Zwischen Verordnungen, Empfehlungen, Einschätzungen, frierenden Chorsängern, Abstand, künstlerischer Arbeit und Klimaschutz. Und Hände waschen nicht vergessen.
„Es zieht! … Schon wieder Pause? … Ich höre meine Nachbarin nicht! … Was hat die Chorleiterin gesagt?“ Ach ja – Chorprobe in Zeiten der Corona-Pandemie. Alle paar Wochen eine neue Verordnung, unterschiedliche Regelungen je nachdem, ob Ihr Chor in Mecklenburg-Vorpommern, in Bayern oder im „Schwobeländle“ probt – und unterschiedliche Bedingungen, ob Sie einen Schulchor, einen Kirchenchor oder einen Gesangsverein leiten. Und haben Sie erst einen größeren Probenraum gefunden, wird er glatt ausnahmsweise für eine andere, noch größere Gruppe gebraucht und Sie brauchen wieder einen neuen.
Und Mäuse werden wir sowieso bald melken, sobald wir die Kirchen nicht mehr lüften können, weil es draußen zu kalt ist – für die Menschen und für die Instrumente, die in der Kirche stehen. Auch Orgeln mögen keine für teures Geld überhitzten Kirchen mit Stoßlüften im 40-minütigen Takt (sofern überhitzte Kirchen überhaupt existieren).
Aber: wir bei der Zeitschrift SINGEN sind positiv gestimmt und glauben fest daran, dass Chorleiter und Chorvorstände bald ihre Zollstöcke nur noch zum Ausmessen von Tannenbäumen oder quadratischen Schokoladentafeln und nicht mehr von zwischenmenschlichen Abständen verwenden werden. Aber welcher Abstand ist denn jetzt wirklich nötig, wie kommt man um das Lüften bei -5 Grad Außentemperatur herum und wie kann man die direkte Infektionsgefahr verringern, damit diejenigen Chorsänger zurückkommen, denen das Singen trotz Abstand immer noch zu heikel ist?
Dafür haben wir zwei Experten befragt. Univ.-Prof. Dr. Christian J. Kähler ist Professor für Fluiddynamik und Leiter des Instituts für Strömungsmechanik und Aerodynamik an der Universität der Bundeswehr München. Er hat mehrere Studien zum Thema „Musizieren während der Pandemie“1 durchgeführt, unter anderem zum Aerosolausstoß von Sängern und zur Wirkung von Raumluftfiltern. Univ. Prof. Dr. med. Bernhard Richter leitet das Freiburger Institut für Musikermedizin (FIM), das seit April eine regelmäßige Risikoeinschätzung für die Musikpraxis veröffentlicht. Am Institut für Musikermedizin wurde außer-
dem im Sommer eine Beratungsstelle eingerichtet, die Ansprechpartner für den Amateurmusikbereich über die möglichen risikoreduzierenden Maßnahmen bei der Musikausübung ist.
Das Labyrinth der Verordnungen
Spielen Sie ein Blasinstrument, gelten diese und jene Regeln. Aber Obacht: es kommt auf das Instrument an, denn Sie haben mehr Freiheit, wenn Sie Tuba spielen, als wenn Sie Querflöte spielen2. Singen Sie, dürfen Sie im Gottesdienst mit Maske singen, im Chor ohne Maske aber mit großem Abstand – und für eine begrenzte Zeit. Spielen Sie ein Streichinstrument, haben Sie vergleichsweise ziemlich gute Karten. Corona-Verordnungen gibt es von den Ländern, Kirchenchöre haben zusätzlich Mitteilungen der Landeskirche zu beachten und Schulchöre eben die Verordnung für die Schulen. Da kann einem vor lauter Texte schon mal schwindelig werden. Hilfe ist beim Freiburger Institut für Musikermedizin zu finden: Diese Einrichtung ist eine Kooperation zwischen dem Universitätsklinikum und der Hochschule für Musik Freiburg.
In Corona-freien Zeiten wird das Institut traditionell von Berufsmusikern besucht, die u. a. aufgrund der hohen Anzahl an Praxisstunden unter besonderen gesundheitlichen Problemen leiden. Bei Orchestermusikern kann zum Beispiel das Gehör beschädigt werden, bei asymmetrischen Instrumenten wie Geige kann durch eine lange angewöhnte Fehlhaltung der Rücken schmerzen, während bei Sängern schon kleine Veränderungen im Vokaltrakt, die mit den Stimmbändern nichts zu tun
haben müssen, großen Einfluss auf die Stimme haben.
Seit März 2020 hat aber im Institut für Musikmedizin das große Thema COVID-19 den Alltag verändert. Bereits im April wurde die Leitung des FIM von der Landesrektorenkonferenz Baden-Württemberg ange-
sprochen, ob das Institut eine Risikoeinschätzung einer Coronavirus-Infektion im musikalischen Bereich abgeben könne. Diese Risikoeinschätzung bildet nach wie vor für Musiker eine wissenschaftlich fundierte und konkret formulierte Arbeitsbasis und wird seitdem regelmäßig aktualisiert3, sobald neue Ergebnisse aus der Forschung bekannt werden. Außerdem enthält sie auch Vorschläge, um das Risiko einer Virusübertragung beim gemeinsamen Musizieren zu reduzieren – und steht in sieben Sprachen zur Verfügung.
Das Ministerium für Wissenschaft Baden-Württemberg (welches übrigens für die Amateurmusik zuständig ist) wurde auf dieses wichtige Dokument aufmerksam und bat das Institut für Musikermedizin Freiburg darum, eine Beratungsstelle für Amateurmusiker4 einzurichten. Diese Beratungsstelle wurde am 1. Juli 2020, voraussichtlich für zwei Jahre, ins Leben gerufen. Ziel ist, die Hintergründe der Verordnung zu erläutern und auf präzise Fragen einzugehen, auf die in der landesweiten, bereichsübergreifenden und demnach zwangsläufig prägnanten Verordnung nicht eingegangen werden kann.
Mit dem allmählichen Wiederbeginn von Proben sind die Mitarbeiter*innen der Beratungsstelle sehr gefragt. Möchten Sie auch eine Beratung, füllen Sie zuerst ein Online-Kontaktformular aus. Die eingereichten Fragen werden ausgewertet, und Sie werden von den für Ihre Frage kompetenten Mitarbeiter*innen kontaktiert.
Maßnahmen gegen die direkte Infektionsgefahr
Die Abstandsregelungen, die während der Chorprobe einzuhalten sind, sind weitesgehend bekannt: Zwischen den Chorsängern müssen mindestens 1,5 Meter, besser 2 Meter Abstand eingehalten werden. Das gilt nicht nur nach links und rechts, sondern auch radial: Überall um den Sänger herum muss dieser Abstand gewährleistet sein. Er schützt vor allem vor einer Tröpfcheninfektion. Die münchner Forscher empfehlen zur Erhöhung der Sicherheit die Reihen versetzt aufzustellen werden, so dass jeder Sänger nach vorne und hinten mindestens 3 Meter Abstand hat.
Die direkte Infektionsgefahr kann auch durch die Verwendung eines sogenannten „Popschutzes“ verringert werden. Ein Popschutz ist ein ringförmiger Rahmen, in welchem ein Netzgewebe gespannt wurde; ursprünglich dient es, bei einer Sprach- oder Singaufnahme Störgeräusche zu dämmen. Das Netz blockiert aber auch die Luft, die der Sänger ausstößt, somit werden die Aerosole ebenfalls gebremst. Ein Popschutz eignet sich auch für Blasinstrumente.
Maßnahmen gegen die indirekte Infektionsgefahr
Grundsätzlich gilt: je länger sich eine Gruppe
in einem Raum aufhält, desto höher wird ggf. die Viruskonzentration in der Luft. Davor schützen die vorgeschriebenen Lüftungspausen und vor allem die Raumgröße. Als Faustregel gilt: sind 60 m3 Luft pro Person vorhanden, so könne ein Chor eine Stunde lang singen – danach ist wieder Lüften angesagt. Diese 60 m3 für eine Stunde sind beispielsweise für einen Kammerchor in einer Kirche oft kein Problem, und je höher die Decke, je größer das Gebäude, desto niedriger das Risiko. Bei Kirchenbenutzung ist also das Luftproblem nicht die größte Sorge, sondern bald: die Kälte. Allmählich werden die Wintermäntel aus dem Schrank geholt, und bald wird auch in üblichen Räumen das Lüften ein Problem mit sich bringen: Wenn draußen knapp 5 Grad sind und drinnen die Heizung läuft, wird das ständige Lüften zur enormen Energieverschwendung. Außerdem werden die Sänger und Chorleiter frieren, und für die Instrumente ist das Auf und Ab der Raumtemperatur ebenso suboptimal.
Deshalb hat das Team von Prof. Kähler an der Universität der Bundeswehr in München
exemplarisch einen leistungsfähigen Raumluftreiniger getestet. Diese Studie ist online5
verfügbar und zeigt, dass sich mit einem solchen Gerät „die Aerosolkonzentrationen selbst in Räumen mit einer Fläche von 80 m2 je nach Volumenstrom in 6 bis 15 Minuten halbieren lässt.“ Lässt man dieses Gerät während der Probe durchgehend laufen, lässt sich die indirekte Infektionsgefahr also auf einem sehr niedrigen Niveau senken. Der besondere H14-Schwebstofffilter, der in den mobilen Raumluftreiniger eingesetzt wird, filtert nachgewiesen auch Coronaviren aus. Außerdem hat der Raumluftfilter einen angenehmen Nebeneffekt: er filtert nicht nur die Viren, sondern auch Feinstaub und Pollen.
Die Qualität ist Ausschlaggebend
Preislich sind professionelle Raumluftreiniger bereits im dreistelligen Bereich im Handel erhältlich. Günstigere Modelle sind für kleine Räume konzipiert und die Qualität der vorhandenen Filter ist, so Prof. Kähler, nicht hoch genug, um vor einer indirekten Infektion der hier thematisierten Pandemie zu schützen. Außerdem wird die Lautstärke der Geräte höher, je niedriger der Preis ist – ein Merkmal, das für eine Chorprobe nicht unbedeutend ist.
Ein Raumluftreiniger, wie er in der oben genannten Studie getestet wurde und der für eine Chorprobe geeignet wäre, kostet derzeit etwa 4.200,00 €. Oft ist eine solche Summe nicht vorhanden. Aber bevor jeder Chor dieses Geld ausgibt und das Gerät nur einmal in der Woche verwendet, ist eine gemeinsame Investition mehrerer Vereine sicherlich möglich und sinnvoll. Eine Kirchengemeinde kann den Luftreiniger sowohl für den Kirchenchor als auch für den Konfirmandenunterricht oder für weitere Sitzungen und Treffen verwenden. Was den finanzielle Aspekt zusätzlich betrifft: viele Gemeindegruppen weichen momentan in Kirchen aus. Sollte eine Gemeinde eine große Kirche dauerhaft heizen müssen, wäre der Preis eines Raumluftreinigers innerhalb einiger Wochen bereits erreicht …
Das größte Risiko besteht nicht in der Chorprobe
Sie haben es sicher bereits festgestellt: in der Chorprobe benehmen sich die meisten Menschen vorbildlich und halten Abstand. Sobald die Tür des Raumes in Sicht ist, ist jedoch jegliche Vorsicht vergessen. Chorsänger geben sich wortwörtlich die Klinke in die Hand, sie fassen den Flügel an, um ihn zurückzuschieben, sie plaudern in Grüppchen und das Treppengeländer brauchen sie ja auch. Die Professoren Kähler und Richter sind sich einig: Allen Regeln in der Probe zu folgen, um bei Probenende sofort in alte Muster zurückzukehren, macht jede Vorsichtsmaßnahme zunichte.
Möchten Sie Ihren Chor (und sich) wirklich schützen, so erinnern Sie ihn regelmäßig an das Händewaschen, an das Hände-Desinfizieren, an den Abstand auch im Flur und nach dem Singen, und bitten Sie ihn, das gesellschaftliche Plaudern erst draußen mit Abstand durchzuführen. Dazu eine wohlbekannte FFP2-Maske für die Wege zwischen Sitzplatz und Außentür, und Sie haben alles getan, um Infektionen zu meiden.