Der Kultur- und Klimaschutzmanager Markus Wörl über nachhaltige Chorarbeit
Nachhaltigkeit ist derzeit ein populäres Thema. Kein Wunder, gibt es doch im Moment kaum ein Etikett, mit dem sich mehr werben und mehr „Besser-Menschentum“ ausstrahlen lässt, als mit den Begriffen „nachhaltig“, „ressourcenschonend“ und „grün“. Aber was bedeutet das überhaupt und was hat jede:r Einzelne davon?
Abgesehen davon, dass unter dem Mantel der Nachhaltigkeit mittlerweile ganze Weltanschauungen verkauft oder versteckt werden können, müssen wir erkennen, dass neben den vielen wissenschaftlichen Fakten, die uns seit Jahren immer eindringlicher und hilfloser vermittelt werden, immer noch zu viele „Meinungen“ existieren.
Nachhaltigkeit ist derzeit der Oberbegriff dafür, dass wir alle – und zwar wirklich alle weltweit! – das festgelegte und derzeit noch erreichbare Ziel von 1,5 Grad Celsius Erderwärmung erreichen müssen. Dafür müssen wir unser Verhalten radikal und tiefgreifend ändern. Wir müssen uns von liebgewonnenen Gewohnheiten verabschieden und uns neuen Herausforderungen stellen.
Die zurückliegenden Monate waren die heißesten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die Flutkatastrophe im Ahrtal kann jederzeit wieder eintreten. Von Urlauben im August an der Mittelmeerküste wird mittlerweile abgeraten. Wofür haben wir den ganzen Wohlstand aufgebaut?
Schnell zur Beruhigung Musik angemacht, Haydns „Jahreszeiten“: „Ach! Das Ungewitter naht. […] O, wie der Donner rollt! O, wie die Winde toben! […] Wütend rast der Sturm; der weite Himmel entbrennt. […] Erschüttert wankt die Erde bis in des Meeres Grund. Nein, besser doch nicht! Schnell wieder ausschalten. Stattdessen zur Chorprobe: Aber wie? Meine Tochter sagt schon lange, dass man lieber das Fahrrad nehmen soll, auch wenn der neue SUV noch gar nicht richtig eingefahren ist. Es ist wirklich nicht leicht, es allen recht zu machen und vernünftig zu leben. Es ist wie mit dem Abnehmen: Man weiß, dass man zu viel und im Zweifelsfall zu ungesund isst und sich zu wenig bewegt, aber mit dem Abnehmen fängt man morgen an. Oder vielleicht nächste Woche.
Kulturelle Veranstaltungen nicht nachhaltig im ökologischen Sinn
Jetzt im Klartext: Eine Oper, ein Konzert oder eine Veranstaltung ganz im Allgemeinen sind nicht nachhaltig! Jedenfalls im ökologischen Sinne. Das liegt daran, dass wir aus den unterschiedlichsten Himmelsrichtungen zusammenkommen, um live und gemeinsam etwas zu erleben und zu genießen. Gerade während der Pandemie wurde uns schmerzlich bewusst, wie unbefriedigend Streaming Angebote, Online-Konzerte und Versammlungsverbote sind. Wir wissen nun deutlich, dass das Zusammensein und das gemeinsame Erleben ein Ereignis erst unvergesslich machen. Dafür tun wir das ja. Dafür reisen Festivalbesucher:innen im Sommer kilometerweit, dafür werden Tonnen an Equipment in Trucks transportiert und für große Konzerte werden Licht- und Tontechnik aufgebaut, mit der man eine Kleinstadt mit Strom versorgen könnte.
Da wir in einer globalisierten Welt leben und wie selbstverständlich italienisch und asiatisch essen und zu Konzerten amerikanischer Bands gehen, wäre ein Verbot von Konzertreisen und internationalem Austausch weltfremd und nicht durchsetzbar.
Also müssen wir – siehe Vorbildfunktion weiter oben – im Kleinen anfangen und unser Verhalten bei der Konzertorganisation und -planung bedenken! Wir sollten, wie im Alltag auch, zweimal überlegen, ob wir alles neu kaufen müssen und ob wir wirklich immer gleich das Auto nutzen müssen. Der Besuch der Chorprobe unterscheidet sich in diesem Sinne nicht vom Besuch des Restaurants oder des Supermarkts.
Mittlerweile gibt es unzählige Leitfäden, Checklisten und Handreichungen, mit denen man seinen persönlichen Fußabdruck überprüfen kann – und ja, wir leben über unsere Verhältnisse. Schon seit Jahren. Dabei muss man nur anfangen: Ich war im vergangenen Jahr zu einer Nachhaltigkeitstagung in Baden-Württemberg eingeladen. Tagungsort war ein wunderschönes Seminarhotel, das man allerdings nur mit dem Auto erreichen konnte. Als ich den Punkt ansprach, gab es betretene Gesichter und das Bekenntnis, dass man da nicht darüber nachgedacht habe.
Doch wie gehen wir das Thema nun an? – Einfach machen und loslegen: Wir müssen alles auf den Kopf stellen, liebgewonnene Traditionen und Gewohnheiten hinterfragen und bestenfalls unsere ganze Struktur von vorne aufbauen!
Probenort
Fahrgemeinschaften bilden, Probenorte aussuchen, die gut öffentlich, zu Fuß oder mit dem Rad erreichbar sind. Heizen: Weiß ich wirklich, wie hoch die Heizkosten sind? Nur wenn man weiß, was man verbraucht, hat man den Ansporn, dies auch messbar zu reduzieren: Gibt es Einzelzähler für unseren Probenraum? Funktionieren die Thermostate? Könnten wir nicht grundsätzlich ein paar Grad runterdrehen?
Licht
Hat nicht neulich erst jemand vergessen, das Licht auszumachen und es brannte wieder das ganze Wochenende über? Wollten wir nicht schon längst einen Bewegungsmelder im Gang installieren? Haben wir Öko-Strom und ist der tatsächlich grün oder doch eher grau? Warum haben wir eigentlich immer noch die alten Glühbirnen und keine LED eingeschraubt? Mein Tipp: Machen Sie sich schlau! Gerade in Bereichen, in denen lange Licht brennt, amortisiert sich LED-Beleuchtung schnell.
Verpflegung
Den Grünen wird heute noch ihr Vorschlag des Veggie-Tages vorgeworfen, dabei ist diese Idee auch schon über zehn Jahre alt. Mittlerweile gibt es hervorragende vegetarische und vegane Alternativen, deren Unterschiede selbst Profis bei der Blindverkostung nicht mehr unterscheiden können. Manchmal sollte man einfach nach dem Prinzip „Tue Gutes und rede nicht darüber“ verfahren und vegetarische Gerichte einfach anbieten, ohne Aufhebens und Etikettierung. Wollen wir doch mal sehen, wer es zuerst bemerkt.
Wussten Sie, dass ein halbes Kilo Rindergulasch aus Brasilien den gleichen CO2-Fußabdruck hat wie 800 km Autofahren? Vegetarische Maultaschen verursachen nur einen Bruchteil davon. Was spricht also gegen ein vegetarisches Buffett beim nächsten Empfang? Aber nicht groß darüber reden! Außer vielleicht am Schluss bei der Danksagung.
Reisen
Den größten Einfluss auf das Klima hat jedoch immer noch das Reisen. Und da verdirbt einem die (gerne vergessene) Anreise der Zuschauerinnen und Zuschauer enorm die Bilanz. An einem durchschnittlichen deutschen Drei-Sparten-Theater macht die An- und Abreise des Publikum ca. 40 Prozent der Emissionen aus – mehr als Heizung, Klimaanlage und Fuhrpark zusammen! Aber tun wir auch wirklich genug, um unser Publikum vom Auto wegzulocken? Wer sich wirklich ergebnisoffen und undogmatisch zusammensetzt, wird schnell auf viele weitere Anreize kommen, mit denen man das Publikum animieren und motivieren kann, das Auto zuhause zu lassen und wird gleichzeitig zeigen, dass es auch anders geht, wenn man nur will.
Übrigens: Vergessen Sie dabei nicht die Jugend! Die Arbeit mit Berufsschüler:innen einer Klasse von Veranstaltungskaufleuten hat so viel Potenzial, Ideen und frischen Wind gebracht, dass ich noch heute von den Ideen zehre – und das ist es doch, was wir wollen: der nächsten Generation mitgeben, dass wir an sie denken und mit ihr zusammen die Welt ein Stückchen besser machen wollen.