Ausbildung zum Coach für Pop-Chöre an Schulen und in der Sozialen Arbeit: Interview mit Maximilian Stössel
Wie kann man Kinder und Jugendliche in der musikalischen Sozialarbeit oder in der Schule so fördern, coachen und begeistern, dass sie selbstbewusst und motiviert ihre Lieblings-Songs gemeinsam mehrstimmig singen und darüber hinaus über Gamification und Peer-Learning spielerisch Grundlagen in Musiklehre, Body Percussion, Improvisation und Gehörbildung erlernen? Genau zu dieser Thematik startet im November 2021 beim Schwäbischen Chorverband eine neue Ausbildungsreihe zum Coach für Pop-Chöre an Schulen und in der Sozialen Arbeit.
Zirka 20 Teilnehmenden wird in dieser Ausbildung anhand konkreter Best-Practice-Beispiele, Experimente, Studien, Übungen, Spiele und Methoden übertragbare Erkenntnisse aus der psychologischen und musikpädagogischen Forschung und Praxis vermittelt, die zum systematischen Aufbau von Selbstvertrauen, Motivation und musikalischen Kompetenzen dienen. Die Teilnehmenden erhalten intensiven Unterricht in Ensembleleitung/Gruppenmusizieren, einem Begleitinstrument (Klavier, Gitarre), Gesang und Percussion/Rhythmus, um in diesen Bereichen praxistaugliche Grundlagen zu erlernen für das motivierende, voraussetzungsoffene Musizieren mit heterogenen Kinder- und Jugendgruppen.
Vorkenntnisse in diesen Bereichen sind nicht nötig. Ergänzt wird die Fortbildung mit Kommunikations-Coachings und Workshops zu Stimmphysiologie (Wie funktioniert die Stimme und ihre Gesund-Erhaltung?), Tanz und Bewegung (Wie entwickle ich mit Teenagern motivierende Choreografien?), Projektmanagement (Wie setze ich solche Musikangebote z. B. als AG an meiner Schule um?) und Musikproduktion (Wie kann ich Tablets, Handys oder PCs bzw. Apps und Software zum niederschwelligen Musizieren und/oder Aufnehmen von Videos, Songs oder Tutorials nutzen?).
Als Zielgruppe werden pädagogische Fachkräfte angesprochen, die an sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) mit kognitiven, emotionalen und/oder sozialen Förderschwerpunkten chor-pädagogisch mit Kindern und Jugendlichen arbeiten (wollen) – im Unterricht und/oder im AG- oder Betreuungsangebot der Schule. Die Fortbildung richtet sich (auch) an Personen, die musikbegeistert sind, aber bisher keine umfassende musikalische Ausbildung haben.
Als Dozent:innen konnten für diese Ausbildung Musiker, Pädagoge und Kulturmanager Maximilian Stössel, Klavierlehrer, Komponist und Arrangeur Daniel Pottgüter, Sängerin, Chorleiterin und Pädagogin Klara Hens sowie Musikpädagoge und Multiinstrumentalist Philip Keck gewonnen werden. Ich habe mich mit Maximilian Stössel über seine Beweggründe zur Beschäftigung mit dieser Thematik unterhalten.
Nina Ruckhaber: Wie kam es, dass du dich mit diesem Themengebiet beschäftigt hast?
Maximilian Stössel: Seit ich ein kleines Kind bin, finde ich faszinierend, was gemeinsames Singen mit einem Menschen machen kann. Gemeinsames Singen hat so viele Dimensionen. Es ist natürlich zunächst einmal das Musizieren an sich, also sich künstlerisch auszudrücken, sich verbunden zu fühlen mit sich selbst und anderen Menschen. Aber gemeinsames Singen hat halt immer auch eine emotionale, zwischenmenschliche, psychologische und pädagogische Dimension – und das habe ich im Studium weiter vertieft:
Zum einen die Frage, wie man Chöre leiten kann, in Chören singen kann. Und zum anderen, wie man wissenschaftlich fundiert mit musikpädagogischen Mitteln Selbstvertrauen stärken kann – spätestens als ich mich in meiner Bachelorarbeit in Musikpädagogik damit beschäftigt habe, hat es Klick gemacht, haben diese beiden Themen für mich persönlich zusammengefunden: Wie kann man Chorpädagogik, wie kann man das gemeinsame Singen im Chor nutzen, in der Sozialarbeit oder auch in Schulen, mit ganz bewussten pädagogischen Zielen.
Nina Ruckhaber: Viele Lehrer klagen über mangelnde Motivation der Schüler:innen an Schulen und zu wenig Musikunterricht. Mehrstimmiges Singen scheint da sehr fern zu liegen. Warum macht es dir Spaß, dich dem zu stellen?
Maximilian Stössel: Weil ich in verschiedenen Projekten, in denen ich arbeite, erlebe, dass es auch anders gehen kann. Ich erlebe, dass Schülerinnen und Schüler mega motiviert mehrstimmig singen, auch in Schulen zum Beispiel, auch in Stadtteilen, in denen es wenig musische Förderung gibt. Und das macht mir Spaß: Eine solche Herausforderung anzunehmen und zu merken, dass Schülerinnen und Schüler sich begeistern lassen können und man dann miteinander erlebt, wie toll gemeinsames Singen sein kann! Gerade bei solchen Schüler:innen ist mein Glücksgefühl umso größer, wenn ich mithelfen konnte, ihnen die Welt der Musik und des gemeinsam Singens zu erschließen und zu eröffnen.
Nina Ruckhaber: Was waren bisher die schönsten Erfolgserlebnisse in deiner Arbeit mit Jugendlichen?
Maximilian Stössel: Tatsächlich finde ich es mit am schönsten, dabei sein zu dürfen, wenn Kinder oder Jugendliche Aha-Momente erleben – und ganz besonders diesen Moment, wenn sie spüren, dass sie etwas geschafft haben, von dem sie selbst vorher glaubten, dass sie es nie schaffen könnten. Das kann ein Auftritt sein, das kann die Situation sein, dass die Kinder oder Jugendlichen auch mal vor der Gruppe stehen. Denn eine der Sachen, die mich besonders interessieren, ist das Ausbilden von Jugendlichen, die dann wiederum andere Jugendliche coachen. Zu beobachten, dass Jugendliche am Anfang vielleicht noch ganz schüchtern sind, sich kaum etwas zutrauen und am Ende vielleicht vor einem ganzen Chor stehen und andere Jugendliche für das gemeinsame Singen begeistern und dabei zusammenwachsen und auch über sich selbst hinauswachsen – das finde ich letztlich immer wieder das schönste!
Nina Ruckhaber: Was sind aktuell immer noch Hürden und Schwierigkeiten?
Maximilian Stössel: Ich glaube, in Schulen ist es ganz oft eine Frage von Zeit und Ressourcen, also zum Beispiel auch des Betreuungsschlüssels. Eine weitere Hürde und ein großes Problem in Deutschland ist die Bildungsungerechtigkeit, und das merken wir ganz besonders im Bereich der kulturellen Teilhabe. WIE ungerecht kulturelle Teilhabe tatsächlich verteilt ist, zeigt sich zum Beispiel daran, welche Kinder ein Musikinstrument erlernen und welche nicht: Diese Grenze verläuft total entlang der Einkommensverhältnisse der Eltern. Das heißt, wir sollten es schaffen, diese Hürden abzubauen, sodass Kinder und Jugendliche unabhängig vom Elternhaus musizieren können und dazu auch ausgebildet werden – zum Beispiel in Schulen, aber auch in Vereinen. Unsere Aufgabe ist es also, gezielt auch diejenigen Kinder und Jugendlichen zu finden und zu fördern, die vielleicht nicht von selbst kommen oder deren Eltern das sich nicht leisten können.
Nina Ruckhaber: Was wünschst du den Teilnehmenden am Ende der Ausbildung beim Schwäbischen Chorverband?
Maximilian Stössel: Ich wünsche und hoffe, dass die Teilnehmenden am Ende der Ausbildung zum Coach für Popchöre in Schulen oder der musikalischen Sozialarbeit einen großen Werkzeugkoffer an Methoden und Skills haben, um in genau diesen Arbeitsfeldern junge Menschen zu begeistern und zu fördern – und auch auf deren Musikwünsche eingehen zu können.