Schon vor hundert Jahren griffen die Chöre zu modernen Werbemethoden
Schon vor einem Jahrhundert versuchte die Laienchorbewegung mit damals neuen Werbemitteln auf ihre Organisationen und Aktivitäten aufmerksam zu machen.
Für ihre Verbindung eine ganz glänzende Reklame gemacht
„Der Festausschuss hat, geleitet von dem Gedanken, das heutige allmächtige Reklamewesen in seiner künstlerischen Gestaltung im Gewand des Scherzes in denkbar umfassender Weise zur Schau zu stellen, eine glückliche Hand gehabt. Vom Zeitungswesen, das die Hauptträgerin, ja die Mutter der Reklame ist, bis zur modernen Plakatsäule und dem unscheinbarsten Reklameflugblatt für nur alle denkbaren menschlichen Bedürfnisse als da heißen: Gemüse, Blumen, Kakao, Schuhnägel und Schuhwichse, Mayserhüte, Beißzangen, Elektromotoren, kurz alles war vertreten.“ Und über die Mitglieder des Sängerkranzes heißt es: „So haben sie für ihre moderne Verbindung eine ganz glänzende Reklame gemacht.“ Unter den diversen Möglichkeiten, mit Reklame auf sich aufmerksam zu machen, sei in diesem Beitrag ein (buchstäblich ganz kleiner) Werbungsträger angeführt: die „Reklamemarke“, die Ende des 19. Jahrhunderts in Gebrauch kam. Sie hat gewöhnlich die Größe und das Aussehen einer Briefmarke und trägt neben einem Text auch einen dekorativen Bildschmuck, ähnlich wie ein großes Plakat. Gerade die Bilder zu allen möglichen Themen, auch zur Musik (z.B. „Das Volkslied“), haben diese Marken von Anfang an zu beliebten Sammelobjekten gemacht (der Fachbegriff lautet hier „Erinnophilie“).
Kleine Verschlussmarken mit Plakat-effekt: Information und Werbung
Im Alltag verwendet wurden die Reklamemarken, die man in der Regel vom Werbenden geschenkt bekam, gern als Verschlusssiegel für Briefe. Manche Stücke gleichen daher den offiziellen „Siegelmarken“, die manche Behörden verwendeten. Diese waren nach dem Vorbild alter Wachssiegel meist rund, so z.B. die Marke des Schwäbischen Sängerbundes (SSB / SCV) zum „32. Schwäbischen Liederfest“ 1929 in Ulm. Das Stück ist in den SCV-Farben Schwarz und Rot gehalten, trägt viel Textinformation und zeigt mittig einen Hinweis auf den DSB, den Deutschen Sängerbund (heute DCV). Eine andere runde Marke, bereits aus dem Jahr 1902, wirbt für das „VI. Deutsche Sängerbundesfest“ in Graz; sie ist wohl eine der ältesten Reklamemarken der Sängerbewegung.
Gleich mit einem ganzen Bogen aus vier „Offiziellen Siegelmarken“ hat der Schwäbische Sängerbund 1913 für das „30. Allgemeine Liederfest“ des Bundes in Tübingen geworben. Die vier von Künstlern angefertigten Bilder zeigen Ansichten des Festorts sowie eine Figur des komponierenden Silcher. Die Marken haben ein Querformat, denn ihr Bildschmuck beruht auf vier offiziellen Festpostkarten, die der Tübinger Metz-Verlag ebenfalls herausgegeben hat.
Leuchtend bunt und in ganzen Serien
Die Schwaben hatten wohl ein ganz besonderes Faible an den Reklamemärkchen. Für das „31. Schwäbische Liederfest in Esslingen 4. – 6. Juli 1925“ erschien gleich eine ganze Reihe kleiner Marken mit unterschiedlichen Grundfarben. Sie tragen neben dem zitierten Festhinweis ein Wappenschild mit einer Zwiebel (als Esslinger Symbol) und einen singenden Vogel. Auftraggeber war hier möglicherweise nicht der Chorverband, sondern die Feststadt selbst.
Eine andere Marke, die ohne Datum, aber mit dem Verlagshinweis „Wilh. Langguth, Esslingen a.N.“ gedruckt wurde, gehört vielleicht noch in die Kaiserzeit. Das hochformatige Bild zeigt über dem Text „Schwäbischer Sängerbund“ einen Lorbeerkranz mit einer Helmzier und württembergische Wappen.
Für Arbeiter- und Kaiser-Sängerfeste
Neben den Chorverbänden als Festveranstalter machten auch andere auf ihre Sängerwettbewerbe mit Reklamemarken aufmerksam, z.B. das erlauchte Deutsche Kaiserhaus höchst selbst. Für das von Wilhelm II. 1898 initiierte, 1899 bis 1913 durchgeführte „Kaiser-Preis-Wettsingen“ („Wettstreit Deutscher Männergesangvereine“) sind ebenfalls ansprechend gestaltete Klebebildchen herausgegeben worden.
Last, but not least müssen noch die attraktiven Stücke der Arbeitergesangvereine genannt werden, wie z.B. die Marke für das „IX. Bayerische Arbeiter-Sängerfest München Pfingsten 1914“; sie zeigt einen Arbeiter mit nacktem Oberkörper und einem Sängerzeichen vor einer Werkssilhouette und einem Alpenpanorama. Und zuletzt natürlich die vielen einzelnen Chöre, die sich der Reklamemarke bedient haben. Die jüngste Briefverschlussmarke des Schwäbischen Chorverbands übrigens stammt vom Winter 2021 und ist mit einem Weihnachtsgruß versehen. Sie hat im Dezember die Briefpost des Verbands geschmückt.