Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen
Der Anspruch auf Ganztagsbetreuung an den Grundschulen wird kommen. Ab 2026 tritt das Gesetz zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter (kurz GaFöG) in Kraft. Das bedeutet, dass Kinder ihre Freizeit hauptsächlich in und an der Schule verbringen werden. Viele Chöre haben die berechtigte Sorge, dass die Kinder dann nicht mehr in ihre Chöre kommen werden. Werfen wir also einen Blick auf die aktuelle Situation der Chöre und darauf, wie wir uns als Chorvereine und -verbände in Position bringen müssen.
Die Gewinnung neuer Mitglieder:innen in Kinderchören stagniert, die Zahlen der Singenden in allen Chören gehen zurück – in den letzten beiden Jahren um beinahe zehn Prozent. Singen hat als „gefährlichstes Hobby der Welt“ ein negatives Image bekommen. Dabei ist es alles andere als das: Singen hat so viele positive Effekte auf Entwicklung und Selbstentfaltung sowie die mentale Gesundheit mehr, als dass es gefährlich sein könnte. Singen tut jeder und jedem gut. Zudem entwickeln Kinder in ihrer Grundschulzeit Präferenzen, die sie ihr Leben lang beibehalten werden. Deshalb ist es besonders wichtig, dass alle Kinder die Chance bekommen, dieses Superfood für die Seele für sich zu entdecken. Auch wenn die Vereine besser abschneiden, wenn es darum geht, neue Sänger:innen zu erreichen, als beispielweise Musikschulen, kommen auch in die Kinderchöre der Vereine zumeist Kinder mit „musikalischer Vorbelastung“ durch die Eltern. Möchte man also alle Kinder vor Ort erreichen, gebe es für den Erstkontakt zum Gesang keinen besseren Ort als die Grundschule, findet Maximilian Stössel von der Deutschen Chorjugend: „Der einzige Ort, an dem alle Menschen aller sozialen Backgrounds zusammen sind, abgesehen vom Friedhof, ist die Grundschule.“ Vorher und nachher sind finanzielle Aspekte und familiärer bzw. sozialer Background Selektionskriterien. Auch aus diesem Grund ist der Ort, wo Chor und gemeinsames Singen stattfinden muss, die Grundschule. Singen kostet nichts, kann jede:r und ist gesund!
SCV-Geschäftsführer: Handeln dringend notwendig
Das nahende GaFöG zwingt die Chöre und Vereine dazu, nun Initiative zu ergreifen, denn die Schulen sind dazu zumeist nicht in der Lage. Bei den Schulleitungen fielen so viele Verwaltungsaufgaben an, dass ein Blick nach außen kaum möglich sei, weiß Katharina Burger. Sie ist Vorsitzende der Chorjugend im Schwäbischen Chorverband und Lehrerin an einer beruflichen Schule. Dort sieht sie, wie viel beim Verwaltungsapparat aufläuft. Gar nicht auszumalen, unter welchen Druck die Grundschulen nun geraten, wenn eine solche Umwälzung bevorsteht. Es mangelt an allen Ecken: Räumlichkeiten und Fachpersonal fehlen überall. Und genau deshalb brauchen die Schulen jetzt Partner. Menschen, die bereit sind sich einzubringen und die Freizeitangebote für die Schüler:innen mitzugestalten. Der beste Zeitpunkt, um sich bei den Schulen mit an den Tisch zu setzten, ist also JETZT! Die Tür dafür steht so weit offen wie nie zuvor, doch fehlt es an Kapazitäten seitens der Schulleitungen, auf die Chöre zuzugehen. Johannes Pfeffer, Geschäftsführer des SCV, zeigt die Dringlichkeit des Handelns auf: „Irgendwann wird dieser Tag sein, an dem die Schulleitungen ihre Stundenpläne und Betreuungsangebote
fertig machen. Wer dann nicht mit am Tisch sitzt, der ist dann
halt nicht dabei.“
Kein „Weiter-so“
Es ist eindeutig, wie wichtig Kooperationen für Chöre und Schulen sind und dass diese jetzt gestartet werden müssen. Gerade deshalb darf man die Sorgen der Chöre und Verbände nicht unterschätzen. Eine der größten Sorgen stellt die Finanzierung des Personals dar. Die Politik hat noch keine Lösung gefunden, doch sind sowohl die Deutsche Chorjugend auf Bundes-, als auch die Chorjugend im SCV auf Landesebene mit den Verantwortlichen in Kontakt und setzen sich für die Chöre aktiv ein. Damit die Interessensvertretung hierbei gelingt, appellieren alle Vertreter:innen daran, bei Fragen und Anmerkungen diesbezüglich das Gespräch zu suchen.
Kooperationen kosten Kraft und mitunter Nerven. Das ist nichts Neues. Trotzdem müssen wir jetzt aus dem „Weiter-so“ aufwachen, denn in drei Jahren wird es nicht mehr so weiter gehen, wie wir es gewohnt sind. Da hilft kein Klagen, Abwarten oder Weglaufen, sondern nur, der Zukunft ins Auge zu blicken und mutig voranzugehen. Nun haben sowohl die Politik als auch wir engagierte Menschen in Vereinen und Verbänden die Chance, Vorreiter zu sein und uns für ein Gelingen der Zukunft einzusetzen. Auch wenn man Kooperationen nicht geschenkt bekommt, muss es in aller Interesse sein, sie nun zu begründen und Zeit und Geld zu investieren. Nichts tun ist die schlechteste Entscheidung.
Potenzielle Kooperationspartner
Die erste Frage für eine Kooperation kann sein: Wer geht für uns in die Schule? Wen haben wir und wen können wir finden? Das können Profimusiker:innen sein – immerhin leben viele Künstler:innen laut Künstlersozialkasse an der Armutsgrenze und würden sich bestimmt über Jobangebote freuen, bei denen sie in Schulen kreativ mit Kindern arbeiten dürfen. Doch ist das nur eine von vielen Optionen. Wir Menschen haben von Geburt an ein Bedürfnis nach Musik, wir hören sie ständig und lieben es, unter der Dusche oder im Stadion zu singen. Auch Kinder wollen singen! Sie freuen sich auch, wenn Sing-Omas und -Opas aus Ihrem Seniorenchor zu ihnen kommen und mit ihnen singen. Auch junge Menschen, die zum Beispiel eine Ausbildung zur Chormentor:in absolviert haben, können sich an den Grundschulen einbringen – ehrenamtlich oder als Minijob.
Der Anspruch muss nicht sein, sofort einen Chor zu gründen. Viel schöner wäre es doch, die Lust und Neugier am Singen zu wecken und ihren Alltag zu bereichern – umso besser stehen die Chancen, dass sie später in Ihrem Jugend- oder Erwachsenenchor mitsingen. Die Zeit, Personal zu suchen, zu finden oder auszubilden, ist jetzt! Die (Fort-)Bildungsangebote dafür gibt es zum Beispiel beim SCV.
Wie die Kooperationen aussehen können
Mit der Frage nach dem „Wer“ geht auch einher, wie eine Kooperation aussehen kann. In Baden-Württemberg ist die Betreuungsquote zwar unterdurchschnittlich, doch gibt es eine überdurchschnittliche Varianz an Möglichkeiten. Diese birgt das große Potenzial, eine Kooperationsform zu finden, die sich an den Bedarf und die Gegebenheiten vor Ort anpasst. Es kann ein wöchentliches oder gar tägliches Angebot geben, das mit oder ohne direkten Bildungsanspruch einhergeht. Oder man nutzt die Zeit in den Ferien, denn den Schulen stehen nur vier Wochen Schließung zu. Das bedeutet, dass unbedingt Ferienangebote gemacht werden müssen. Wie wäre es mit einer Chorwoche? Wenn dafür die Kapazitäten fehlen, gibt es häufig die Option, sich mit anderen Vereinen zusammenzutun. Eine Alternative kann eine Musikwoche sein, die gemeinsam mit dem Blasmusikorchester oder der städtischen Musikschule gelingt. Will sagen: Suchen Sie jetzt Verbündete und Partner, mit denen Sie ein Angebot machen und eine nachhaltige Kooperation starten können! „Zusammen singen wir stärker“ lautet nach wie vor die Devise.
Resümee: Ja, es ist vermutlich so, dass weniger Kinder in die Vereinschöre kommen werden. Nein, das bedeutet nicht, dass man nicht länger an den Nachwuchs herankommt, ganz im Gegenteil! Schulen und Kinder sind mehr denn je darauf angewiesen, dass ein Singangebot zu ihnen kommt. Bringen wir uns jetzt gemeinsam dafür ein, dass alle Grundschulkinder die Chance erhalten, das Singen für sich zu entdecken und einen sicheren Ort, ohne Leistungsdruck, im Alltag erleben dürfen.
Was, wenn nicht?
Lieber erstmal abwarten, wie es sich entwickelt. |
Was wenn doch?
Nur jetzt können Strukturen mitentwickelt und auf unsere Gegebenheiten angepasst werden. |
Kinder werden wegbleiben. | Viel mehr Kinder können erreicht werden. |
Fachkräfte fehlen. | Noch ist Zeit für Suche und Ausbildung. |
Kooperation mit Schulen immer schwierig. | Die Schulen sind mehr denn je auf uns und unsere Angebote angewiesen. |
Finanzierung unklar. | SCJ und DCJ sind dran und setzen sich für euch ein. |