Gute Ausbildung: Wind in den Segeln der Chorszene
„Wenn man in Südafrika auf der Straße singt, dann schaut niemand komisch – eher kommt jemand dazu und singt eine zweite Stimme“, so ein Chorleitungskollege zu mir vor einigen Jahren. Bei uns nur schwer vorstellbar! Die Qualität und Quantität von Kinderchören in Südafrika (und vielen anderen Ländern) ist immens. Es gibt große Treffen, in denen sich die Schulchöre mit Begeisterung den differenzierten Ohren einer Jury stellen, um noch besser zu werden. Oftmals nicht nur singend, sondern tanzend und voller Lebenslust.
Die historischen Hintergründe für das Verschwinden von gemeinsamem Singen aus dem Alltag sind komplex. Meine eigenen Erfahrungen in der Lehrerausbildung zeigen noch viel zu oft biographische Beschämungen beim Singen, die zu nachhaltigen Blockaden führen. Ein „Du kannst das nicht, sing lieber leise oder gar nicht!“ sitzt einfach – und hemmt. Traurig zu erfahren, dass leider immer noch solche Glaubenssätze in der Pädagogik vermittelt werden. Summasummarum: Unser alltäglicher Umgang mit dem Singen könnte, sollte – nein – müsste selbstverständlicher, natürlicher, freier sein. Wo anfangen? Bildung kann immer nur am Status quo ansetzen.
„Was Hänschen nicht lernt…“ – oder: Was sagt die Wissenschaft?
Studien des Musikpsychologen Edwin Gordon aus den 80ern fanden heraus, dass sich musikalische Begabung im Alter von zehn Jahren stabilisiert. Neurowissenschaftliche Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren liefern noch präzisere Ergebnisse und zeigen, dass bestimmte Bereiche oder Repräsentationsfelder im Gehirn bei Musiker:innen vergrößert sind. Dies geschieht aber nur, wenn diese Personen bereits vor dem siebten Lebensjahr musiziert haben. Auch wenn das Gehirn über das Leben hin formbar bleibt, sind sich viele Forscher einig, dass sich nur die neurologischen Verbindungen dauerhaft etablieren, die bereits vor der Pubertät durch Übung aktiviert wurden. Daher sei das Lernen bestimmter Fähigkeiten in der Kindheit am effektivsten (siehe dazu: Bruhn/Kopiez/Lehmann: Lexikon der Musikpsychologie, Rowohlt 2008, S. 88ff.).
Lust auf Singen machen: Beim Nachwuchs anfangen
Ergo: Gute Chorarbeit beginnt mit der frühen Ausbildung guter Sänger:innen. Besonders das Singen mit den Kleinsten ist grundlegend und wichtig, so dass sie das schönste Hobby der Welt spielerisch und lustvoll für sich entdecken. Nachdem in den Elternhäusern eher weniger gesungen wird – siehe oben – sind das Singen in Kita und Kindergarten sowie musikalische Früherziehung besonders essenziell.
Die Ausbildung von Chorleitungen und Anleiter:innen für das Singen für den Elementar- und Primarbereich ist auch für die Chorverbände – und damit die Chorakademie Baden-Württemberg – eine zentrale Aufgabe. Institutionen, die dies erkannt haben und in Best-Practice-Beispielen erfolgreich umsetzen, gibt es mittlerweile Gott sei Dank viele: Initiativen wie die Carusos, die „Singenden Kindergärten“ oder die Arbeit der Stiftung „Singen mit Kindern“ sind in dem Feld ebenso aktiv wie sehr engagierte Einzelpersonen in den Regionalchorverbänden landesweit. Die Ausbildung „Mentorinnen und Mentoren für das Singen mit Kindern” hat sich etabliert und ist an den Fachschulen für Sozialpädagogik bekannt und wird nachgefragt. In diesen Bereichen kann man nicht genug fördern: Wenn man mit Personen aus dem Umfeld der Erzieher:innenausbildung spricht, zeigt sich schnell der Bedarf nach Fortbildung bei gleichzeitiger Problematik der Arbeitsüberbelastung wegen Personalmangels. Aus-, Fort- und Weiterbildung sind sehr erschwert, da erstmal der normale Berufsalltag bewältigt werden muss. Hier gilt es also, Wege und Angebote zu denken, die dies ermöglichen und niederschwellig zugänglich sind.
Ohne den Nachwuchs von heute keine Chorlandschaft von morgen
Die neuen Kinderchorleitungsausbildungen holen die Kinder ab dem Grundschulalter ab und sind ein großer Gewinn für die landesweite Ausbildung. Sie schließen eine Lücke im so wichtigen Feld der Nachwuchsarbeit. KC2 (entwickelt im BCV) und KC3 (entwickelt im SCV) bereiten mit speziell auf die Tätigkeit im Kinderchorbereich aufbereiteten Inhalten und vor allem durch praxisnahes Lernen darauf vor.
Im Bereich der Jugendchorleitung gäbe es einiges zu tun: Landesweit gibt es zwar sehr gute einzelne Angebote, aber eine Fortbildung im Bereich Jugendchorleitung, die auch den Bereich Popchor-
leitung (u. a. mit Songwriting) abdeckt, fehlt aktuell. Essenziell zu verstehen ist auch, wie Jugendliche nach dem Kinderchor abgeholt und gehalten werden können und dass es z. B. projektorientierte Angebote braucht, um die Chorarbeit möglichst bruchlos fortzuführen.
Ausbildung für Sänger:innen: Die D-Ausbildung
Schaut man auf Social Media, begegnet man überall Vorbildern mit einer Perfektion, die teilweise der Nachbearbeitung zu verdanken ist. Dies führt zu sehr hohen Erwartungen an das eigene Tun. Dies muss man im Hinterkopf haben, wenn man zukunftsorientiert an Chorarbeit in der Breite denkt. Die D-Ausbildung der Deutschen Chorjugend ermöglicht jungen Chorsänger:innen eine intensive Fortbildung in Sachen Singen. Außerdem bietet sie einen großen Mehrwert im Bereich musikalischer Bildung: Nicht nur das Singen wird schöner und leichter, sondern auch das Verständnis für die Musik tiefer und daher befriedigender durch mehr Bildung. Kurz gesagt: Kopf und Herz sind beide dabei.
„Die D-Ausbildung ist der perfekte Einstieg, eine allgemein gebildete musikalische Persönlichkeit zu werden, denn sie umfasst neben der Musikpraxis auch Musiktheorie und Musikgeschichte. Und da sind wir vor auf einem tollen Weg, das gemeinsam zu denken und das digitale Lernen auch in diesen Ausbildungsbereich einfließen zu lassen“, so Heiko Schulze (Direktor für Musik und Bildung, Blasmusikverband Baden-Württemberg e.V.). Die D-Ausbildung ist im Bereich der Blasmusik schon seit längerer Zeit in der Breite – das heißt in den Vereinen vor Ort – etabliert und hat eine Tradition. Seit 2020 ist auch für die Chorlandschaft die „Bundesweite Rahmenrichtlinie und inklusive Umsetzung“ für die D-Ausbildung veröffentlicht, als einheitliche Basis für die Umsetzung vor Ort.
Eintauchen, sich selbst entdecken und das Chorsingen intensivieren: Fortbildungen für Erwachsene
Und natürlich können auch Erwachsene einen Schub für ihr Chorsingen erleben, wenn sie intensiv in Themen abtauchen, die sie interessieren: Wie kann ich den Groove im ganzen Körper erleben? Leichter und schöner singen? Wie kann ich mich Dinge trauen, die ich mich sonst vielleicht nicht traue: solo singen oder mein schauspielerisches Talent entdecken und einbringen? Oder: Wie funktioniert denn überhaupt eine Chorpartitur, ich tue mich mit Rhythmus immer so schwer, wie geht das mit Spaß? Hier bietet die Chorakademie Baden-Württemberg in der „Profilbildung“ laufend Workshops zum Ab- und Eintauchen.
Und die Vorstandsarbeit, das Vereinsmanagement?
Viele Vereine klagen über Nachwuchssorgen in Sachen Vorstandsarbeit und Organisation. Auch dies fängt bei der Nachwuchsarbeit an – und beim Denken neuer Modelle für Vereinsarbeit:
- 1. Ein niederschwelliger Ansatz, der zudem motivierend ist, geht von der Frage aus: Wer aus dem Team kann was am besten und was macht wem Spaß? Hast du zum Beispiel Lust, unser nächstes Konzert mitzuschneiden und dabei etwas über Audiotechnik zu lernen? Oder bist du vielleicht sowieso schon ein Instagrammer? Digitale Werkzeuge können helfen, indem Aufgaben über sogenannte Boards verteilt werden und somit ganz flexibel und agil zugeordnet werden können – ohne (zunächst?) eine lange Verpflichtung zu sein.
- Und dann ein ganz klares Signal geben: Wir helfen dir, dich damit einzubringen, durch Fortbildungen, durch unsere Unterstützungen usw. – also Empowerment für Jugendliche schaffen und sie dafür fit zu machen, Verantwortung zu übernehmen.
Beide Fragen – die nach neuen Modellen für Vorstandsarbeit und auch jene der Qualifizierung für bestimmte Themen – sind zentrale Themen für Aus-, Fort- und Weiterbildung, um die Vereine vor Ort zu unterstützen. Das Beratungsprogramm NeustartCHOR der Chorakademie Baden-Württemberg hat gezeigt, dass hier großer Bedarf von Seiten der Chöre besteht.
Gute Ausbildung macht resilienter in Krisenzeiten und fit für die Zukunft
Gute Ausbildung führt auch zu Flexibilität und damit zu Zukunftsfähigkeit: Mit einem guten Handwerkszeug gewappnet stelle ich mich leichter den Herausforderungen, die Umbrüche und Wandel mit sich bringen. Leider hat die Pandemie zu einer massiven Erosion im Chorwesen geführt und Umbrüche beschleunigt, die sonst in den nächsten fünf bis zehn Jahren gekommen wären. Dem ist nur schwer beizukommen, denn Wandel und Gegensteuern brauchen Zeit. Eine gute Ausbildung hilft, resilienter mit Krisen umzugehen: Fähigkeiten und Fertigkeiten können wie ein Werkzeugkasten sein, um daraus Ideen zu schöpfen – zum kreativen Umgang mit neuen Entwicklungen, mit neuen Bedürfnissen und Wünschen in der Chorszene oder mit aktuellen Herausforderungen.
Fortbildung und Weiterbildung geben Impulse, um sehr konkret zeitnah zu handeln (z. B. eine Zukunftswerkstatt oder Input zum Gewinnen neuer Mitglieder). Und vor allem erfrischen sie die Sicht auf das eigene Tun, bringen neuen Wind in die eigene Arbeit und die eigenen Gedanken.
Mental durchlüften und beflügelt weitermachen!
Künstlerische Leitung Pilot Chorakademie Baden-Württemberg