Wie man sie gewinnt, behält, zurückerobert.
Auf die Frage: „Wie viele Mitglieder seid ihr denn gerade?“ kommt in den Zeiten, in denen das Proben nach den Einschränkungen gerade erst wieder begonnen hat, recht zögerlich. „Wir wissen nicht so genau, ob xy wieder kommt“ oder auch „einige sind noch zögerlich, wieder in eine Präsenzprobe zu kommen“, sind häufige Rückmeldungen. War Mitgliedergewinnung schon ein großes Thema vor der Pandemie, ist es jetzt eine große Herausforderung – angereichert mit der Furcht, auch aktive Mitglieder zu verlieren. Daher ist es wichtig, das Thema effektiv, schnell und vor allem allumfassend anzugehen.
Mitgliedergewinnung ist kein Projekt, sondern eine Einstellung
Mitgliedergewinnung ist harte Arbeit. Wer denkt, mit einem coolen Projekt oder einer kleinen Werbekampagne sei dieses Thema zumindest für die nächste Zeit mal abgehakt, der irrt. Mitgliederwerbung ist kein Sprint, sondern ein Dauerlauf, bei dem die Erfolge nur langsam und oft mit zeitlicher Verzögerung zu sehen sind. Mitgliedergewinnung ist kein Projekt, sondern muss sich als Thema durch alle Bereiche der Vereinsarbeit ziehen, überall seinen Einsatz finden und vor allem ganzheitlich mitgedacht werden. Warum? Was bringt es einem Verein, wenn er kurzfristig neue Mitglieder akquiriert, diese aber nicht halten kann, weil es zum Beispiel keine Willkommenskultur gibt und sich die Neumitglieder nicht wohl fühlen, oder das Projekt zwar genial, aber die restliche Chorarbeit wenig ansprechend ist oder die neuen Kandidaten einfach nicht in den bestehenden Chor passen? Auf die Frage: „Wen wollt ihr in eurem Chor?“ gibt es oft die Antwort „Jeden“, dicht gefolgt von „Männer“. Doch wer ist dieser „Jeder“ und passt der eigentlich zu uns? Am Anfang steht die Analyse: Wer sind wir und wer passt zu uns. Auf die Antworten auf diese Fragen kann der Verein aufbauen, gezielte Aktionen starten, an sich arbeiten und langfristige Erfolge einfahren. Dieser Weg ist lang, aber wenn alle im Verein es zu ihrem Projekt machen, ist die Frustration niedrig und der Spaß groß. Denn der wichtigste Werbefaktor in jedem Verein ist das eigene, gut gelaunte und zufriedene Mitglied, das genau das jedem, erzählt.
Der Konzertchor Aalen setzt sich mit diesem Thema seit diesem Jahr intensiv auseinander. Ich wollte wissen, warum, und habe nachgefragt:
Warum ist das Thema Mitgliedergewinnung wichtig?
„Ein möglichst stetiger Zustrom neuer Mitsängerinnen und Mitsänger kann nicht nur zu einer stabilen bzw. verbesserten musikalischen Qualität im Chor beitragen, sondern ist auch für ein gutes Vereinsleben wichtig. Denn neue Mitglieder bringen nicht nur neue Perspektiven und Impulse ein, sondern auch das Potential, die ehrenamtliche Vereinsarbeit zu unterstützen. Und gerade in Zeiten, in denen die Folgen der Pandemie den vielerorts sowieso schon altersbedingten Mitgliederschwund noch massiv verstärken, ist die Gewinnung neuer Mitglieder für viele Chöre (über-)lebenswichtig.“ Sophie Buchberger engagiert sich in ihrem Verein. Das Thema Mitgliedergewinnung steht hier nicht nur auf der Agenda, sondern wird aktuell aktiv bearbeitet. Der Verein investiert Zeit und Ressourcen, um die Zukunft langfristig zu sichern. Mitgliedergewinnung ist ein Invest in die Zukunft des Vereins, der mehr Rendite erwirtschaftet als bloße Mitgliedsbeiträge.
Mitgliederentwicklung war schon vor Corona ein herausforderndes Thema. Jetzt muss es in den meisten Vereinen angepackt werden, um nicht nur sing- und handlungsfähig, sondern auch zukunftsfähig zu werden. Die Krise als Chance zu begreifen und gestärkt hervorzugehen muss jetzt das Ziel der Vereine sein.
Warum verfolgt man dieses Thema weiter?
„Weil das ‚Projekt Mitgliedergewinnung‘ nur nachhaltig gelingen kann, wenn es nicht als spontaner Kurzstreckenlauf, sondern als gut vorbereiteter Marathon angelegt ist. D. h. statt kurzfristig das Gießkannenprinzip anzuwenden, ist es essentiell, ein Konzept zu entwickeln, das auf einem gut geschärften Chorprofil, einer konkreten Vorstellung über die Zielgruppe(n) und passgenau darauf zugeschnittenen Maßnahmen fußt.“
Hier liegt das Geheimnis einer effektiven Arbeit im Bereich der Mitgliederwerbung: Wissen, wen ich mit welchen Maßnahmen erreiche. Wo treffe ich meine „Zielpersonen“? Wie spreche ich sie sinnvoll an, ohne sie zu verschrecken? Welche Argumente muss ich liefern? Und ganz wichtig: Wer spricht an. Je gezielter ich agieren kann, desto weniger Ressource muss ich als Verein in die Mitgliederwerbung an sich geben. Die intensive Vorarbeit zahlt sich also am Ende durch effektive Maßnahmen und Projekte aus.
„Weil das kulturelle Angebot der Kommunen heute häufig so vielfältig ist, dass sich die Menschen ganz bewusst aussuchen können, in welchem Verein bzw. Bereich sie aktiv sein wollen — also muss ich aktiv und kreativ auf sie zugehen und sie vom Singen im Chor, insbesondere in meinem Chor zu überzeugen.“
Und das kann ich nur, wenn ich weiß, wer ich bin und mir bewusst gemacht habe, wo die Stärken und vor allem Alleinstellungsmerkmale des Vereins liegen. Besonderes Repertoire? Sehr gut. Eine phantastische Gemeinschaft unter den Sänger:innen mit gesellschaftlichen Spieleabenden und ausgefallenen Vereinsausflügen? – damit kann man werben und neue Sänger:innen finden, die genau das suchen. Jeder Verein ist einzigartig. Man muss sich nur bewusst machen, warum und vor allem die Geschichten erzählen, die den Verein und seine Mitglieder so interessant machen. Was erhofft man sich als Verein von diesem Invest?
„Gezielt statt nur diffus auf genau solche potentiellen neuen Mitsänger:innen zugehen zu können, die gut zum Chorprofil passen — und dabei insbesondere auch die im Vorstand/Verein oft knappen zeitlichen und finanziellen Ressourcen möglichst zielgerichtet und effizient einsetzen zu können.“
Ja, sich mit dem Thema Mitgliedergewinnung methodisch auseinanderzusetzen ist anstrengend, setzt Engagement voraus und kostet Zeit und Geld. Aber langfristig zahlt es sich aus, genau hier in ein Konzept zu investieren, um mit gut inszenierten und auf die Zielgruppe abgestimmten Maßnahmen den höchstmöglichen Erfolg einzufahren. Und sich gemeinsam im Verein mit diesem Thema auseinander zu setzen und zusammen zu brainstormen, Ideen zu entwickeln und tätig zu werden, hilft auch dem Gemeinschaftssinn.
Mitglieder halten und wertschätzen
Bei allem Enthusiasmus über neue Mitglieder: bitte nicht die vergessen, die die Mitgliederneugewinnung überhaupt erst möglich machen, nämlich die aktuellen Sänger:innen. Es ist ein bisschen wie bei einem Mobilfunkvertrag: Als Neukunde wird man umgarnt, als Bestandskunde im besten Fall wahrgenommen. Ärgerlich, denn man trägt das System seit einer langen Zeit. Zeigen Sie also auch den Menschen, die den Verein durch ihre Mitgliedschaft unterstützen ihre Anerkennung, ihre Wertschätzung. Dafür gibt es viele Wege, doch das wäre das Thema einer weiteren Ausgabe der Zeitschrift SINGEN.
Mitglieder wiedergewinnen
Gerade jetzt tritt das Thema Wiedergewinnung von Mitgliedern schärfer in den Fokus. Durch die Pandemie haben sich oft Prioritäten verschoben. Wer jetzt aber Kontakt zu seinen vielleicht verloren geglaubten Mitgliedern aufnimmt, kann hier auf ein gutes Fundament bauen: Der Verein ist bekannt, die Sänger:innen hoffentlich auch mehr als Stimmkolleg:innen. Es rentiert sich hier tätig zu werden und nachzufragen, warum es denn zum Vereinsaustritt kam. Und wenn man das Mitglied nicht zurückgewinnen kann, dann kann man wenigstens Erkenntnisse darüber erhalten, warum es nicht das passende Angebot war, und seine Schlüsse daraus ziehen.