeiten von Corona, wird finanzielle Sicherheit insbesondere im Kulturbereich wieder wichtiger“ so Lisa. Ein finanzieller Puffer, eine gute soziale Absicherung, Rentenbeiträge, Krankenversicherung: Alles, was gemeinhin als lästiger Papierkram empfunden wird, ist ebenso wichtig, wie die Leistung, die man anbietet. Denn nur wer sich Zeit für Absicherung und Co nimmt, ist langfristig gut vorbereitet auf ein Leben als Freelancer. „Es ist schon herausfordernd, das Hobby zum Beruf zu machen“, ergänzt Lea. „Ich zum Beispiel singe auch privat im Chor. Wenn ich da gefragt werde: Kannst du bitte mal kurz das Einsingen übernehmen?, sage ich heute ganz klar: nein. Das möchte ich mir als privaten Spaß bewahren.“ Auch wenn man sich mit Themen beschäftigt, die man selbst liebt – als Chorleiter zu arbeiten und damit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten ist kein Hobby, sondern genauso ein Job, als würde man 38 Stunden pro Woche im Büro sitzen.
Money, Money, Money
„Es wird in unserer Branche auch viel zu wenig über Geld gesprochen“, berichtet Lea. „Ich finde, wir sollten viel öfter Kollegen fragen: Was verdienst du überhaupt? Ich mache das seit knapp einem halben Jahr. Davor habe ich mich manchmal sogar nicht getraut, die Wahrheit zu sagen, weil es mir peinlich war, dass ich weniger verdiene. Ich finde, da könnte man eigentlich die Amerikaner als Vorbild nehmen und mal wirklich transparent über seine Gehälter reden.“ Denn weiß man, was die anderen verdienen, bekommt man automatisch ein Gespür dafür, was üblich ist. Gerade Berufsanfänger neigen dazu, anfänglich die Preise niedrig zu halten. Auch ich habe als freiberufliche Autorin diese Erfahrung gemacht. Aber niedrige Preise bedeuten auch, dass unter Umständen der Markt beschädigt wird und irgendwann geleistete Arbeit weniger wert ist. Bei jeder Preisfindung ist es hilfreich, im Hinterkopf zu haben: Wie qualifiziert bin ich? Welche Erfahrungen habe ich? Kann ich mit diesem Honorar meine Miete zahlen? Denn letztlich ist das ein wichtiger Faktor. „Und wenn wir von Erfahrung sprechen, geht es nicht immer um 10 Jahre“, so Lea. „Dieses Gefühl von „ich bin nicht ausgebildet und mache das erst ein halbes Jahr“ kann ich verstehen. Aber noch wichtiger ist es, authentisch zu sein. Das würde ich ganz dick unterstreichen. Denn ich habe z. B. die Erfahrung gemacht in meinem Kinderchor, dass es auch gut ist, Dinge gemeinsam zu lernen.“
Wenn es mal nicht so läuft
Berufe in der Musikbranche können schnelllebig sein: Eine Förderung wird gekürzt, eine Stelle fällt weg, als Freelancer verliert man Aufträge, „Ich habe noch mein Lehramtsstudium als Ass im Ärmel“, erzählt Lea. Sie könnte sich vorstellen, eines Tages am Gymnasium zu unterrichten. „Aktuell möchte ich mich aber nicht auf einen Ort festlegen. Deshalb finde ich meine derzeitige Anstellung als Tourmanagerin auch so toll: Ich habe die Sicherheit einer Festanstellung, Reise aber mit dem „Singbus“ zukünftig an verschiedene Orte und berate da Chöre.“ Lisa könnte sich den Weg zurück zur Schule nicht vorstellen. „Mittlerweile habe ich ein großes Netz an Kontakten. Am Anfang konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich so vernetzt sein würde“, berichtet sie. „Aber auch das ist wieder sehr individuell: Ich bin eher bereit, eine gewisse Sicherheit abzugeben und dafür mehr Freiheit zu haben als umgekehrt. Aktuell habe ich beim „Kinderchorland“-Projekt eine schöne Mischung aus Abwechslung und Sicherheit.“ Es kann sein, dass Dinge nicht laufen, wie man sie sich vorstellt. Ein Veranstalter ist mit einem Konzept unzufrieden, die Zusammenarbeit mit Musikerkollegen ist zäh. „Ich denke, wir sollten alle mehr Lust am Scheitern gewinnen“, betont Clara. „Wenn Dinge mal nicht funktionieren, lernen wir trotzdem viel und wachsen weiter. Deshalb ist meine Botschaft: Habt keine Angst, zu scheitern.“ Wir blicken meist auf erfolgreiche Menschen, die es „geschafft“ haben. Wir sehen „fertige“ Karrieren, aber den Weg dahin, die Rückschläge, die Niederlagen, die Überstunden und Momente, in denen einem alles zu viel wird, bleiben unerwähnt. Auch sie gehören dazu. Das sollten wir uns bewusst machen, aber diese Erkenntnis sollte uns nicht lähmen.
Zeit, Geld oder Sinn
„Während meiner Freiberuflichkeit war die freie Einteilung meiner Zeit Fluch und Segen zugleich“, erzählt Clara. „Weil ich sozusagen die Freiheit hatte zu arbeiten, wann ich wollte, aber es hat gedauert, eine Routine zu bekommen.“ Zeit haben, Geld haben, Sinn finden: Das sind die großen Parameter, wenn es darum geht, ob uns ein Beruf glücklich macht. Jeder muss darauf selbst eine Antwort finden. „Ich weiß nicht, wie ein dickes Konto zur Zufriedenheit beiträgt“, findet Lisa. „Vor allem, wenn daran z. B. eine 80-Stunden-Woche geknüpft ist.“ Doch auch das Klischee der brotlosen Künstler und Journalisten ist längst überholt. „Ich denke, so wenig, wie alle denken, verdienen wir gar nicht“, sagt Clara. „Bei einem Arzt oder Bankkaufmann können wir uns nur besser vorstellen, in welcher Spanne sich das Gehalt bewegt.“ Umso mehr ein Grund dafür, die Verdienste offenzulegen. „Ich finde es unglaublich motivierend, dass ich mit Kindern und Jugendlichen arbeiten kann“, erzählt Clara. „Ich schätze den Austausch mit meinen kompetenten und sehr freundlichen Kollegen“, findet Lea. Lisa ergänzt: „Ich mag die Kombination aus Bewegung, Musik und Arbeit am bzw. mit Menschen.“ Tu, was du liebst! Dies Art zu handeln, trifft auf alle drei Gesprächspartnerinnen zu und ist vielleicht der beste Tipp zur Berufsfindung.
Über die Interviewten und das Projekt „Kinderchorland“
Clara Schürle (Projektmanagerin „Kinderchorland“ und Musikvermittlerin), Lea Wolpert und Lisa Meier (Tourmangerinnen des Singbusses beim „Kinderchorland“, davor freiberuflich als Sängerinnen und Chorleiterinnen tätig) arbeiten derzeit fest für das Projekt „Kinderchorland“, initiiert von der Deutschen Chorjugend. „Unsere Vision: Wir wollen Menschen bestärken, die sagen: „Chorleitung muss man doch studieren“, es trotzdem zu versuchen“, erklärt Clara Schürle. Das Projekt „Kinderchorland“ möchte deutschlandweit die Gründung neuer Kinderchöre unterstützen. „Wir wollen Ängste abbauen. Es geht nicht darum, perfekt ausgebildete Chorleiter mit viel Erfahrung zu sein, sondern darum, Kindern den Zugang zu Musik zu ermöglichen.“ Mit einem neu entstehenden Online-Informationsangebot und den „Singbus-Touren“ will die Deutsche Chorjugend mit diesem Projekt die Kinderchorszene im Land vergrößern. „Singen ist so niedrigschwellig. Es gehört zum Ausdruck des Menschseins dazu. Wir setzen uns dafür ein, dass Kinder und Jugendliche so etwas Bereicherndes erleben können.“
Podcast-Empfehlung: Lehrjahre – Der ehrliche Karriere-Podcast
Journalistin Louisa Plasberg spricht mit spannenden Gästen über ihre Lehrjahre. Sie fragt sich: Was können vor allem Berufseinsteiger zwischen 20 und 30 von den Erfahrungen der anderen lernen. Mit dabei waren unter anderem Politikerin Katrin Göring-Eckhardt, Journalist Klaus Kleber oder Siemens Vorständen Janina Kugel. Zu hören bei Apple Podcast oder Spotify.