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Singen & Stimme, SINGEN 2021-04, Thema

Schriften über Zeit für Chor oder: Chor-Zeit-Schriften

Prof. Dr. Friedhelm Brusniak
1. April 2021

…als „Zeitkapseln“ (nicht nur) für die historische Chorforschung

Zu den bemerkenswertesten Publikationen zum Thema „Musikfeste“ in jüngster Zeit zählt die 2006 im Merseburger-Verlag Berlin und Kassel erschienene Zürcher Dissertation „Die deutschen Musikfeste des 19. Jahrhunderts im Spiegel der zeitgenössischen musikalischen Fachpresse“ aus dem Jahre 2004 von Samuel Weibel.

 Gleich zu Beginn der Einleitung seines über 700 Seiten umfassenden Buches stellt der Autor fest, die deutschen Musikfeste verdankten „ihre nachhaltige Wirkung“ „zu einem wichtigen Teil ihrer beeindruckenden Resonanz in der zeitgenössischen musikalischen Fachpresse“: „Die Musikzeitschriften sorgten mit ihrer veranstaltungsbezogenen Berichterstattung und ihren differenzierten Betrachtungen für die erforderliche theoretische Durchdringung der ureigensten Motive und Ziele von Musikfesten. Zugleich trugen sie aber auch entscheidend zur raschen Popularisierung des musikfestlichen Gedankenguts in der bürgerlichen Öffentlichkeit bei. Die Musikblätter vermittelten ihren Lesern die wesentlichen Grundideen der Musikfeste und sicherten diesen damit eine breite Wirkungsbasis. Nicht selten nutzten die Berichterstatter ihre Artikel aber auch zur Verbreitung persönlicher Ansichten und Standpunkte. […] Die Zeitschriften vermittelten somit aufschlussreiche Einblicke in die wechselvolle Geschichte der deutschen Musikfeste wie auch in deren vielfältige Funktionalisierung durch die bürgerliche Öffentlichkeit.“

 

Fachzeitschriften als Spiegel der Chorszene

Diese Feststellung kann ich als historischer Chorforscher unter dem Eindruck der reichen Liederfest- und Sängerfestkultur seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts nur nachdrücklich bestätigen: Jede Nummer eines Periodikums für das Chorwesen erscheint mir wie eine „Zeitkapsel“, die beim Öffnen gleich mehrere „Zeitfenster“ mit unterschiedlichen Perspektiven bietet. Beim Lesen entstehen Bilder. Einmal darf ich wie beim Betrachten eines Bildes innehalten und mir Zeit lassen zum Nach- und Weiterdenken, nicht selten auch zum erinnernden Mit- und Nachhören von mir bekannter Musik, über deren Entstehungshintergründe, Aufführung und Wirkung auf die Zuhörenden berichtet wird. Ein anderes Mal bleibe ich an Fotos von Akteuren und Aufführungsorten hängen oder fühle mich voller Neugier und Aufmerksamkeit einbezogen in eine kontroverse Diskussion, schalte mich plötzlich aus der Position eines „Beobachters“ und voller Spannung gefesselten „Zuhörers“ gedanklich mit kritischen Bemerkungen in den Diskurs ein und merke erst nach einer Weile, dass ich mich in einer fiktionalen Welt befunden habe.

Geschichte, Rückblick, Tradition, Wandel und Aktualität, Verqueres und Visionäres, auch Utopisches – die ständige Auseinandersetzung mit der Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigkeit, mit einem merkwürdigen gemischten Gefühl von Distanz zur vorliegenden Schrift einerseits und dem deutlich wahrnehmbaren persönlichen Bezug zu ihr andererseits, ein Wechselbad der Gefühle bei Momentaufnahmen einer sich gleichzeitig in Bewegung befindlichen Chorkultur in Vergangenheit und Gegenwart, fasziniert mich bei jeder „Schrift über Zeit für Chor“ neu.

 

Die Zeitschrift als „Erinnerungsort“

In den letzten Jahrzehnten ist zu Recht viel über „Gedächtniskultur“ und individuelle und kollektive „Erinnerungsorte“ nachgedacht worden. In diesem Zusammenhang hat auch das Thema „Zeit für Chor“ gebührende und in immer größeren Teilen unserer Freizeit- und Eventgesellschaft erhöhte Aufmerksamkeit gefunden, ist doch die aktive Mitwirkung an Proben und Auftritten für jedes Chormitglied immer auch bewusst gewählte, kostbare „Lebenszeit für das Singen in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter“ und hat einen festen „Sitz im Leben“.

Während die historische Chorforschung den Nachweis erbringen konnte, dass die Chorbewegung seit dem ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung des Demokratiebewusstseins geleistet hat und heute einen unverzichtbaren Bestandteil der Kultur unserer freiheitlichen Gesellschaft allgemein und der Musikkultur im Besonderen darstellt, treten immer mehr auch weitere positive Aspekte etwa für Interkulturalität, Inklusion, Bildung und Gesundheit in den Mittelpunkt. „Schriften über Zeit für Chor“ waren und sind spannende „Foren für Fokussierungen“ auf alte und neue Themen über und um Chormusik, Chorsingen und Chorsingende, aber auch um andere Musikkulturen in der Region, in Deutschland, Europa und der ganzen Welt. Erst im Rückblick wird deutlich, wo die wirklich zentralen Fragen und Antworten zu verorten sind. Die Rahmenbedingungen für „Singen im Chor“ haben sich zu unterschiedlichen Zeiten verändert, mussten und müssen angepasst werden, die Faszination an und das Bedürfnis der Menschen nach „Zeit für Chor“ aber ist geblieben. Chor-Zeit-Schriften sind mehr als Dokumente und Artefakte der Chorgeschichte, sie sind einzigartige „Archive unseres chorkulturellen Gedächtnisses“.

Die Zeitschrift des Schwäbischen Chorverbandes trägt den Titel SINGEN. Ohne diese Betätigung ist Chor nicht denkbar. Immer wenn ich mich mit „Chor-Zeit“ befasse, erinnere ich mich an das Neujahrslied „Meine Zeit ist noch nicht gekommen“ von Heinz Werner Zimmermann aus dem Jahre 1999. Der am Bodensee aufgewachsene, heute neunzigjährige international renommierte Komponist, mit dem ich viele Jahre im Herausgebergremium der Zeitschrift Musik und Kirche zusammengearbeitet habe, hat den Text seines Neujahrslieds nach Johannes 7,6 selbst gestaltet und unterschiedliche Zeitwahrnehmungen und -begriffe thematisiert: „unsere Zeit“ als „nur kurz gewährte Zeit“ und „Gottes Zeit“, die „von Ewigkeit zu Ewigkeit“ währt, „Glaubenszeit“, „Hoffnungszeit“ und „Gnadenzeit“. Zimmermanns eingängige Melodie ist für mich zum Ohrwurm geworden. Sie stärkt mich und gibt mir wieder neue Lebenskraft. Auch wenn ich allein singe, fühle ich mich in der Vorstellung, dass es anderen Menschen ebenso gehen wird, in einer virtuellen Gemeinschaft von Singenden. Heinz Werner Zimmermanns Neujahrslied habe ich zuerst als Zeitschriftenbeilage kennengelernt und bewahre diese seither gesondert auf. Texte und „Notentexte“ führen zu Kontexten, rufen Erinnerungen wach und wecken Assoziationen; in Schriftbild manifestierter Zeitgeist offenbart sich geistiges Potenzial für die Zukunft.

Der Schwäbische Chorverband zählt zu den ältesten und seit seiner Gründung 1849 als Schwäbischer Sängerbund zu den traditionsreichsten Chorverbänden im gesamten deutschsprachigen Raum. Wenn die Verbandszeitschrift des SCV 100 Jahre alt wird, ist dieses seltene Jubiläum ein ganz besonderer Anlass, grundsätzlich über das „Kulturgut“ „Schriften über Zeit für Chor“ bzw. Chor-Zeit-Schriften nachzudenken. Dann werden sich auch im digitalen Zeitalter neue Perspektiven für ein altes gesellschafts- und „choridentitätsstiftendes“ Medium öffnen.

Chor, Geschichte, Öffentlichkeitsarbeit
Schriften über Zeit für Chor oder: Chor-Zeit-Schriften
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