Junge Menschen im Ehrenamt: Studien geben Aufschluss über Engagement und Potenziale
Ohne Vorstand kein Verein. Immer wieder sehen Chöre ihr Weiterbestehen gefährdet, wenn es nicht ausreichend Freiwillige für die Vorstandsämter gibt. Dabei engagieren sich – verglichen mit anderen Bereichen wie Sport oder Bildung – in Kunst und Kultur überdurchschnittlich viele Menschen ehrenamtlich. Das belegt der Deutsche Freiwilligensurvey, die umfassendste Erhebung zum bürgerschaftlichen Engagement in Deutschland, seit 1999 alle fünf Jahre durchgeführt, zuletzt 2019.
So hat sich der Anteil der in Kunst und Kultur ehrenamtlich Engagierten seit 1999 mehr als verdoppelt, von vier auf neun Prozent. Ein knappes Drittel dieser Engagierten hat auch eine Vorstandfunktion inne, deutlich mehr als beim Durchschnitt aller Engagierten (26 Prozent). Es bestehe ein hoher Bedarf zur Übernahme solcher Aufgaben, „da die Organisationen sehr zahlreich und oft klein sind“, heißt es in der 2022 vorgelegten Studie „Freiwilliges Engagement in Kultur. Teilhabe, Beteiligung, Potenzial“ der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ). Hierfür ließ die BKJ die Daten des Freiwilligensurveys speziell für den Kulturbereich auswerten. Die anspruchsvollen, zeitintensiven Aufgaben Veranstaltungsorganisation, Öffentlichkeitsarbeit sowie Verwaltung und Mittelbeschaffung fallen im Kulturbereich überdurchschnittlich häufig an. So wenden 45 Prozent der Befragten drei bis fünf Stunden wöchentlich für ihr Engagement auf (beim Durchschnitt tun das nur 23 Prozent), 19 Prozent sogar sechs und mehr Stunden (Durchschnitt: 17 Prozent) sowie 36 Prozent immerhin bis zu zwei Stunden (Durchschnitt: 60 Prozent).
Die Generation Z
Es gibt viel zu tun, aber wie gewinnt man speziell junge Menschen für Ämter und Posten? Die Generation Z, heute 26 Jahre und jünger, ist perspektivisch nicht nur auf dem Arbeitsmarkt heiß begehrt. Doch passt der Istzustand zu einem gelingenden Generationenwechsel in den Vorständen? Eines haben junge Menschen nämlich kaum, was fürs Engagement in Kulturvereinen notwendig ist: Zeit.
So antworteten 80 Prozent der Befragten der Jugendstudie Baden-Württemberg 2022 auf die Frage, was sie daran hindere, sich freiwillig zu engagieren: Schulstress. 35 Prozent gaben Belastungen im Alltag an. „Die gesellschaftlichen Anforderungen an Flexibilität und Mobilität erschweren die Kontinuität im ehrenamtlichen Engagement“, bestätigt Shari Kohlmeyer, Referentin für jugendpolitische Themen und Jugendreisen beim Deutschen Bundesjugendring (DBJR). Die Beschleunigung der formalen Ausbildung – Stichworte G8 und Bologna-Reform – und damit die Verdichtung von Prüfungen habe verengte Zeitfenster zur Folge, die kaum Spielraum für Engagement außerhalb von Schule oder Studium ließen. Ebenso reduziere die Ganztagsschule Freiräume.
Projektförmige Engagement-Angebote
Für nötig hält er DBJR daher einen guten Mix aus kurzfristigen, eher unverbindlichen, projektförmigen Engagement-Angeboten und der Möglichkeit eines längerfristigen Engagements etwa in Gremien. Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS), die 2019 engagierte und nicht engagierte junge Menschen zu guten Rahmenbedingungen für ehrenamtliches Engagement befragte, empfiehlt: „Die zu erledigenden Aufgaben sollten in Pakete geteilt werden, die in ein bis zwei Stunden in der Woche erledigt werden können. Digitale Tools können hierbei entscheidend unterstützen.“
In Sachen Digitalisierung hatte die Pandemie bekanntlich positive Nebenwirkungen, etwa bei der mittlerweile gesetzlich verankerten Möglichkeit, die Mitgliederversammlung – neben dem Vorstand gesetzlich vorgeschriebenes Organ eines eingetragenen Vereins – hybrid abhalten zu können. Das spart (Anfahrts-)Zeit und ist damit ein großer Vorteil für junge Menschen oder Personen auf dem Land. „Im Alltag junger Leute sind digitale Tools eine Selbstverständlichkeit“, sagt Katarina Peranic , Vorständin der Deutschen Stiftung Engagement und Ehrenamt (DSEE), „wenn sie die im Kontext eines möglichen Ehrenamts nicht vorfinden, schwindet natürlich dessen Attraktivität.“
Das Potenzial der Peergroup
Was Jugendliche laut DKJS-Umfrage außerdem vom Engagement abhält, ist fehlende Information. Schule sollte als zentraler Informationsort besser genutzt werden: „Vereine und Verbände könnten Kooperationen mit Schulen aufbauen, um Informationsveranstaltungen zu organisieren, Materialien bereitzustellen oder Projekttage zum Engagement anzubieten.“ Aber auch soziale Medien sollten besser ausgeschöpft werden. Mindestens ebenso wichtig sei die Peergroup, so der DBJR: „Eine wesentliche Rolle spielt, wo sich Freund:innen und Mitschüler:innen engagieren.“ Die verschiedenen Erhebungen ergeben einhellig: Von den bisher nicht engagierten Jugendlichen kann es sich etwa die Hälfte grundsätzlich vorstellen. „Es lohnt also, im Bereich Kultur und Musik aktiv Menschen anzusprechen: die, die bereits Mitglied in einer Organisation sind, aber auch jene, die bisher weder freiwillig engagiert noch ein Mitglied waren“, folgert die BKJ-Studie und sieht ein großes nicht genutztes Potenzial.
Wer die Motive für freiwilliges Engagement kennt, kann mit seinen Angeboten gezielt und konkret darauf eingehen. Laut BKJ-Erhebung rangiert das Spaßhaben mit 80 Prozent ganz oben, gefolgt vom Wunsch, etwas fürs Gemeinwohl zu tun, anderen zu helfen, Gesellschaft mitzugestalten, mit anderen zusammenzukommen, Gutes zurückzugeben und Qualifikationen zu erwerben. Sozialpolitische Motivation überwiegt bei den formal höher Gebildeten, der Wunsch nach Geselligkeit und danach, soziale Hilfe zu leisten, eher bei Menschen mit niedrigeren Abschlüssen. Die Jüngeren messen der Qualifizierung den größten Wert bei. Sprich: Wenn ein Ehrenamt für Jüngere einen spürbaren Zuwachs an persönlichen und fachlichen Fähigkeiten verspricht, womöglich sogar ein Zertifikat, wird es umso attraktiver.
Korrelation von Engagement und Bildung
Eine große Baustelle ist die Vielfalt sozialer Milieus. So stellt die jüngste Shell-Jugendstudie von 2019 fest: Je gehobener die Herkunft, desto höher das eigene Engagement – weil es in der Familie möglicherweise schon immer üblich war und bessere materielle Bedingungen natürlich auch mehr Freiraum bieten. Jugendliche aus den unteren sozialen Schichten surfen häufiger im Netz, gamen oder sehen fern. 15 Prozent aller Jugendlichen zählt die Studie zum Milieu der „kreativ-engagiert Aktiven“. Sie seien häufiger kreativ oder künstlerisch unterwegs, engagieren sich in einem Projekt, einer Initiative oder einem Verein. 62 Prozent von ihnen sind weiblich, zwei Drittel haben Abitur oder streben es an. Der Trend der Kopplung von Bildung und Engagement nimmt besonders bei den jungen Engagierten zu, so die Auswertung der BKJ. Auch der Migrationshintergrund spielt eine Rolle: Laut Jugendstudie Baden-Württemberg engagierten sich 45 Prozent der Jugendlichen ohne Migrationshintergrund in einem Verein. Bei Befragten mit Migrationshintergrund sind es 37 Prozent. Sie engagieren sich zudem deutlich häufiger in selbst organisierten Gruppen.
„Nachwuchsgewinnung ist immer auch eine Frage von Diversitätszuwachs“, sagt Katarina Peranic. Das betrifft auch Altersgruppen. Im Kulturbereich sind unter den Engagierten nämlich sowohl die 14- bis 29-Jährigen als auch die über 65-Jährigen nur zu je einem guten Fünftel zu finden. „Es gilt nicht nur, junge Menschen, solche mit schwächeren Bildungschancen oder mit Migrationshintergrund stärker fürs Engagement zu gewinnen, sondern auch mehr Babyboomer“, so Peranic.
Das Modell geteilter Führung
Entscheidend sei immer die Grundhaltung. „Veränderungsbereitschaft ist nötig und die selbstkritische Frage, ob die eigenen Strukturen noch attraktiv sind für die Zielgruppe. Es gilt, sich für neue Gruppen zu öffnen, die Leute wirklich partizipativ gestalten zu lassen“, so Peranic. Der Übergang zwischen langjährigen Amtsinhaber:innen und ihrer Nachfolge könnte oftmals noch besser gelingen: „Hier haben sich zum Beispiel Tandems bewährt, also eine vorübergehend geteilte Führung. Das ermöglicht ein schrittweises Onboarding für Neue. Und wenn der Nachwuchs Dinge anders gestaltet als bisher, sollte man das nicht als ein Infragestellen seiner bisherigen Praxis verstehen.“ Gibt es Felder, wo so etwas besser klappt als anderswo? Peranic verneint: „Gute Beispiele gibt es überall.“
Info: Die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) hat im Juli 2020 ihre Arbeit in Neustrelitz aufgenommen. Mit der Stiftung gibt es erstmals eine bundesweite Anlaufstelle zur Förderung ehrenamtlichen Engagements. Weitere Infos: www.d-s-e-e.de