Wie das „Sich-miteinander-Messen“ die eigene Chor-Qualität heben kann
Im Oktober 2023 veranstaltet der Schwäbische Chorverband einen Chorwettbewerb. Im Zuge dessen habe ich mit SCV-Musikdirektor Nikolai Ott über Chorwettbewerbe und Verbände gesprochen.
Was ist ein Chorwettbewerb?
Ein Chorwettbewerb ist eine Veranstaltung, bei denen eine meist hochkarätige Jury verschiedene Chöre nach musikalischen Kriterien bewertet und jedem Chor ein konstruktives Feedback gibt. Es gibt unterschiedliche Kategorien für unterschiedlich besetzten Chören und für unterschiedliche Chormusikgenres. Es gibt regionale, bundesweite und internationale Chorwettbewerbe.
Sind Sie Fußballfan? Wenn ja, wissen Sie sicherlich, wie die Bundesliga gerade aufgestellt ist. Und wenn nicht, dann wissen Sie zumindest, wer die deutsche Mannschaft gerade trainiert, wie einige der Top 10 Fußballspieler heißen und wer die letzte Weltmeisterschaft gewonnen hat. Nun singen Sie vielleicht in einem Männerchor. Wissen Sie, welche Männerchöre gerade zu den Top 10 in Deutschland gehören?
Kennen Sie die Namen ihrer Chorleiter:innen? Wissen Sie, wo der letzte Deutsche Chorwettbewerb stattfand? Hier werden die Fragen auf einmal schwieriger. Aber warum eigentlich? Weil das, was im Sport selbstverständlich ist – Meisterschaften, regelmäßige Wettspiele mit viel Öffentlichkeit – im Chorbereich deutlich weniger üblich ist. Dennoch finden Wettbewerbe statt – regional, bundesweit
und international.
Ein Chorwettbewerb kann verschiedene Ziele haben: die beste Aufführung eines bestimmten Repertoires (viele Wettbewerbe haben sogenannte „Pfilchtstücke“), die höchste Qualität einer bestimmten Besetzung (Der Internationale A-cappella-Wettbewerb Leipzig), etc. Auch das beste Dirigat wird bei manchem Chorwettbewerb gekrönt (beispielsweise beim International Polyphonic Competition „Guido d‘Arezzo“). Ein Chorwettbewerb gibt aber auch die Möglichkeit, die Darstellung der anderen Chöre anzuhören. Viele gut vorbereitete Chöre, alle an einem Ort!
Warum sollte ein Chor teilnehmen?
Konzerte geben ist doch schön – warum sollte ein Chor zu einem Wettbewerb fahren? Nun: ein Wettbewerb bietet die Möglichkeit eines externen Feedbacks und somit die Möglichkeit, in der Entwicklung einen großen Schritt zu gehen. Im Gegenteil zu einem Konzert sitzt dort eine Jury, die ausdrücklich dafür da ist, verschiedene Parameter zu beurteilen. Diese Jury besteht aus erfahrenen Chorleiter:innen und wird eine ehrliche und vor allem konstruktive Rückmeldung geben.
Im Choralltag ist diese Möglichkeit selten gegeben. Mit der Zeit gewöhnt sich die Chorleitung an den Klang des Chores, an seine Stärken und an seine Schwächen. Man wird „betriebsblind“ und kann Gelegenheiten verpassen, den Chor bezüglich des einen oder des anderen Punktes zu verbessern oder auch… zu loben. Die Jury hört den Chor mit „frischen Ohren“ an. Eine echte Chance, alte Muster zu durchbrechen und neue Ziele zu erschließen – für eine frische und bessere Chorarbeit.
Wenn die Sänger:innen nicht mögen …
Vor der ersten Teilnahme an einem Wettbewerb, kann es unter den Chorsänger:innen zu ablehnenden Verhalten kommen. Ein Hobby soll nun gemessen und bewertet werden? Hier ist Aufgabe der Chorleitung, das Image und das Ziel eines Wettbewerbs zu erläutern. Auch wenn singen ein Hobby ist, sollte jeder Chor den Ansporn haben, besser zu werden, seine Sache gut zu machen und sich anzustrengen.
Die Mitglieder möchten doch, dass das Publikum dem Chor gerne zuhört, nicht wahr? Den Chor zu einer besseren Leistung zu bringen ist im Alltag zwar Aufgabe der Chorleitung, aber eine externe Wertung bringt viel frischen Wind hinein. Außerdem ist der Wettbewerb nicht nur aufgrund der Wertung ein Ziel, sondern auch für den Chor die Gelegenheit, drei oder vier Stücke extrem gut vorzubereiten und das eigene beste Niveau zu erreichen. Eine lange Vorbereitungszeit für 15 Minuten Programm – aber dafür werden es unglaublich gute 15 Minuten!! Und ja, um besser zu werden, muss man sich verletzlich machen und einen Leistungsstand der Öffentlichkeit präsentieren und zur Wertung anbieten. Im Sport ist es automatisch ein Ergebnis „mit Zahlen“. Man misst Tore, Zeit, Höhe… in der Musik kann man die Qualität an keine mathematische Messung koppeln, dennoch kann eine Jury einige Parameter evaluieren, die zu neuen Arbeitszielen des Chores werden können. Und last but not least:
Die Szene!
Ein Wettbewerb ist nicht nur für die Ohren und Augen der Jury eine Bühne: die verschiedenen Runden sind öffentlich. Somit können sich die Teilnehmer:innen die Auftritte der anderen Chöre anhören, was sowohl spannend ist, als auch großen Spaß macht! Wählen sie Chöre derselben Gattung (gemischter Chor, Männerchor, Vokalensemble…), so lernen sie neues Repertoire kennen, das sie vielleicht zukünftig auch singen möchten – oder Stücke, die sie bereits kennen, und die sie in einem anderen Licht neu entdecken können. Interessant ist aber auch, andere Besetzungen zu entdecken: wann kann man schon an einem einzigen Ort an einem einzigen Tag Pop-Vokalensembles, Männerchöre, Kinderchöre, Jazzchöre, Kirchenchöre, Gospelchöre anhören?! Klar, auf Chorfestivals, oder eben bei Chorwettbewerben. Das gegenseitige Wahrnehmen der Chöre, der Austausch mit anderen Chorsänger:innen und natürlich auch unter Chorleiter:innen belebt die Szene und fördert ihre gute Entwicklung.
Warum organisieren Verbände Chorwettbewerbe?
Das Leben eines Verbandes ist auch das Leben seiner Mitgliedschöre. Der Schwäbische Chorverband möchte die Kommunikation und den Austausch zwischen den Chören und den Chorleiter:innen fördern und ihnen helfen, sich stetig weiterzuentwickeln. Ziele, seien sie eine Konzertreise oder ein Wettbewerb, fördern eine kontinuierliche und konzentrierte Arbeit, während die Offenheit gegenüber anderen Chorprofilen und anderen Chormusikrichtungen dafür sorgt, dass die Mitglieder innerhalb eines Verbands nicht aneinander vorbeiarbeiten, sondern voneinander lernen und miteinander wachsen.