Ein Appell an die Mitglieder
Mit·be·stim·mung: Substantiv, feminin [die]; das Mitwirken, Teilhaben, Beteiligtsein an einem Entscheidungsprozess
De·mo·kra·tie: Substantiv, feminin [die]; politisches Prinzip, nach dem das Volk durch freie Wahlen an der Machtausübung im Staat teilhat; „zu den Prinzipien der Demokratie gehört die freie Meinungsäußerung“
Ver·band: Substantiv, maskulin [der]; 1. Zum Schutz einer Wunde o. Ä., zur Ruhigstellung (z. B. eines gebrochenen Knochens) dienende, in mehreren Lagen um einen Körperteil gewickelte Binde o. Ä. 2. von mehreren kleineren Vereinigungen, Vereinen, Klubs o. Ä. oder von vielen einzelnen Personen zur Durchsetzung gemeinsamer Interessen gebildeter größerer Zusammenschluss; „politische, kulturelle, karitative Verbände“
Wie definieren wir uns?
Der Einstieg scheint irritierend. Natürlich wissen wir alle, was Mitbestimmung bedeutet, wie sich Demokratie definiert und wenn man im Dunstkreis der Amateurmusik das Wort „Verband“ hört, denkt man unwillkürlich an die demokratische Vertretung von Interessengemeinschaften. Dass dies in anderem Kontext nicht unbedingt die erste Assoziation ist und sogar in der Definition hinter einem Stück Stoff anstehen muss (ohne dabei die Wichtigkeit dieser Erfindung schmälern zu wollen), spricht Bände. Mit Recht sind die Verbände der Amateurmusik, allen voran die Chorverbände, stolz auf ihre lange demokratische Tradition und den Einfluss, den sie dabei auf die Bevölkerung hatten. Doch was ist aus diesem eigenen Anspruch geworden?
Mitbestimmen, Teilhabe, konstruktiver Diskurs: Das alles sind bis heute Grundsätze, die der Schwäbische Chorverband stolz auf seinem Banner tragen würde, aber stattdessen lieber als moderner Verband in seinen Leitlinien stehen hat. Dennoch wird es immer schwieriger, die Mitglieder in Regionalchorverbänden und Vereinen zu Mitgliederversammlungen und anderen verbandspolitischen Veranstaltungen zu bewegen. Dabei geht es bei Chorverbandstag und Chorjugendtag mit Nichten um das Abnicken von Haushalt, Projekten oder Wahlen. „Wir als Schwäbischer Chorverband haben durchaus einen gesellschaftspolitischen Auftrag der über die Organisation von Rahmenbedingungen für unsere Chöre und Vereine deutlich hinausgeht. Dadurch sind wir natürlich auch darauf angewiesen, dass der Verband von den Mitgliedern getragen wird. Im Umkehrschluss müssen sich die Vertreter:innen der Vereine und Regionalchorverbände aber auch mit uns in eine inhaltliche Diskussion einlassen wollen. Diese Kommunikation darf also keine Einbahnstraße nach dem Motto ´Ich frage, was ihr wollt´ sein. Es muss eine Mitbestimmung, keine Blockadehaltung sein. Wenn man inhaltlich und sachlich diskutiert, dann erzeugt man Transparenz in beide Richtungen. Warum will ich was? Warum wünsche ich mir was von unseren Mitgliedern? Genauso und umgekehrt. Das ist dann die Partizipation, die Mitbestimmung und Demokratie im Verband“, erklärt Dr. Jörg Schmidt, Präsident des SCV seine Sicht auf das Thema Mitbestimmung.
Hintergrund hierfür: Unter anderem die anstehende Strukturreform des SCV – ein Thema, das nicht unumstritten ist. Das weiß auch Schmidt: „Es geht aktuell um Strukturen, die jetzt zum Teil 100 Jahre alt sind. Wir gehen anvertraute Strukturen an, ob diese gut sind, ist eine andere Frage. Aber wir gehen sie an. Wir brauchen die beteiligten Menschen auch in der neuen Struktur. Daher wollen wir ehrlich und transparent mit diesem Thema umgehen und konkret mit den Akteur:innen vor Ort klären: Warum wollen wir was nicht? Vielleicht gibt es eine bessere Lösung? Gibt es eine dritte Lösung? Vielleicht bin ich auf dem Holzweg?“ Auch Eberhard Wolf, Vertreter der Verbände im Präsidium des SCV und Präsident des CV Ludwig Uhland weiß aus persönlicher Erfahrung wie wichtig die Strukturreform wird. „Wir müssen mal die Strukturen überprüfen, drüber nachdenken, ob sie noch zeitgemäß sind.“ Trasparenz müsse hier aber das höchste Gut sein daher geht Wolfs Appell auch noch einmal eindringlich an die Verantwortlichen in den Vereinen und Chören: „Ich appelliere hier an unsere Vereine, sich wirklich offen und konstruktiv in die Diskussion einzubringen und nicht von vornherein zu sagen `Das geht so nicht´ oder `Wir wollen keine Veränderungen´. Wir müssen uns weiterentwickeln und fortschrittlich sein. Und da gehört es auch dazu, die Arbeit eben auch, wie sie bisher üblich war, zu überprüfen und auf den aktuellen Stand zu bringen.“ Und er schließt mit einem Anliegen: „Ich wünsche uns, dass es uns gelingt.“
Beim Thema Strukturreform geht es um eine Gebietsreform, aber eben nicht nur. Eine Vergleichbarkeit der Standards in allen Regionalchorverbänden in Bezug auf Leistungen steht auch ganz oben auf der To-Do-Liste. Ein Punkt ist vor allem dem Vorstand der Chorjugend im Schwäbischen Chorverband besonders wichtig: „Aus unserer Sicht ist es notwendig, dass es in jeder dieser neuen regionalen Strukturen, eine eigene, eigenständige Jugendarbeit gibt, in der Kinder und Jugendliche als Vertretung mit hoher Selbstständigkeit und hoher Eigenverantwortlichkeit arbeiten können“, sagt Johannes Pfeffer. Vorsitzender der Chorjugend im Schwäbischen Chorverband. Eine Forderung, die zukunftsweisend und essentiell ist. Nur durch diese Basisarbeit funktioniert letztlich die Arbeit in Landes- und Bundesverband. In vielen Bereichen sei die Arbeit der Jugendorganisationen Impuls- und Ideengeber für den gesamten Verband. Hier gibt es Platz zum Experimentieren, neue Perspektiven aufzunehmen und auch einfach mal etwas auszuprobieren. Ein wichtiger Pfeiler für einen lebendigen Verband, der mit Partizipation und Empowerment die Kinder und Jugendlichen an zukünftige Aufgaben heranführen will.
Mitbestimmen, wo das Geld hingeht
Nicht als Strafe, sondern als Anreiz und Aufforderung, seiner Mitbestimmung nachzugehen, war auch der Antrag des Vorstands der Chorjugend an den Chorjugendtag am 10. Oktober diesen Jahres, die Fördermittel im Bereich der Kinder- und Jugendchöre neu zu verstehen und vor allem auch neu zu strukturieren. Aus einer Fördersumme, die bisher auf Grund der Bestandsmeldung an Vereine mit Kinder- oder Jugendchor ausbezahlt wurde, entstand mit dem Förderfonds Kinder- und Jugendchorarbeit ein neues Förderinstrument, bei dem Mitmachen für Vereine nicht nur erwünscht ist, sondern Grundvoraussetzung ist. Im Dezember trifft sich zum ersten mal ein Arbeitskreis, der sich mit der genauen Verwendung der Mittel auseinandersetzt. Mit am Tisch sitzen hier Vertreter der Chorjugend, der Regionalchorverbände sowie der Vereine. „Im Prinzip entsteht hier ein neuer Raum mit finanziellem Spielraum, der eben wirklich gemeinsam gefüllt und gestaltet werden kann. Das ist kein Abschieben der Verantwortung. Natürlich bin ich als gewählter Vertreter auch dafür da, bestimmte Dinge zu entwickeln. Wir haben im Vorstand Projekte, bei denen wir ganz klar sagen: Die sind uns wichtig, die wollen wir, das sind Projekte, wie sie die Szene braucht, die führen wir durch. Aber neben diesen Baustellen braucht es etwas mehr Raum, in dem ich auch als Vereinsvertreter mitentscheiden kann. So können Dinge auf den Weg gebracht werden, die der Vorstand so vielleicht noch nicht gesehen hat. Hier können sich Mitglieder direkt einbringen und eine andere Abwägung von Kosten und Nutzen einbringen. Hier gibt es den Raum, auch den finanziellen Raum, um zu entscheiden, was mit den Mitteln des Förderfonds vorangebracht werden soll, wofür die Mittel eingesetzt werden sollen. Deswegen ist es ganz wichtig, dass möglichst viele sich an diesem Abstimmungsprozess beteiligen“, erklärt Johannes Pfeffer das Vorgehen.
Mit diesem Schritt will der Vorstand der Chorjugend nicht nur zu mehr Mitbestimmung aufrufen und Mitbestimmung attraktiver gestalten, sondern auch neue Impulse in die eigene Arbeit einbringen. Mehr Netzwerk, mehr Ideen, mehr Schultern, auf die sich dieses Thema verteilt. Das weiß auch Katharina Burger, stellvertretende Vorsitzende der Chorjugend im SCV. „Der neue Förderfond ist auch ein Förderinstrument. Ein Thema wird sicherlich auch der Neustart nach der Pandemie sein: Brauchen Chöre in bestimmten Bereichen noch mal Unterstützung für den Neustart? Welche Hilfen und Angebote werden konkret vor Ort benötigt? Solche Dinge nutzen im Endeffekt dem Verein direkt. Themen könnten sein: Wie wichtig ist es für uns zum Beispiel ein großes gemeinsames Festival zu machen, um uns wieder zu begegnen? Oder uns intensiver mit Kindeswohl beschäftigen wollen, oder das Thema Spielepädagogik in den Fokus gerückt werden soll.“
Solche Veränderungsprozesse dürfen kein Selbstzweck sein, nur damit dann irgendwann in den Annalen des Schwäbischen Chorverbandes steht: Präsident Schmidt hat damals diese regionale Strukturreform hingekriegt. Darum geht es nicht. Es muss Sinn machen, es muss einen Mehrwert für den Verband bringen. Was die Chorjugend hier mit dem Förderfonds auf die Beine gestellt hat, ist klasse: Man muss einfach an das Eigeninteresse der Vereine appellieren. Sie müssen ein Interesse daran haben, weiter da zu sein, nicht aufzugeben, damit die Arbeit weitergeht. Hier entstehen neue Projekte und Ideen, die langfristig ein guter Dienst an den Vereinen sind. Durch diese Maßnahmen entsteht ein Mehrwert, der an die Lebenswirklichkeit der Menschen angelehnt ist.