Drei Szenarien
Karsten Michael Drohsel (von Beruf Stadt- und Regionalplaner, der bereits einiges an Erfahrung im Bereich Dorfentwicklung gemacht hat) wurde vom Schwäbischen Chorverband beauftragt, den Transformationsprozess zu entwickeln und die Projektleitung für das SilcherLAB zu übernehmen. „Durch die großzügige Förderung dieses Projekts hatten wir den Luxus, sehr offen an diese Aufgabe heranzugehen und konnten in den letzten zwei Jahren sehr viel experimentieren“, erläuterte Drohsel nach Abschluss des Projekts im Januar dieses Jahres im Gespräch mit der ehemaligen SINGEN-Redakteurin Isabelle Arnold. Natürlich sei klar gewesen, dass ein neues Konzept sich erstmal bewähren müsse. Drei mögliche Szenarien waren Drohsel zufolge denkbar:
- ein Konzept funktioniert und das Haus kann mit diesem Konzept weiterbetrieben werden
- ein Konzept würde unter gewissen Umständen funktionieren, deshalb wurden beispielsweise verschiedene Betreiberkonzepte durchgespieltes funktioniert leider nicht
Vor diesem Hintergrund war Drohsel häufig in Schnait unterwegs: „Ich hatte verschiedene Gedanken und Ideen im Kopf und im Herzen. Ich habe versucht, die Leute vor Ort in diese Entwicklung – vom Silcher-Museum zum SilcherLAB zum Silcherhaus – miteinzubeziehen.“ So wurden auch einige verschiedene Formate entwickelt.
Braucht Silcher ein Update?
Das Silcher-Museum konzeptionell neu zu denken wurde notwendig aufgrund rückläufiger Besucher:innenzahlen und einer veränderten Museumskultur, basierend auf den Überlegungen: Warum gehen Menschen überhaupt ins Museum und was erhoffen sie sich davon? Im Vorfeld für den geplanten Transformationsprozess wurden über einen langen Zeitraum Gespräche mit SCV-Aktionären, Stakeholdern und Bürger:innen der Stadt geführt. Im Fokus stand dabei die Frage, wie ein Silcher-Museum denn aussehen müsste, damit die Leute das Haus wieder mehr besuchen und sich für die Geschichte Friedrich Silchers und das Haus interessieren. Das Ergebnis: „Wie wir es auch drehen: Ein reines Museumsgebäude kann in Schnait heutzutage nicht mehr funktionieren“, resümierte Drohsel, „das heißt, wir müssen das Museum in einem erweiterten Museumsbegriff denken: Wie können wir das Museums aktualisieren und ein Angebot schaffen, das über den musealen Betrieb hinausgeht und vielleicht sogar noch einen anderen Mehrwert für die Kommune hat?“
Drohsel erklärt: „Vor 25 bis 30 Jahren hat Friedrich Silcher und ein Besuch im Silcher-Museum – zumindest für die Bevölkerung rund um Schnait – zum Kanon gehört. Nahezu jede Schulklasse war einmal dort. Für mich ging es eigentlich nie darum, Friedrich Silcher zu aktualisieren, sondern vielmehr darum zu überlegen: Was kann uns Silcher heute noch sagen – durch sein Werk, durch seine pädagogischen Ideen und seine Art und Weise, wie er unterrichtet hat? Kurz: Was hat Silchers Erbe mit uns heute zu tun?“ Der Schwäbische Chorverband habe dafür ein besonderes Experiment gewagt: seine originäre Aufgabe, nämlich Chorarbeit zu fördern und für Chöre als Wissensressource bzw. Netzwerk zur Verfügung zu stellen, auf die Kommune zu übertragen. Drohsel führt weiter aus: „Aus der eigentlichen Aufgabe heraus, das Werk und Wirken Silchers vor Ort zu zeigen und Leute dazu einzuladen, hat sich der SCV neu positioniert und ist aus dem Museum hinausgegangen, um zu schauen, was da draußen ist und wen man zurück mit ins Museum nehmen kann.“Dies sei vergleichbar mit einem Dorfentwicklungsansatz – mit dem Haus als Ausgangspunkt.
Neue Projekte, Netzwerke und Kooperationen
Mit diesem Bildungsauftrag sei man dann mit verschiedensten Leuten ins Gespräch gekommen und konnte unterschiedlichste Formate umsetzen. Die zentrale Frage dabei war, was die Leute (noch) mit Silcher verbinden und wie man das als Ausgangspunkt für zukünftige Angebote verwenden könnte. Und so entstand ein sehr facettenreiches Angebot: Die Räumlichkeiten wurden für die lokalen Vereine und kreativen Köpfe geöffnet. Beispielsweise wurde ein Kulturraum eingerichtet, in dem auch Yoga-Kurse stattfanden und der als Proberaum für das Bürgertheater diente. Drohsel erläutert: „Nach außen hat das erstmal vielleicht nicht viel mit Silcher zu tun, wenn man aber etwas genauer hinsieht, vielleicht doch.“ Das SilcherLAB entwickelte sich so zu einer Phase, in der sehr, sehr viel Leben ins Haus geholt wurde – aber auch viel Geschichte gegangen ist, indem zum Beispiel Teile der Sammlung an andere Stellen (zurück)gegeben wurden, wo sie vielleicht auch viel besser hingepasst haben. Ein besonderes Augenmerk habe darauf gelegen, nachhaltige Netzwerke zwischen den Akteur:innen zu bilden, führt Drohsel weiter aus. Ein gutes Beispiel hierfür sei das Theater Hebebühne: Im Rahmen des SilcherLAB hat das Theater ein neues Format ausprobiert, „Hebebühne trifft…“. Hierfür wurde an einem Abend jeweils eine Person eingeladen und vorgestellt, ganz wie in der Fernsehsendung „Zimmer frei!“ mit Götz Alsmann. Drohsel erinnert sich: „Das war ein unfassbar schöner und berührender Abend mit der Musikerin Nina H., die gebürtig aus Schnait kommt, zwischenzeitlich aber auf der ganzen Welt unterwegs war und nun eine Meisterin der japanischen Flöte Shakuhachi ist.“ Und durch dieses Konzert habe wiederum eine andere Person aus dem SilcherLAB-Programm Kontakt mit Nina H. aufgenommen, wodurch eine weitere Zusammenarbeit entstanden sei „und so haben sich eben Stück für Stück kleine Netzwerke gebildet“.
Das größte Kooperationsprojekt bezieht sich allerdings auf die Auflösung von Sammlungen: „Aufgelöst haben wir zum Beispiel die Heimatstube, weil wir der Meinung waren, dass diese in den drei bereits existierenden Heimatstuben in Weinstadt viel, viel besser aufgehoben ist.“ Natürlich sollten die Objekte nicht einfach aus dem Haus gegeben werden und verschwinden – vielmehr habe man sich von Anfang an Gedanken gemacht, wie die Objekte und ihre neue Heimat Brücken bauen könnten. Und so sei es zu einer Kooperation mit drei weiteren Institutionen – der Schwesternschaft in Beutelsbach, dem Heimatmuseum „Pflaster 14“ in Endersbach und dem Württemberghaus in Beutelsbach – mit einer gemeinsamen Ausstellung zum Leben bzw. Alltag der Frauen um 1900 gekommen.
Und was bleibt?
Zurückblickend auf die vergangenen zwei Jahre SilcherLAB sagt Drohsel: „Es macht mich sehr glücklich, dass wir die Zeit und die Möglichkeit hatten, so viele unterschiedliche, schöne Projekte zu machen, um eine Vernetzung in der Region anzustoßen – die ausgehend vom Haus aber auch immer wieder zurückholend funktioniert hat.“ Er betont: „Uns allen war von Anfang an klar, dass selbst wenn das damals noch sehr unwahrscheinliche letzte Szenario, also die Schließung, eintreten sollte – was nun leider tatsächlich der Fall ist – am Ende kein Trümmerhaufen zurückbleibt sondern, dass wir etwas hinterlassen, das an anderen Stellen weitergedeihen kann.“ Und dafür seien die zwei Jahre sehr, sehr wertvoll gewesen.