Der Deutsche Chorverband feiert Richtfest für das Deutsche Chorzentrum in Berlin.
Ende Juli wurde das Richtfest für das Deutsche Chorzentrum in Berlin-Neukölln gefeiert. Veronika Petzold, Geschäftsführerin des Deutschen Chorverbands, spricht über die Hintergründe des Großprojekts.
Nicole Eisinger: Frau Petzold, welche Idee steht hinter dem Projekt Deutsches Chorzentrum?
Veronika Petzold: Aus einem einfachen Gedanken wurde schnell eine große Vision. Zunächst sollte nach dem Verkauf der verbandseigenen Immobilie in Köln und Umzug des Deutschen Chorverbands 2008 nach Berlin „nur“ wieder eine neue Geschäftsstelle, gemeinsam mit dem Chorverband Berlin, entstehen.
Nicole Eisinger: Und was passierte dann?
Veronika Petzold: Bis 2014 wurden 21 verschiedene Objekte in Berlin gesichtet, auf ihre Eignung geprüft und mit jedem neuen Standort entstanden neue Ideen. Lange meinten wir, einen eigenen Veranstaltungssaal zu benötigen, eine Konzertstätte für unsere Chöre, bis wir irgendwann auch diesen Gedanken wieder aufgegeben haben, denn in Berlin mangelt es nicht an Konzerträumen. Auch ist es nicht die Aufgabe des Deutschen Chorverbands, ein eigenes Konzerthaus zu betreiben. Unsere Stärke ist die Entwicklung großer Veranstaltungen, wie es das Deutschen Chorfest oder die chor.com sind, oder Initiativen wie „Die Carusos“ zum Singen im Kindergarten sowie Öffentlichkeitsarbeit für das Chorsingen und Serviceangebote für unsere Mitglieder zu bieten.
Nicole Eisinger: Was heißt das fürs Deutsche Chorzentrum?
Veronika Petzold: Es ist zuallererst der Ort, wo unsere Ideen und Projekte geschmiedet und Partnerschaften entwickelt werden. Die Deutsche Chorjugend wird bessere Entfaltungsmöglichkeiten bekommen und es wird ein Hotspot für die Amateurmusik in Berlin werden, weil neben dem Berliner Chorverband auch der Landesmusikrat Berlin ins Haus einzieht und das Education-Programm der Berliner Philharmoniker „Vokalhelden“ seinen Neuköllner Standort dort aufschlägt. Und natürlich wollen auch wir selbst unmittelbar in den Bezirk hineinwirken. Wir können das, weil wir mit dem Heimathafen Neukölln, einem etablierten Veranstaltungs- und Festivalort Berlins, und umliegenden Musikstätten wie der Neuköllner Oper oder der Musikschule Neukölln kooperieren werden. Nicht zuletzt wird ins Haus auch eine musikalische Kindertagesstätte für 70 Neuköllner Kinder einziehen, sodass zusätzlich ein unmittelbarer Bezug zu den Menschen im Kiez entsteht.
Nicole Eisinger: Und warum gerade Berlin-Neukölln?
Veronika Petzold: Uns war ein Standort wichtig, der ein kulturelles Umfeld bietet, das ganz neue Kooperationen ermöglicht. Ich finde es richtig, dass das Deutsche Chorzentrum nicht zwischen den Statussymbolen der musikalischen Hochkultur, also zwischen Philharmonie, Konzerthaus und Staatsoper steht, sondern mitten im Leben – so wie unsere Chöre, unsere Vereine und jeder Chorbegeisterte es auch tut. Neukölln passt gut zu uns.
Veronika Petzold: Von hier aus werden alle bundesweiten Programme des Deutschen Chorverbandes und der Deutschen Chorjugend koordiniert und entwickelt, hier werden wir regelmäßige Veranstaltungen mit bundesweiter Beteiligung anbieten und unsere Beratungsleistungen sowie die gesamte Verbandsarbeit koordinieren. Und hier können wir auch ganz real Ansprechpartner unserer Chöre sein, wenn sie zum Beispiel in Berlin ein Treffen mit ihren Bundestagsabgeordneten haben. Das Deutsche Chorzentrum wird keinesfalls ein Verwaltungszentrum, sondern bietet auch Raum für Fortbildungsveranstaltungen und kleinere, musikalische Projekte oder Probenarbeit. Damit kann es ein sehr lebendiger Ort werden – nicht im Sinne eines Konzerttempels mit ganzjährigem Spielbetrieb – aber als Ideenschmiede und Labor für unsere prosperierende Szene. Und nicht zu vergessen: Hier entsteht auch Deutschlands einziges monatlich erscheinendes Vokalmagazin, die Chorzeit, mit der wir stets den Puls der Chöre messen.
Nicole Eisinger: Inwiefern kann die ganze Chorlandschaft davon profitieren?
Veronika Petzold: Mit dem Deutschen Chorzentrum bekommen alle Amateurchöre in Deutschland eine feste Adresse, mitten in Berlin. Wir haben hier künftig den authentischen Ort für wichtige kulturpolitische Lobbyarbeit, für soziales Engagement und Wertschätzung der Arbeit von Chören und ihrer Bedeutung für unsere soziale Gemeinschaft, in den Städten wie auf dem Land. Wir brauchen viel mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung für das Chorsingen als kulturelles Gut und vor allem für seine Tausenden ehrenamtlich tätigen Protagonisten. Gemeinschaftliches Singen ist immer auch soziale Gemeinschaft und wir merken gerade in der Corona-Krise, wie wichtig dieses manchmal belächelte Hobby für jeden Einzelnen von uns und unsere Gesellschaft insgesamt ist.
Nicole Eisinger: Was waren die größten Herausforderungen bislang?
Veronika Petzold: Da gab es so einige! Der Prozess hat sich ja über einige Jahre hingezogen, bis wir den richtigen Standort hatten, die Bauplanungen und Genehmigungsverfahren gelaufen und alle Zuwendungsgeber und die Bank mit im Boot waren. Und es war eine sehr große Herausforderung, alle im Deutschen Chorverband mitzunehmen und davon zu überzeugen, dass es eine richtige Entscheidung ist, diese große Investition einzugehen, die aber echte Zukunftssicherung bedeutet. Leider konnten wir davon nicht alle überzeugen.
Nicole Eisinger: Was waren gute Erfahrungen?
Veronika Petzold: Wir haben ganz unerwartete Partner und Unterstützer gefunden. Unsere Zuwendungsgeber und die Bank haben trotz mancher Schwierigkeiten nie das Vertrauen zum Projekt verloren und bis heute immer zu uns, vor und hinter uns gestanden. Die beteiligten Landes- und Bezirksverwaltungen, ob Kultur-, Jugend-, Bau-, Umwelt- oder Sanierungsbeauftragte, sehen im Chorzentrum einen willkommenen Akteur für Berlin. Spannend war zu erfahren, dass überall Menschen arbeiten, die selbst in Chören singen oder in Ensembles spielen und deshalb ein ganz persönliches Interesse zeigten. Das hat den einen oder anderen Vorgang beschleunigt und geholfen, manche Hürde zu nehmen.
Nicole Eisinger: Auch bei der Finanzierung hat sich ja nochmals ein bisschen was bewegt, seit im Frühjahr 2018 die Baugenehmigung öffentlich übergeben worden ist …
Veronika Petzold: Als wir im März 2018 von Frau Dr. Giffey die Baugenehmigung exakt an ihrem letzten Tag als Bürgermeisterin von Neukölln erhielten, war das ein wichtiges Signal für unsere Förderer und ein Meilenstein für die Finanzierung, die seit Februar 2020 nun komplett ist. Wir werden seitens des Landes Berlin durch die Lotto-Stiftung für den Berliner Chorverband und den Landemusikrat unterstützt und die Senatsverwaltung für Jugend fördert den Ausbau der Kindertagesstätte. Der Hauptzuwendungsgeber ist aber die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien auf Beschluss des Deutschen Bundestages. Um das Verhältnis zwischen öffentlichen Fördermitteln und Eigenengagement für ein solches Bauprojekt zu wahren, muss selbstverständlich auch der DCV seinen Beitrag leisten und mehr als 25 Prozent der Gesamtkosten erbringen. Der Erlös des Hauses in Köln, Förderkredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau und ein Bankdarlehen sichern das ab. Wir haben es also mit einer sehr komplexen Finanzierungsstruktur zu tun. Aber hier geht es um die langfristige Zukunftssicherung für den DCV, für den Berliner Chorverband und Landesmusikrat und auch für den Kindergarten. Darum lohnt jede Mühe.
Nicole Eisinger: Gibt es schon konkrete Pläne für die Eröffnung im nächsten Jahr?
Veronika Petzold: Wenn uns das Glück beim Bauablauf weiterhin so treu bleibt, wird die Eröffnung im Zuge der Länderversammlung Anfang März 2021 stattfinden – selbstverständlich unter Beteiligung unserer Mitgliedsverbände, aller Zuwendungsgeber und Weggefährten der letzten Jahre. Wir planen als Rahmen dafür eine neue Ausgabe unseres Festivals Chor@Berlin, dieses Mal natürlich im Heimathafen und in enger Zusammenarbeit mit den anderen Akteuren im Deutschen Chorzentrum. Auch wollen wir weitere Institutionen aus dem Umfeld einladen mitzuwirken, um die Eröffnung zu einem gemeinsamen Event in und für Neukölln und Berlin zu machen.
Nicole Eisinger: Worauf freuen Sie sich am meisten?
Veronika Petzold: Ganz ehrlich? Dass es endlich vollbracht ist! Und ich freue mich darauf, dort täglich zu arbeiten und auf die guten Arbeitsbedingungen, auf die Zusammenarbeit mit den anderen Institutionen und darauf, dass uns dieser Ort auch als Team ganz neu inspiriert. Und gewiss werden wir dort auch singen: von den Balkonen, auf der Terrasse und sicher in unserem Seminarraum, und bestimmt im Heimathafen Neukölln.