Die frühen Sängerfeste in Esslingen 1828 bis 1832
Nach dem ersten schwäbischen Liederfest in Plochingen 1827 fanden die von nun an jährlich veranstalteten Sängertreffen zwischen 1828 und 1832 in Esslingen statt.
Im Heft 11.2024 der SINGEN wurde auf das Lied „Der schwäbische Sängerbund“ mit dem Text von Wilhelm Zimmermann und den Chorsätzen von Konrad Kocher und Louis Hetsch eingegangen und auf den politisch freiheitlichen Geist dieses Männerchorlieds hingewiesen. Der Gesang kam erstmals 1831 beim „allgemeinen (schwäbischen) Liederfest“ in Esslingen zur Aufführung. Hier nun kurz etwas zur Geschichte dieser Festveranstaltungen. Der „schwäbische Sängervater“ Karl Pfaff, von Anfang an als treibende Kraft in der Chorbewegung aktiv, berichtet 1852 in seiner Schrift zur „Geschichte des Esslinger Liederkranzes“, die ersten „Allgemeinen Liederfeste“ seien vor allem durch den 1827 gegründeten Esslinger Männergesangverein mitorganisiert worden. Dabei habe man „durch die Liberalität des Stadtrats“ kräftige Unterstützung erhalten. Zu den Aufführungsorten schreibt Pfaff:
„Hierbei stellte sich zunächst das Bedürfnis eines geräumigen Lokals heraus und es wurde dazu die damals leerstehende Kirche des ehemaligen Dominikanerklosters in Esslingen vorgeschlagen, dieser Vorschlag aber umso williger angenommen, da Esslingen auch für die Versammlung der Sänger im Freien nachmittags in dem schönen, zwischen zwei Neckararmen gelegenen Spaziergang, der Maille, einen trefflichen Platz darbot. Hier also fand dann am Pfingstmontag den 26. Mai 1828 das zweite, von mehr als 400 Sängern besuchte Liederfest, bei herrlicher Witterung, in ungetrübter und ungestörter Freude statt.“
Säulenbasilika und Spazierweg
Bei der genannten „leerstehenden“ Kirche handelte es sich um die dreischiffige Säulenbasilika des einstigen Dominikanerklosters. Diese alte Ordenskirche wurde 1268 vollendet und damals vom berühmten Theologen Albertus Magnus eingeweiht. 1532 wurde sie im Zuge der Reformation als katholisches Gotteshaus aufgegeben, blieb aber noch bis 1802 als evangelische Kirche in Verwendung. Danach diente der Bau als Futtermagazin, Lagerraum, Kelter und Waaghaus, bis er durch die Sänger 1828 wieder eine neue würdige Aufgabe bekam – als Klangraum für ihre Auftritte. Seit 1861 ist die Kirche wieder in katholischer Nutzung und präsentiert sich heute – schön restauriert – für Gottesdienste und Musikveranstaltungen.
Der andere Ort, den Pfaff als Veranstaltungsfläche erwähnt, ist die so genannte Maille, eine Grünanlage auf einer Esslinger Insel, die durch zwei Neckarkanäle gebildet wird und die noch heute die Bürger zum Flanieren einlädt. Die Spaziergänger finden dort auch ein Denkmal für Pfaff mit folgenden Worten:
„Karl Pfaff 1795-1866 Gründer des Schwäbischen und des Deutschen Sängerbundes. Conrector an der Lateinschule, Archivar und Stadtgeschichtsschreiber in Esslingen. Das Denkmal wurde am 28. Juni 1868 vom Schwäbischen Sängerbund seinem Sängervater auf der Stätte der ersten deutschen Liederfeste errichtet.“
Ausschmückung von Kirche und Festplatz
„Seht ihr die Flaggen weh‘n / frei in den Lüften? Seht ihr im Banner steh‘n / leuchtende Schriften?“ – heißt es in Wilhelm Zimmermanns Liedtext. Hier spielte der junge Dichter auf die bürgerliche Festkultur mit ihren neuen Ausdrucksformen an, die er damals auf den Esslinger Liederfesten kennengelernt hatte. In Gablers Verbandschronik von 1925 heißt es dazu:
„Für die Aufführungen wurde die […]ehemalige Dominikanerkirche aufs würdigste hergerichtet. Im Chor der Kirche war für nahezu tausend Sänger Platz; das Schiff fasste zusammen mit der Empore über viertausend Zuhörer.“ Und weiter: „An den mächtigen Pfeilern […] waren stattliche Maien angebracht und durch Guirlanden von Tannenreis miteinander verbunden.
An ihnen hingen Kränze von Eichenlaub und Efeu. An den mächtigen Säulen des Kirchenschiffes aber waren über den Maien blaue Schilde mit gelben Inschriften und einem Sterne über jeder angebracht. Sie waren alle mit Blumenkränzen umgeben, deren Farben sinnbildlichen Bezug auf die Inschriften hatten. So schlang sich um den Schild mit der Inschrift „Religion“ ein Kranz von violetten, um den mit „Jugend“ einer von weißen, um den mit „Freundschaft“ ein blauer, um den mit Liebe ein roter und rosafarbener Kranz. „Vaterland und Freiheit“ umgeben Eichenkränze, „Freude und Geselligkeit“ Kränze aus Feuerlilien. „Kunst und Natur“ waren mit buntfarbigen Kränzen geschmückt.“
Blaue Fahnen, goldene Leiern, Frauen und die Politik
Die Aufzählung der Blumengebinde und sonstigen Dekorationen nimmt kaum ein Ende, erwähnt seien hier nur noch die Kronen und die vielen (goldfarbenen) Leiern. Eine goldene Lyra zierte natürlich auch die blaue Vereinsfahne des Esslinger Liederkranzes, die als Schmuck am höchsten Baum in der Maille zu sehen war. Diese Fahne soll eine der ersten Sängerfahnen überhaupt gewesen sein.
Geschmückt waren übrigens auch die Plätze der Frauen in der Kirche. Auch wenn die Damen im (bürgerlich-profanen) Musikprogramm des Festes selbst nicht vorgesehen waren, so stand ihnen in der Kirche dann doch ein Mitwirken als Sängerinnen zu. Sie durften beim geistlichen Schluss-Choral „Lobe den Herren“ mitsingen.
Und zur politischen Seite der Feste schrieb ein Historiker: „Bei der Festesfeier im Jahre 1831 sprach sich die durch die Pariser Julius-Tage (1830, Juli-Revolution) hervorgerufene Bewegung auf verschiedene Weise aus und wenn das Liederfest auch noch im Jahr 1832 gefeiert wurde, so geschah dies nur unter ängstlicher Aufsicht der Behörden, an eine Wiederholung desselben im nächsten Jahre aber war nicht zu denken. Zehn Jahre verflossen, ehe in Esslingen wieder ein Liederfest gefeiert wurde, denn mit dem Jahre 1834 begann die Zeit von einer Stadt zur andern wandernden Liederfeste.“