Die Online-Mitgliederversammlung wird endgültig Gesetz
Die Corona-Pandemie hat uns vieles beschert – Gutes und Schlechtes. Vor allem hat sie das Zuhause als Arbeitsstätte im großen Maße aufgewertet. Das gilt für den Beruf ebenso wie für das Ehrenamt, auch für den Bereich schulische und Erwachsenenbildung, sogar für den Bereich der Musik.
I.
Während langer Phasen der Pandemie war ein Zusammentreffen der Vereinsmitglieder weder in musikalischer Hinsicht noch bei Versammlungen möglich. Das Musik- wie das Vereinsleben mussten jedoch weitergehen, so wie das Wirtschafts- und Finanzleben auch. Das hatte auch positive Auswirkungen: Die Reisetätigkeit von und zum Arbeitsplatz, die Teilnahme an Konferenzen und Besprechungen wurde schon sehr bald um neue Formen der Zusammenarbeit erweitert, zunächst durch Telefon- und Videokonferenzen, wobei die hybride Veranstaltung teilweise eine wesentliche Rolle spielte; inzwischen ist die Online-Konferenz im Wirtschaftsleben, ebenso aber auch im Verbands- und Vereinsleben in vielen Bereichen zur Normalität geworden. Man mag darüber denken wie man will; es wird auch sicher einige Zeit dauern, bis sich das richtige Verhältnis zwischen Präsenz- und digitaler Besprechungs- und Versammlungstätigkeit entwickelt hat; insbesondere im Vereinsleben wird das „digitale Miteinander“ seine Grenzen haben (müssen); es zeigt sich, dass der persönliche Austausch, die Begegnung und auch gemeinsame Freizeitgestaltung im Vereinsleben völlig unverzichtbar ist und bleiben wird. Das gilt im Übrigen auch für das Wirtschaftsleben; die vollständige Verlagerung auf digitale Versammlungen und Besprechungen wird mittel- und langfristig eine tiefgreifende Veränderung der Gesprächs- und Verhandlungskultur zur Folge haben, die nicht erstrebenswert ist und dem Bereich der geschäftlichen Routine vorbehalten bleiben sollte. Es herrscht bei vielen Verbänden und Vereinen schon jetzt die Überzeugung, dass man sich im Bereich der grundsätzlichen Fragen des Vereins, im Bereich der Geselligkeit und der gemeinsamen kulturellen Gestaltung nicht durch digitale Routine entfremden und entfernen sollte. Hier wird sich – hoffentlich – im Laufe der Zeit ein gesundes Verhältnis zwischen digital und persönlich entwickeln, das genug Raum für die persönliche Begegnung, das „Auge in Auge“, lässt.
Das gilt natürlich in ganz besonderem Maße für die Vereinsarbeit. Wenn man zu den Wurzeln des Vereinswesens und sein Zustandekommen Mitte des vorvergangenen Jahrhunderts zurückgeht, wird klar, dass die persönliche Begegnung, Debatte, Auseinandersetzung kreativer Ausgangspunkt der Freiheitsgedanken war, die die Bewegung – auch die Revolution von 1848 – in Gang gesetzt und fortentwickelt hat.
Leitbild der persönlichen Begegnung
Auch unsere Vereine heute sind nach wie vor vom Leitbild der persönlichen Begegnung geprägt (§ 32 I BGB). Durch deren zeitweisen Wegfall in der Pandemiezeit hat das Vereinswesen gewaltig gelitten. Viele – vor allem ältere – Mitglieder haben sich aus dem Vereinsleben zurückgezogen, übrigens auch viele „jüngere Ältere“, und haben den Anschluss nach Auslaufen der Beschränkungen nicht mehr gesucht oder verpasst. Auf elektronischem Wege war ein Großteil der Vereinsmitglieder mangels Fehlen der technischen Voraussetzungen nicht erreichbar; die virtuellen Chorproben sind trotz der Bemühungen vieler Engagierter von begrenztem Umfang und im Übrigen auch nur teilweise erfolgreich gewesen.
Natürlich auch deshalb, weil die Chorlandschaft wie die Vereinslandschaft insgesamt auf diese Entwicklung in keiner Weise vorbereitet war.
II.
Für seine Verhältnisse außerordentlich schnell hat der Gesetzgeber auf Initiative des Bundesrates, nachdem erste Erfahrungen und Aufforderungen an ihn herangetragen worden waren, auf die Situation reagiert und die virtuelle, digitale und hybride Durchführung von Mitgliederversammlungen (Gleiches gilt für Vorstands- und Sitzungen anderer Gremien) zugelassen; § 5 Abs. 2 des Gesetzes über Maßnahmen zur Bekämpfung der Auswirkungen der Pandemie ab März 2020. Das Gesetz galt nicht nur für Vereine, sondern auch für das gesamte Gesellschafts-, Genossenschafts- und Wohnungseigentumsrecht und andere Rechtsgebiete, bei denen Entscheidungen in Versammlungen zu treffen waren.
Die Erlaubnis, solche virtuellen und digitalen Sitzungen in Versammlungen durchzuführen, war ausdrücklich nicht von einer entsprechenden Satzungsregelung abhängig. Die Rechtsprechung hatte – in Einzelfällen – schon zehn Jahre vor der Pandemie virtuelle Versammlungen erlaubt, wenn sie durch Satzungsregelung des betreffenden Verbandes oder Vereins zugelassen waren.
Befristetes Gesetz während der Corona-Zeit
Bis zum 31. August 2022 galt diese gesetzliche Corona-Regelung, dass ohne Satzungsbestimmung oder Gremiumsbeschluss virtuelle Versammlungen zulässig waren. Das Gesetz war zeitlich befristet, da der Gesetzgeber hoffte, dass nach Ablauf von knapp zweieinhalb Jahren für diese Regelung kein Bedarf mehr bestehen würde.
Seit dem 01. September 2022 war deshalb die virtuelle Mitgliederversammlung – wieder – nur noch zulässig, wenn eine entsprechende Satzungsregelung dies zulässt.
Man kann sich natürlich fragen, weshalb das Gesetz nicht von vorneherein auf Dauer angelegt war; das Prinzip Hoffnung mag dafür mitentscheidend gewesen sein oder auch der politische und gesetzestechnische Wunsch, nach einer bestimmten Zeit wieder zum gesetzlichen Leitbild der persönlichen Versammlung (§ 32 Abs. 1 BGB) zurückzukehren. Sei´s drum.
Seither haben viele Vereine – längst nicht alle – ihre Satzungen geändert und erweitert dahin, dass die digitale oder virtuelle Mitgliederversammlung weiterhin zulässig ist. Es sind auch kaum Fälle bekannt, in denen virtuelle Versammlungen nach dem 31. August 2022 durchgeführt worden wären ohne Grundlage in der Satzung. Streng genommen hätte dies – mangels Satzungsgrundlage – die Unwirksamkeit solchermaßen gefasster Beschlüsse zur Folge haben müssen.
Neues Gesetz trat in Kraft
Nun hat der Bundesrat am 01. Juli 2022 einen Gesetzentwurf in das parlamentarische Verfahren eingebracht unter der Überschrift „Entwurf eines Gesetzes zur Ermöglichung digitaler Mitgliederversammlungen im Vereinsrecht“. Der Entwurf beinhaltet eine Ergänzung des § 32 BGB durch einen Absatz 1a, wonach der Vorstand eines Vereins auch ohne Ermächtigung in der Satzung vorsehen kann, dass Vereinsmitglieder an der Mitgliederversammlung ohne Anwesenheit am Versammlungsort im Wege der Bild- und Tonübertragung teilnehmen und Mitgliederrechte auf diesem Wege ausüben können. Grundsätzlich sollte die Teilnahme der Vereinsmitglieder im Wege jedweder Art elektronischer Kommunikation möglich sein bzw. bleiben, also nicht nur eine Videokonferenz oder eine hybride Konferenz (Kombination aus Videokonferenz und Präsenzveranstaltung). Der Bundeskanzler legte das Gesetz unverzüglich dem Bundestag zur Beschlussfassung vor und gab eine befürwortende Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Bundesrates ab.
Das Gesetz ist durch Verkündung im Bundesgesetzblatt am 20. März 2023 in Kraft getreten. Es enthält jetzt die Zulässigkeit der Durchführung aller Versammlungen (elektronische Kommunikation, hybride Versammlungsdurchführung, virtuelle Versammlungsdurchführung). Ergänzt wurde, dass bei hybrider oder virtueller Versammlung in der Einladung auch angegeben werden muss, wie die Mitglieder ihre Rechte im Wege der elektronischen Kommunikation ausüben können.
Letzteres liegt auf der Hand: Jedes Vereinsmitglied hat das grundlegende Recht, an Mitgliederversammlungen teilzunehmen. Finden diese virtuell oder hybrid statt, muss er darüber informiert werden, wie er (technisch) an der Versammlung teilnehmen kann. Geschieht dies nicht, bleibt er faktisch von der Teilnahme an der Versammlung ausgeschlossen und kann deren Beschlüsse gegebenenfalls anfechten.
Für den eigenen Internetzugang ist selbst zu sorgen
Übrigens: Ein Recht des Mitglieds, Beschlüsse anzufechten, weil wer nicht über die notwendigen technischen Einrichtungen zur Teilnahme an einer virtuellen Mitgliederversammlung verfügt, besteht nicht. Er muss sich gegebenenfalls selbst um den Zugang zur virtuellen Mitgliederversammlung (Internetcafé, Bekannte etc.) bemühen; dies reicht zur Gewährung seiner Mitgliederrechte – wie bisher auch – aus.
III.
Fazit: Vor allem für die jetzt bevorstehenden, meist im Frühjahr stattfindenden Mitgliederversammlungen, gilt, dass Satzungsänderungen jedenfalls im Zusammenhang mit virtuellen Versammlungen nicht mehr nötig sind. Die Zulässigkeit kann jetzt unmittelbar aus dem Gesetz vom 20. März 2023 (BGBl I, Nr. 72) entnommen werden.
Rechtsanwalt Christian Heieck
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Dieser Beitrag gibt die Auffassung, Kenntnisse und Erfahrungen des Autors aus vielen Jahren Vereinsrechtpraxis wieder. Wir bitten dennoch um Verständnis, wenn im Hinblick auf die Vielfalt der individuellen Fallgestaltungen, die im Vereinsrecht vorkommen, eine Haftung für die gegebenen Auskünfte im Hinblick auf konkrete Einzelfälle nicht übernommen werden kann.