Frischer Wind in den Vorstand!
Die Überschrift zu meiner heutigen Kolumne mag manchen überraschen und fragen lassen, ob sie nicht aus der Zeit gefallen ist. Es sei doch manches im Argen, vor allem in Sachen Überalterung und Vorstandsnachfolge.
Das Vereinswesen in Deutschland, aber auch im Bereich des Schwäbischen Chorverbandes, hat eine lange Tradition; das Vereinswesen im heute nach wie vor praktizierten Sinne geht auf die liberalen und nationalen Bewegungen rund um die Revolution von 1848 zurück. Damals wehte der Wind der Befreiung von der Obrigkeit frisch, stark und nachhaltig. Dass sie letztlich scheiterte, war das Ergebnis der Uneinigkeit der beteiligten politischen Gruppen und die Restauration der „alten Mächte“, die zur Wiederherstellung der vorherigen Machtverhältnisse führte. Die Revolution verschwand, die Vereine blieben. Der Fortdauer ihrer Existenz war hilfreich, dass sie auch ohne ihren politischen Anspruch – Freiheit und Demokratie – ihren Sinn und ihre Aufgabe behielten (Musik, Sport, Theater etc. als Breitenbewegung); demokratische Regeln konnten sich in den Vereinen halten und weiterentwickeln, auch wenn die „große Politik“ auf sie – noch – verzichten musste.
Von Anfang an war im Wesentlichen das heute noch häufig in unseren Vereinen anzutreffende System entwickelt worden: Mitglieder demokratischer Verfasstheit (Mitgliederversammlung), eigenes „Gesetzeswerk“ (Satzung) und ein demokratisch gewählter Vorstand.
Das war 1848 schon deshalb „revolutionär“, weil es solche Gesellschaftsformen bis dahin – von Ausnahmen abgesehen – nicht gegeben hatte, auch nicht im Bereich des Breiten- und Amateurwesens.
Gesellschaftlicher Wandel vs. statische Vereinsstrukturen
Was seinerzeit jung und dynamisch, fortschrittlich war, ist es heute häufig nicht mehr. Die unglaublichen gesellschaftlichen Entwicklungen haben Land und Gesellschaft tiefgehend verändert. Die Vereine sind demgegenüber im Wesentlichen in ihrer Binnenstruktur gleich geblieben.
Und: Sie sind älter geworden. Das gilt für das durchschnittliche Alter ihrer Mitglieder, aber auch für ihre Vorstände. Hinzukommt, dass – was bei Vereinsberatungen immer wieder festgestellt wird und eine Rolle spielt – viele Vereine keine Jugendarbeit betrieben haben und betreiben und auch die Öffentlichkeitsarbeit sowie die Akquisition neuer, jüngerer Mitglieder oft unterblieben ist. Die Vereine, ihre Mitglieder und Vorstände sind „miteinander alt geworden“.
Zwei Gründe werden regelmäßig genannt, wenn es bei Beratungsanfragen wegen der Auflösung eines Vereins um die Gründe geht: der altersbedingte Wegfall der Singfähigkeit und die Probleme mit der Nachbesetzung von Vorstandsämtern. Der weitere Grund der fehlenden Jugendarbeit wird meist nur vom Berater ins Spiel gebracht.
Strukturprobleme offengelegt
Die Corona-Pandemie hat die Strukturprobleme bei den Vereinen schonungslos offengelegt. Dabei wurde auch deutlich, was für einen großen Stellenwert die wöchentliche Singstunde und überhaupt das Miteinander im Verein haben. Für viele, gerade ältere Mitglieder, sind diese wesentlichen Elemente ihres täglichen Lebens durch die Pandemie über einen längeren Zeitraum weggefallen.
Jetzt, wo die Beschränkungen nicht mehr bestehen, kehren viele, vor allem ältere Mitglieder, nicht mehr in die Vereinsaktivitäten zurück. Daraus resultiert häufig auch, dass Vorstandsmitglieder, vor allem ältere, sich nicht für eine Wiederwahl zur Verfügung stellen. Sie blieben ja während der Pandemie aufgrund gesetzlicher Vorschrift bis zur Wieder- oder Neuwahl im Amt; das verschleierte die Strukturprobleme zusätzlich. Jetzt, wo das Vereinsleben wieder unbeschränkt gelebt werden kann, sind viele Vorstände nicht mehr bereit, ihre langjährige Tätigkeit fortzusetzen.
Bei jüngeren, möglichen Kandidaten herrscht oft große Zurückhaltung, was auch darauf zurückzuführen ist, dass die vielen Hilfestellungen und gesetzlichen Erleichterungen für Vorstände offensichtlich häufig nicht bei denen ankommen, die für ein Vorstandsamt in Betracht kommen und dafür geeignet und auch motiviert sein könnten.
Arbeitskreis Ehrenamt“ sucht nach Lösungen
All dies hat in den vergangenen zwölf Monaten – seit ein normales, uneingeschränktes Vereinsleben wieder möglich ist – zu zahlreichen Austritten und Vereinsauflösungen geführt. Das ist auch seitens des Schwäbischen Chorverbandes sehr zu bedauern und veranlasst diesen, nicht nur nach Ursachen, sondern vor allem nach Lösungen zu suchen. Ein Arbeitskreis „Ehrenamt“ hat sich zu Jahresanfang konstituiert und hat auf verschiedenen Feldern Lösungsansätze und Vorschläge erarbeitet, über die auch beim Chorverbandstag 2023 am15. Oktober 2023 berichtet werden soll. Ein Ansatzpunkt betrifft die Vorstandsarbeit. Die klassische Vorstandsformation (Vorsitzender, Stellvertreter, Schriftführer und Kassier) stößt zunehmend an seine Grenzen, nicht zuletzt in der Akzeptanz im Verein selbst. Das Amt des Vorsitzenden, aber auch des Kassiers, wird allem Anschein nach zunehmend als Belastung empfunden, insbesondere die Exponiertheit innerhalb des Vorstandes und des Vereins und die vermeintlich übermäßige Verantwortung und das damit verbundene Risiko der persönlichen Haftungsinanspruchnahme.
Vorstandsteam als neue Option
Zunehmend wird deshalb bei den Vereinen das sogenannten „Vorstandsteam“ propagiert und praktiziert. Das geschieht teilweise so, dass innerhalb des Vorstandsteams die Funktionen der klassischen Aufgabenteilung erhalten bleiben und lediglich die Verantwortung der Vorstandsmitglieder nach innen und außen als Teamstruktur praktiziert wird. Andere Vereine wählen von vorneherein nur ein Team, welches seine Aufgaben selbst unter den gewählten Vorstandsmitgliedern verteilt. Dabei wird sehr darauf geachtet, dass es keinen „primus inter pares“ gibt, der dann wieder in eine besondere Verantwortungs- und Außenwirkungsposition einrückt, was ja gerade vermieden werden soll.
All dies ist rechtlich möglich und zulässig. § 26 BGB verlangt nur, dass der Verein einen Vorstand hat, der den Verein nach außen vertritt. Eine solche Regelung kommt allerdings in der Praxis kaum vor; sie ist auch angesichts der Notwendigkeit der Aufgabenverteilung und der gegenseitigen Hilfestellung und Kontrolle nicht erstrebenswert.
Klare Regelungen in der Satzung
Wichtig ist aber vor allem zweierlei: Zum einen muss in der Satzung eindeutig und unmissverständlich geregelt sein, wer den Verein nach außen vertritt, gerade bei einem kollektiven Führungsmodell. Im Zweifel und bei fehlen einer Satzunsregelung vertreten die ins Vereinsregister eingetragenen Vorstandsmitglieder den Verein insgesamt und gemeinsam, was natürlich in der täglichen Vorstandsarbeit wenig praktisch ist. Deshalb wird auch häufig in der Satzung geregelt, dass entweder die „Team“-Vorstandsmitglieder den Verein jeweils einzeln vertreten können, oder aber beispielsweise zwei Vorstandsmitglieder gemeinsam (um das Vieraugen-Prinzip zu wahren). Wichtig und entscheidend ist deshalb die Regelung in der Satzung.
Zum Anderen: Wesentlich ist die Aufgabenverteilung, die sich aus der Satzung, einem Vorstandsbeschluss oder einer Geschäftsordnung ergibt, die sich der Vorstand oder die Mitgliederversammlung dem Vorstand geben kann. Im Innenverhältnis der Vorstandsmitglieder zueinander muss klar sein, wer welche Aufgaben übernimmt, weshalb es stets einen aktuellen Geschäftsverteilungsplan geben muss, der bei jeder Änderung der Zusammensetzung des Vorstandes überprüft und ggf. angepasst wird.
Notwendigkeit einer Geschäftsordnung
Daneben ist eine Geschäftsordnung für die Vorstandsarbeit sinnvoll und notwendig (wenngleich nicht vom Gesetz gefordert); sie kann dem Vorstand von der Mitgliederversammlung gegeben werden, oder der Vorstand gibt sie sich selbst. Aus Transparenzgründen ist es selbstverständlich in diesem Falle wünschenswert und notwendig, dass der Vorstand seine Geschäftsordnung (und den Geschäftsverteilungsplan) den Mitgliedern in geeigneter Weise und zum geeigneten Zeitpunkt zur Kenntnis gibt.
Gerade beim „Team“-Vorstand muss klar geregelt sein, wer zur Vorstandsitzung einlädt, wer zur Mitgliederversammlung, wer die Sitzungsleitung inne hat (Beispiel auch: rollierendes System).
Die Zahl der Vorstandsmitglieder kann in der Satzung variabel geregelt werden. Das ist insbesondere deshalb sinnvoll, weil es immer wieder vorkommt, dass nicht alle Vorstandsämter besetzt werden können, weil Kandidaten fehlen. Deshalb kann die Satzung eine zahlenmäßige Obergrenze der Vorstandsmitglieder vorsehen, um sicherzustellen, dass die Vorstandsmitglieder ihre Aufgaben gerecht und gleichmäßig untereinander verteilen können.
Die Regelung einer Untergrenze in der Satzung ist demgegenüber selbstverständlich nicht sinnvoll.
Es empfiehlt sich, den Geschäftsverteilungsplan von der Geschäftsordnung zu trennen. Der Geschäftsverteilungsplan muss nach jeder personellen Änderung im Vorstand überprüft und ggf. ergänzt werden; die Geschäftsordnung regelt die Verfahrensfragen für die Arbeit im Vorstand.
Flache Hierarchien motivieren
Die Registergerichte akzeptieren seit geraumer Zeit die Eintragung von Team-Vorständen, sodass vom Modell des Team-Vorstandes Gebrauch gemacht werden kann. Durch die offene Struktur und die Gestaltungsmöglichkeiten können sicher auch im höheren Maße als bisher (was auch dringend erforderlich ist!) jüngere Vereinsmitglieder für die Vorstandsarbeit gewonnen werden. Flache Hierarchien im Verein sind ohne Zweifel zukunftsweisend und für die handelnden Personen motivierend.
Rechtsanwalt Christian Heieck
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Dieser Beitrag gibt die Auffassung, Kenntnisse und Erfahrungen des Autors aus vielen Jahren Vereinsrechtpraxis wieder. Wir bitten dennoch um Verständnis, wenn im Hinblick auf die Vielfalt der individuellen Fallgestaltungen, die im Vereinsrecht vorkommen, eine Haftung für die gegebenen Auskünfte im Hinblick auf konkrete Einzelfälle nicht übernommen werden kann.