Ein Plädoyer für die Aufgabenverteilung
„Wer kann nächstes Jahr den 1. Vereinsvorsitz übernehmen?“ „Wer kennt sich mit Finanzen aus und kann unserem Chor als Kassenwart behilflich sein?“ „Wir brauchen dringend noch einen Schriftführer!“
Diesen und ähnlichen Fragen und Appellen begegnet man in der Chorwelt immer wieder. Chöre sind meist als ehrenamtlich organisierte Vereine strukturiert – Vorstandsmitglieder und helfende Hände für verschiedene Aufgabengebiete rund um den Choralltag werden also immer gebraucht. Dabei gibt es gute Gründe, sich für ehrenamtliche Tätigkeiten in einem Verein zu entscheiden und freiwillig Zeit und Energie für gemeinnützige Zwecke zu investieren: Neben der Möglichkeit, einen positiven Beitrag zu einer Chorgemeinschaft zu leisten, kann ehrenamtliche Arbeit auch die persönliche Entwicklung fördern, indem sie die Kommunikationsfähigkeiten, Führungskompetenzen und soziale Intelligenz verbessert.
Wie kommt es also, dass die eingangs zitierten Fragen vielen Menschen wohlbekannt sind? Teilweise sind dafür sicher gesamtgesellschaftliche Entwicklungen verantwortlich: Die Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit verwischen oder Familienmitglieder formulieren ihre Bedürfnisse nach gemeinsam verbrachter Zeit. Vereine müssen sich also etwas einfallen lassen, um Menschen ans Ehrenamt heranzuführen.
Entlastung durch Umstrukturierung der Regionalchorverbände
Der Schwäbische Chorverband plant seit einiger Zeit, sein Verbandsgebiet neu zu strukturieren und die Anzahl der Regionalverbände durch geografisch sinnvolle Zusammenschlüsse zu reduzieren. Ein Schritt in die Zukunft – so sieht es das Präsidium des Verbandes-, denn die aktuelle Kleinräumigkeit der insgesamt 23 Regionalchorverbände erzeugt einen durchgängig hohen Personalbedarf im Ehrenamt. Mit der Reform erhofft sich der Schwäbische Chorverband hier eine spürbare Entlastung. Da das Präsidium diese Entscheidung nicht über die Köpfe der Mitgliedsverbände hinweg treffen möchte, werden innerhalb des Verbandes derzeit viele Gespräche geführt. So auch zwischen dem Chorverband Hohenstaufen – dem Regionalverband für 48 Vereine im Landkreis Göppingen – und dem Regionalchorverband Friedrich Silcher mit seinen 91 Mitgliedsvereinen. Die beiden Verbände diskutieren momentan eine Verschmelzung mit einem gemeinsamen fünfköpfigen Vorstand. Doch wie soll dieser strukturiert sein?
Im deutschen Vereinswesen sind hierarchische Vorstandsstrukturen sehr gängig, mit einer/einem einzelnen Präsident:in als Vorsitz. Doch auch flachere Strukturen mit gleichberechtigten Vorständen sind möglich und werden allmählich populärer.
Modell eines gleichberechtigen Vorstandteams
So auch das Modell bei den Überlegungen zur Verschmelzung
der beiden Regionalverbände: Alle Vorstandsmitglieder stehen gleichberechtigt nebeneinander und sind einzelvertretungsberechtigt – und somit auch zu gleichen Teilen in der Verantwortung. „Die Idee ist, dass diese fünf Vorstände turnusmäßig eine:n Sprecher:in aus ihrer Mitte wählen, die/der den Verband nach außen vertritt. Ansonsten ist jede:r für ihren/seinen Bereich zuständig, z. B. Presse, Finanzen, Jugend, Konzerte, Feste“, erläutert Roman Kotschi, stellvertretender Vorsitzender des Chorverbandes Hohenstaufen, „zwei Mitglieder des ersten Vorstands werden für eine nur einjährige Amtsdauer gewählt, alle anderen – auch künftig – für zwei Jahre, sodass immer eine gewisse Kontinuität im Vorstand gesichert wird.“
„Vieles dreht sich tatsächlich um das Problem, Leute zu finden, die bereit sind, im Ehrenamt zu arbeiten. Das ist unbestritten“, sagt der Präsident des Chorverbandes Friedrich Silcher, Hans-Albert Schur, „derzeit hat unser Verband einen Präsidenten, zwei Stellvertreter und einige Beisitzer. Für den Zusammenschluss der beiden Verbände ziehen wir ein Präsidium ohne Beisitzer in Erwägung. Diese Konstruktion kann allerdings auch potenzielle Ehrenamtliche abhalten: Vielleicht könnte man sich vorstellen, als Beisitzer erst mal reinzuschnuppern – aber direkt als Schatzmeister zu starten, möchte man sich vielleicht nicht zumuten.“ Andererseits: „Ein hoher Anteil an Beiräten hat allein aufgrund seiner zahlenmäßigen Übermacht die Möglichkeit, Vorstandspositionen zu kippen“, merkt Kotschi an.
Erfolgreiche Akquise durch persönliche Ansprache
Und wie erleben die beide Verbandsvorstände das Problem, neue Ehrenamtler zu finden? „Wir haben als Regionalverband meist nicht den direkten lokalen Kontakt zu den Menschen, das macht es deutlich schwieriger“, erläutert Schur. Auf Vereinsebene erlebe er häufig, dass Eltern von Verantwortlichen der Kinderchöre angesprochen würden, erzählt er. Vielerorts zögen auch Infostände vor einem Supermarkt oder bei Leistungsschauen als direkte Werbung für den Chor. „Die wirksamste und effizienteste Methode bleibt meiner Meinung nach die persönliche Ansprache oder eine direkte Empfehlung. Wenn ich neue Mitglieder brauche, schreibe ich auch häufig einen persönlichen Brief, da erlebe ich die Antwortrate als sehr hoch“, berichtet Schur.
Und wie führt man neu gefundene Leute dann ans Ehrenamt heran? „Da gibt es kein Patentrezept“, sagt Kotschi,„man trifft immer wieder auf fähige Leute, die ein Händchen dafür haben und intuitiv wissen, wie Aufgaben zu erledigen sind. Ansonsten ist es von Vorteil, einen Mentor im Team zu haben, der neue Vorstände unterstützt. Die Voraussetzungen dafür sind natürlich in einem alternierend angelegten Wahlmodell ideal.“
Vom „kleinen“ zum „großen“ Amt
Viele Chöre praktizieren bereits eine gleichwertige Aufgabenverteilung. Üblicherweise wird dabei jedem Mitglied (mindestens) ein Amt anvertraut, zum Beispiel die Bestuhlung bei einem Konzert, die Beschaffung von Noten oder Geschenken, das Führen der Anwesenheitslisten oder das Pflegen des Fotoarchivs Für sich genommen sind all diese Ämter vielleicht unbedeutend, aber in der Summe entlasten sie den Vorstand, der sich damit auf seine Kernaufgaben konzentrieren kann. Und: Die Hürde vom „kleinen“ zum „großen“ Amt ist nicht mehr so groß. Beides sind notwendige Beiträge zum Gelingen der Gemeinschaft, beide werden wertgeschätzt – und beide bieten die Chance, sich als Teil eines wundervollen Ganzen zu erleben!