Die Geschichte der weltlichen Männerchöre
Männerchöre gelten vielen als „altbacken“ und als Produkt vergangener Zeiten. Sicher, in einer Chorszene, in der es hauptsächlich gemischte Chöre mit Frauenüberschuss gibt, ist der Männerchor eher gering vertreten. Jedoch war das nicht immer so.
Anfänge
Erste Männerchöre lassen sich in Männerquartetten des 16. Jahrhunderts finden, konzipiert als solistische Quartettbesetzung. Für die weitere Entwicklung stellte der Komponist Johann Michael Haydn, jüngerer Bruder des bekannteren Joseph Haydn, eine entscheidende Rolle dar. So entstanden aus dem einstimmigen Klavierlied Kompositionen mir einer zweiten und dritten Singstimme. Diese Tradition wurde von seinen Schülern erweitert und später aufgegriffen durch Franz Schubert. Der vier- bis fünfstimmige sakrale Gesang in Mittelalter und Früher Neuzeit wurde ausschließlich von Männern gesungen wurde. Zwar gab es auch reine Frauenchöre, aber gerade im sakralen Kontext übernahmen Männer bzw. Kastraten den „Altus“ und „Discant“. Die musikalische Neuheit des 19. Jahrhunderts stellte der Männerchorgesang im Format TTBB dar, wie wir ihn heute kennen.
Die Männergesangsbewegung
Carl Friedrich Zelter gründete 1809 in Berlin die Liedertafel. Dort durften allerdings nur 24 ausgesuchte Männer, nämlich die „reichsten, besten und schönsten Leute“ singen, wie Norbert Schmidt aus dem Sängermuseum Feuchtwangen erklärt. Sie mussten selbst Dichter, Sänger oder Komponisten sein. Fast zeitgleich gründete der selbsternannte Schöpfer der Gattung Männerchor, Hans Georg Nägeli, einen Männerchor in der Schweiz und begründete damit eine Männergesangsbewegung im süddeutschen Raum. Ein Grund, warum in Baden-Württemberg noch heute die meisten Gesangsvereine zu finden sind. Im Zuge der Aufklärung sollte mit den Vereinen nicht nur die politische, sondern auch die musikalische Volksbildung gefördert werden. Gerade auf dem Land, so der Historiker Rudolf Veit, hätten die Gesangsvereinen des 19. Jahrhunderts eine Möglichkeit geboten, sich kulturell zu betätigen und zu bestätigen. Die Chöre gestalteten das öffentliche Leben, bei christlichen wie weltlichen Feiern und waren eine gesellige Runde für viele Menschen, die sich zuvor der Hausmusik gewidmet hatten. Gemischte Chöre gab es im 19. Jahrhundert so gut wie gar nicht, da Frauen vom Vereinsleben ausgeschlossen waren. Themen in den Liedern der Gesangsvereine waren die Jagd, Geselligkeit, Religiosität und Frauen sowie nationale Forderungen. Jene Themen trugen mit dazu bei, dass der Männerchor u.a. das Klischee des Trinklieds erhielt. Auch außerhalb des deutschsprachigen Raums wurden (von deutschen Auswanderern) Männerchöre gegründet, wie etwa in Riga und Rom (1833), Lyon (1834) oder Philadelphia (1835) sowie Ende des 19. Jahrhunderts in den deutschen Kolonien.
Friedrich Silcher
Eine der populärsten Rolle im schwäbischen Raum nahm für den Männergesang Friedrich Silcher ein. Mit seinen zahlreichen Volksliederbearbeitungen wie dem „Ännchen von Tharau“ oder der „Loreley“ legte er einen wichtigen Grundstock für die Männerchorliteratur. Nicht unerwähnt bleiben darf natürlich der Männerchor in der Oper, der bereits seit dem 17. Jahrhundert in Opern von Michel Angelo Rossi oder Domenico Mazzocchi existierte und in den folgenden Jahrhunderten größere Popularität durch Mozarts „Zauberlöte“, Rossinis „La Cenerentola“, Webers „Freischütz“, Verdis „Nabucco“ oder Wagners „Der fliegende Holländer“ erreichte – die Liste ließe sich weit fortführen. Das 19. Jahrhundert kann daher, vor allem dank Silcher, nicht nur als Jahrhundert des Volkslieds, sondern auch als Jahrhundert des Männergesangs gelten. Als Dachverband für die schwäbischen Männergesangsvereine fungierte ab 1849 der „Schwäbische Sängerbund“, für den gesamten deutschsprachigen Raum ab 1862 der in Coburg gegründete „Deutsche Sängerbund“.
Krisen und Gleichschaltung
Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg und krisenhaften Jahren danach, habe sich zum Ende der 1920er Jahre in den Männergesangsvereinen ein Hang zu stärkerem Nationalismus abgezeichnet, so Veit. Das Vertrauen in die Nation war nicht zuletzt auch eine Hoffnung, die Krisen der 1920er Jahre zu überwinden. Der Nationalsozialismus bedeutete für die Chorvereine Gleichschaltung. In den Unterlagen des SSB heißt es diesbezüglich, die Mitgliederversammlung stehe „mit großer Begeisterung“ hinter der Regierung Hitlers. Ob dies von Seiten der Vereine aus Überzeugung oder wider Willen geschah, ist nicht eindeutig zu klären. Für die Gesangsliteratur bedeutete es einen Fokus auf deutscher Literatur. Dieses „deutsch“ bedeutete keine Schlagermusik, keine modernen Kompositionen und insbesondere keine Musik von jüdischen Komponisten. Heute noch gern gesungene Männerchöre wie „Der Jäger Abschied“ von Felix Mendelssohn Bartholdy galten nun als undeutsch und wurden verboten. Juden durften zudem keine aktiven Sänger mehr sein und wurden aus den Vereinen ausgeschlossen. Ausnahmen waren, ähnlich wie bei jüdischen Beamten, möglich. Nicht nur die Literatur, auch die Sängerfeste waren nun von Propaganda durchwoben, die sich bis in den Krieg zuspitzte. Je mehr Sänger als Soldaten eingezogen wurden, desto eher kam es zu Zusammenschlüssen von Vereinen.
Rückgang der Männerchöre
Wie die Lage nach dem Zweiten Weltkrieg war, lässt sich beispielhaft am Männerchor Aichschieß nahe Esslingen erklären, dessen Mitglieder in den Straßen sangen und bettelten. Die Not war groß und so gab es gegen ein Ständchen Naturalien. Der Zusammenbruch des Deutschen Reiches führte auch zum Zusammenbruch der Vereine. Es kam zu einem massiven Rückgang der Männerchöre. Die Sängerbünde waren aufgelöst und so musste jeder einzelne Gesangsverein neu gegründet werden. Im Hinblick auf die Chorliteratur waren viele Stücke von den Alliierten verboten worden. Hinzu kam, dass nur eingeschränkt Proben abgehalten werden konnten, da nicht wenige Vereine ausgebombt waren und somit das Notenpapier fehlte, was aufgrund von allgemeinem Papiermangel nicht gedruckt werden konnte.
Vom Männerchor zum gemischten Chor
Bereits 1948 rief der Württembergische Sängerbund dazu auf, Kinder- und Jugendchöre zu gründen, weil es den Vereinen an Nachwuchs mangelte. Der Schwäbische Sängerbund war hingegen der Ansicht, „Kinder- und Jugendchöre gehörten nicht in den Bereich einer Gesangskulturbewegung“, dies sei „Sache der Schulen und sonstiger Institutionen“, wie es die Historikerin Angelika Hauser-Hauswirth schreibt. Eine wirkliche Initiative für Jugendarbeit sollte jedoch erst knapp drei Jahrzehnte später folgen. Insbesondere die zuvor ausgeschlossenen Frauen übernahmen nun, aufgrund des Männermangels, in den Vereinen die Aktivitäten und machten aus den zuvor reinen Männerchören nun entweder gemischte Chöre, initiierten Kinderchöre oder gründeten eigene Frauenchöre.
Das 21. Jahrhundert: Der Männerchor als Randerscheinung
Natürlich bestanden innerhalb der Vereine auch weiterhin reine Männerchöre. Allerdings lässt sich bis heute zunehmend ein „Aussterben“ dieser beobachten und das wortwörtlich. „Opas und Väter […] in der Überzahl“, wie es der Deutschlandfunk
schreibt. Die Gründe für diese fehlende oder unzureichende Jugendarbeit sind vielfältig. Bis in die 1980er waren viele der schwäbischen Männerchöre schlicht zu eitel, sich Nachwuchssorgen zu machen. Auch die „Frauenfrage“ (im SSB auch „Damenproblem“ genannt) – gemeint ist die Aufnahme von Frauen- und gemischten Chören in den Verband – hatten Vereine und Verband lange verschlafen. Bis dato hatte es mit dem Nachwuchs ja immer funktioniert. Aber Zeiten ändern sich und insbesondere die Chorszene erlebte eine Mitgliederoffensive an Frauen, was zu gemischten Chören führte. Bis die Männerchöre bemerkt hatten, dass der Nachwuchs zwingend notwendig war, war bereits eine Sängergeneration übersprungen. Heißt: Ein 24-jähriger Sänger will nicht zwingend in einem Männerchor singen, der ein Durchschnittsalter von 60 bis 70 Jahren aufweist. Es ist kein Vater-Sohn-Generationen-Männerchor mehr, die Jugend realisiert stattdessen eigene Projekte, will sich – und das ist ein weiterer Grund – von der Vätergeneration abkapseln. Ein neuer Trend der letzten zwanzig Jahre sind junge Männerensembles, im klassischen wie populären Bereich. Die Wise Guys, Maybebop oder der aus den USA stammende Barbershop finden mit ihren Arrangements in den traditionellen Männergesangsvereinen Anklang. Zwar mag der ländliche Männergesangsverein einen Ruf haben „altbacken“ zu sein, aber ist er dennoch Austragungsort großer Traditionen und generiert eventuelle neue männliche Sänger für weitere Chöre. Nicht zuletzt gibt es auch jüngere Männerchöre, die sich gut vermarkten, wie die Kölner „Grüngürtelrosen“ oder die Hamburger „Goldkehlchen“, die mit ihrer humorvollen und offenen Art in der Öffentlichkeit dem Männerchorgesang wieder einen etwas anderen, aber neuen und populäreren Anklang geben.