Wer bin ich und wer passt zu mir?
Dass neue (oder die Wiedergewinnung früherer) Mitglieder einen Verein zukunftssicherer machen, ist klar. Das gilt jedoch nicht nur im Hinblick auf die Personenzahl und die Mitgliedsbeiträge, sondern hat diverse weitere Vorteile im Hinblick auf die Weiterentwicklung: Vielleicht wird durch die Verstärkung der einzelnen Stimmgruppen das Singen anderer Literatur möglich, oder unter den neuen Sänger:innen findet sich die ein oder andere Solostimme. Auch im Hinblick auf Veranstaltungen und sonstige Vorhaben des Vereins bringen neue Mitglieder Vorteile: durch helfende Hände, die Einbeziehung des Freundeskreises oder möglicherweise auch die Herstellung von Kontakten zu neuen Kooperationspartner:innen oder Sponsor:innen.
Wer offen für neue Mitglieder ist und dies auch kommuniziert, beeinflusst außerdem die Wahrnehmung des Vereins von außen: Eine einladende Haltung und angenehm-offene Grundstimmung wird meist positiv aufgefasst und spricht sich herum.
Um neue Mitglieder zu gewinnen, sollte im Optimalfall bewusst eine Strategie zur Neu-
und Rückgewinnung sowie dem Binden von Sänger:innen entwickelt werden. Unerlässlich ist dabei Schritt Nummer eins: Finden Sie heraus, wer Ihre Zielgruppe ist.
Wer passt zu uns?
So wie sich nicht jeder mit jederm anfreundet, passt auch nicht jedes Mitglied zum Verein und umgekehrt. Bevor Sie sich also auf die Mitgliedersuche machen, ist es empfehlenswert, sich – sowohl im Interesse des Vereins als auch der Sänger:innen – bewusst zu machen: Wer passt zu uns? Häufig wird an dieser Stelle direkt der Blick nach außen gelenkt und es besteht die Gefahr, sich in Vermutungen, oft ge-
paart mit Betriebsblindheit, zu verlieren. Sinnvoller und einfacher ist es deshalb, sich zunächst den bestehenden Verein anzusehen. Die aktuellen Mitglieder sind nicht ohne Grund dabei – warum also nicht dort mit den Nachforschungen anfangen?
Wer singt in meinem Chor?
Eine solche „Analyse“ kann erstmal ganz simpel mit dem Betrachten folgender Fakten begonnen werden: der Anzahl der Chormitglieder, dem Durchschnittsalter bzw. den am häufigsten vertretenen Altersgruppen, der Geschlechterverteilung und der Ortsansässigkeit. Relevant sind außerdem die Fragen nach der musikalischen Vorbildung und nach dem Engagement der Chorsänger:innen: Wie wichtig ist ihnen die Chorgemeinschaft und wie viel Freizeit widmen sie dem Verein neben der Probe? Oder möchten sie einfach einmal pro Woche zur Probe gehen und mehr nicht? Alle Haltungen haben ihre Berechtigung – wichtig ist es nur, sie zu kennen.
Wer sind wir und was macht unseren Chor(verein) aus?
Auch hier gibt es zunächst ein paar „Hard Facts“: Was ist der musikalische Schwerpunkt bzw. in welchem Genre ist der Chor zu Hause? Wie definiert sich das musikalische Niveau? Gibt es Stimmbildung oder Stimmgruppenproben und was gibt es neben der Musik an Aktionen, Veranstaltungen etc.? Wie ist der Chor organisiert und wer ist hier beteiligt? Und im Hinblick auf neue Mitglieder: wie werden diese empfangen, gibt es eine Art Willkommenskultur im Chor?
Eine unerlässliche „Maßnahme“ bei der Definition der eigenen Zielgruppen: sprechen Sie mit Ihren Mitgliedern! Finden Sie gemeinsam mit Ihnen heraus, was Ihren Chor ausmacht und was die Sänger:innen im Verein hält.
Wo wollen wir hin und wer will zu uns? – Die Persona-Methode
In der nächsten Phase der Zielgruppendefinition geht es darum, alle bisher gewonnenen (und im Optimalfall schriftlich festgehaltenen) Erkenntnisse über den Chor und seine Mitglieder zusammenzufassen und daraus eine Art „Zielgruppenprofil“ zu erstellen. Hierfür gibt es zahlreiche Möglichkeiten, zwei davon werden im Folgenden vorgestellt.
Eine sehr beliebte und bewährte Methode ist das Arbeiten mit sogenannten „Personas“. Dabei entwickelt man auf Basis aller Erkenntnisse kurze Steckbriefe zu fiktiven, typischen Zielgruppenpersonen. Wie alt ist Ihre Persona (also das für Ihren Chor typische Mitglied) und welches Geschlecht hat sie? Wo wohnt sie, wie ist ihr Bildungsstand? Welchen Beruf übt sie aus und was sind ihre Interessen/Hobbys? Relevant sind hierbei außerdem die Werte und Ideale der Persona, die typischerweise in Ihrem Chor singt.
Durch das Erstellen eines oder mehreren Persona-Profilen wird die gesuchte Zielgruppe greifbarer sowie realer und unterstützt einen Perspektivwechsel in die Denkweise der Zielgruppe. Hilfreich ist es häufig auch, die Persona mit einem Bild zu illustrieren.
Wo wollen wir hin und wer will zu uns? – Die Sinus-Milieu-Studie
Ihr Persona-Profil erleichtert es Ihnen, im nächsten Schritt herauszufinden, wo in der Gesellschaft Ihre Zielgruppe zu finden ist. Hierzu wird häufig die Sinus-Milieu-Studie des Sinus-Instituts in Heidelberg genutzt.
Ein Sinus-Milieu ist eine Gesellschafts- und Zielgruppentypologie, die in den 1980er Jahren durch qualitative sowie quantitative Forschung entwickelt und seitdem fortlaufend aktualisiert wurde. Die Sinus-Milieu-Studie arbeitet in ihrer grafischen Darstellung mit zwei Achsen: die Horizontale beschreibt die „Grundorientierung“ der gesellschaftlichen Milieus und bewegt sich von „Tradition“ (links) über „Modernisierung“ (Mitte) hin zu „Neuorientierung“ (rechts). Die Vertikale definiert die „Soziale Lage“ der Milieus und bewegt sich von der „unteren Mittelschicht“ über die mittlere bis hin zur „Oberschicht / Oberen Mittelschicht“ (siehe Abbildung).
Für Sie stellt sich nun also die Frage: Wie „traditionell“ oder „modern“ denkt meine Persona und wo ist sie hinsichtlich ihrer „Sozialen Lage“ angesiedelt? Gehört sie entsprechend der Grafik somit z.B. zum „Konservativ-Gehobenen Milieu“ oder eher ins „Postmaterielle Milieu“? Anschließend kann über die Webseite des Sinus-Instituts die Beschreibung des jeweiligen Milieus kostenfrei abgerufen werden. Das „Postmaterielle Milieu“ z.B. wird dort als „Engagiert-souveräne Bildungselite mit postmateriellen Wurzeln“ beschrieben: „Selbstbestimmung und -entfaltung sowie auch Gemeinwohlorientierung; Verfechter von Post-Wachstum, Nachhaltigkeit, diskriminierungsfreien Verhältnissen und Diversität; Selbstbild als gesellschaftliches Kollektiv“. (Quelle: SINUS Markt- und Sozialforschung 2022, https://www.sinus-institut.de/sinus-milieus/sinus-milieus-deutschland (12.05.2022)
Wie geht es weiter?
Haben Sie Ihre Personas in den Sinus-Milieus verortet, dürfte sich ein ausführliches Bild von Ihrer Zielgruppe ergeben haben. Dem Beginn der tatsächlichen Mitgliedersuche steht somit nichts mehr im Wege: Mithilfe Ihrer Erkenntnisse haben Sie nun die Möglichkeit, sich zu überlegen, über welche Medien, Kontakte und sonstigen Kanäle Sie Ihrer Zielgruppe erreichen können und ggf. auch welche grafischen Layouts zu Ihrer Zielgruppe passen. Klären Sie unbedingt mit Ihren Mitgliedern ab, wer Lust und Zeit hat, sich bei der Mitgliedersuche einzubringen – sie sind Ihre besten und wichtigsten Multiplikator:innen! Vielleicht gibt es unter den Sängerinnen und Sängern ja sogar eine:n Grafiker:in oder eine besonders kommunikative und gut vernetzte Person, die ihre Fähigkeiten für den Verein nutzen möchte? Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen und viel Erfolg!