In meiner Kolumne im vorherigen November habe ich auf Seite 19 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Mitglieder des Vorstandes nicht an der Entscheidung über die – ihre! – Entlastung mitwirken dürfen. Das Stimmverbot für den Vorstand/das Präsidium bei der Entlastungsentscheidung ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit und ergibt sich im Übrigen aus § 34 BGB.
Was ist die Entlastungsentscheidung? Die Mitgliederversammlung entscheidet nach Erstattung des Rechenschaftsberichts durch den Vorstand und den Kassenbericht durch die Schatzmeisterin/den Kassier darüber, ob der Vorstand im Berichtsjahr seine Arbeit in Übereinstimmung mit Gesetz und Satzung sowie den Beschlüssen der Mitgliederversammlung verrichtet hat. Es ist also das „Arbeitszeugnis“ der Mitgliederversammlung für den Vorstand im vergangenen Jahr, wobei auf zweierlei hinzuweisen ist:
Zum einen setzt die Entscheidung der Mitgliederversammlung, ob sie den Vorstand entlastet oder nicht, voraus, dass der Mitgliederversammlung vollständig und zutreffend/wahrheitsgemäß über die Arbeit des Vorstandes im vergangenen Kalenderjahr berichtet wird. Geschieht das nicht, umfasst die Entlastungsentscheidung nur diejenigen Punkte, die der Mitgliederversammlung beim Rechenschafts- und beim Kassenbericht mitgeteilt worden sind. Sie umfasst nicht die Tätigkeiten und Entscheidungen des Vorstandes, von denen die Mitgliederversammlung nichts erfährt, weil sie im Rechenschafts- und Kassenbericht nicht enthalten sind.
Risiko und Vertraulichkeit
Das ist natürlich ein Risiko für den Vorstand, welches umso größer ist, je weniger gründlich und vollständig der Rechenschafts- und der Kassenbericht des Vorstandes ist. Es ist deshalb auch sinnvoll, im Protokoll der Mitgliederversammlung über den Rechenschafts- und den Kassenbericht zu berichten; es ist empfehlenswert, jedenfalls den Kassenbericht den Mitgliedern nicht schriftlich zur Verfügung zu stellen, sondern diesen von der Kassierin/dem Schatzmeister berichten zu lassen und den schriftlichen Kassenbericht als Anlage zum Protokoll der Mitgliederversammlung zu nehmen. Gerade der Kassenbericht ist ein vertrauliches Papier, welches nicht außerhalb der Vertraulichkeit der Mitgliederversammlung kommuniziert werden sollte.
Zur Entlastungsentscheidung des Kassiers/der Schatzmeisterin gehört auch der vorher erstattete Bericht der Kassenprüfer:innen. Diese haben die Aufgabe – und das Recht –, die Arbeit des Vorstandes und insbesondere des Kassenprüfers/der Kassenprüferin im vergangenen Geschäftsjahr zu prüfen und dazu die Bücher des Vereins im weiteren Sinne einzusehen.
Die Kassenprüfer:innen sind das Kontrollorgan der Mitgliederversammlung zur Überprüfung des finanziellen und wirtschaftlichen Gebarens des Vorstandes und insbesondere des Kassiers/der Kassierin.
Vorstand nicht an Wahl der Kassenprüfer:innen beteiligt
Wichtig: Als Kontrollorgan der Mitgliederversammlung muss ihre Wahl auch ohne Mitwirkung der Vorstandsmitglieder erfolgen! Der/die Versammlungsleitende hat deshalb die Wahl der Kassenprüfer:innen aufzurufen, jedoch darauf zu achten, dass die Mitglieder des Vorstandes an der Wahl des/der Kassenprüfer:innen nicht mitwirken. Das wird häufig übersehen und falsch gemacht.
Die Entscheidung über die Entlastung des Vorstandes hat eine unmittelbar rechtliche Auswirkung: Durch die Entscheidung, den Vorstand zu entlasten, verzichtet die Mitgliederversammlung als oberstes Organ des Vereins auf die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen den Vorstand oder einzelne Vorstände auf Schadenersatz wegen Schlechterfüllung ihres Vorstandsamtes. Allerdings – s.o. – nur in dem Umfang, in welchem der Mitgliederversammlung auch über die Arbeit des Vorstandes und des Kassiers/der Schatzmeisterin berichtet worden ist.
Es liegt auf der Hand: Die Entscheidung der Mitgliederversammlung darüber, ob der Vorstand im vergangenen Jahr seine Arbeit gut und pflichtgetreu sowie gesetzes- und satzungsgemäß verrichtet hat, dürfen selbstverständlich die gewählten Vorstandsmitglieder nicht abstimmen. Ebenso wenig wie über die Wahl der Kassenprüfer, s.o.
So selbstverständlich und plausibel diese Feststellungen sind, so häufig werden sie doch in der Mitgliederversammlung von Vereinen missachtet oder übersehen. Deshalb der heutige „Reminder“ für die zu Beginn des neuen Jahres anstehenden Mitgliederversammlungen.
Keine Entlastung bei unwirksamer Mitgliederversammlung
Das Stimmverbot zu beachten muss auch im Interesse des Vorstandes selbst liegen. Wie gesagt: Eine Entscheidung der Mitgliederversammlung – wenn sie unter Mitwirkung der Vorstandsmitglieder zustande gekommen ist – ist unwirksam, löst also die Entlastungwirkung nicht aus, die der Entlastungsbeschluss dem Vorstand bringen soll.
Das Stimmverbot für den Vorstand ist in § 34 BGB geregelt. Diese Vorschrift ist zwingend für die Mitgliederversammlung, kann also nicht durch Satzungsregelung abgeschafft oder eingeschränkt werden. § 34 BGB ist also (über § 40 BGB) „zwingendes Recht“.
Übrigens: Diese Bestimmung verbietet nicht die Mitwirkung eines Vorstandsmitglieds an seiner eigenen Wahl, ebenso bei seiner Abwahl, seinem Vereinsausschluss oder einer ihn betreffenden Vereinsstrafe.
Übertragung des Stimmrechts
Das Stimmverbot gilt im Übrigen auch für Vorstandsmitglieder, die von dritten Personen (etwa aus dem eigenen Verein) eine Stimmrechtsübertragung erhalten haben. Es ist auch nicht zulässig, bei der Entlastungsentscheidung eine übertragene Stimme abzugeben. Es empfiehlt sich deshalb für den Fall der Zulässigkeit der Stimmrechtsübertragung nach der Satzung diesen Gesichtspunkt zu berücksichtigen und zumindest für die Entlastungsentscheidung und die Wahl des/der Kassenprüfer:innen die Stimme(n) an ein anderes Vereinsmitglied weiterzugeben. Das muss übrigens nicht ein Mitglied des eigenen Verbandes oder Vereins sein.
Übrigens: Die Entlastungswirkung tritt auch dann nicht ein, bzw. die Wahl des/der Kassenprüfer:innen ist auch dann nicht wirksam, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass die Entscheidung bzw. Wahl auch ohne Mitwirkung der Vorstandsmitglieder von den Mehrheitsverhältnissen her erfolgreich gewesen wäre.
Entlastungsantrag für einzelne Vorstandsmitglieder
Ein Hinweis zum Schluss: In aller Regel stellen die Versammlungsleitenden bei der Entlastungsentscheidung den Antrag, s ämtliche Vorstandsmitglieder gemeinsam zu entlasten. Es kommt nur selten vor, dass die Entlastung des Schatzmeisters/der Kassierin oder eines anderen Vorstandsmitglieds separat beantragt wird oder erfolgt. Es ist aber möglich, die Entlastungsentscheidung für jedes Vorstandsmitglied einzeln vorzunehmen. Dann gilt die Entlastungsentscheidung nur für dieses Vorstandsmitglied, und die anderen Vorstandsmitglieder sind bei dieser Entlastungsentscheidung nicht an der Stimmenabgabe gehindert. Sie stimmen dann nicht über ihre eigene Entlastung – zusammen mit der Entlastung der anderen – ab, sondern nur über die Entlastung eines bestimmten Vorstandsmitglieds. Der/die Versammlungsleiter:in kann dem Problem deshalb auch dadurch aus dem Wege gehen, dass er/sie die Entlastung jedes einzelnen Vorstandsmitglieds in der Mitgliederversammlung entscheiden lässt.
Der Antrag, aufgrund des Rechenschafts- und Kassenberichts den Vorstand zu entlasten, wird in aller Regel von einer Person außerhalb des Vorstandes gestellt, etwa dem ältesten Vereinsmitglied oder auch dem/der Bürgermeister:in, der/die als Gast an der Versammlung teilnimmt. Der Grund ist, dass auch der Antrag auf Entlastung nicht vom Vorstand gestellt werden sollte, über dessen Entlastung zu befinden ist, sondern von einer Person, die von dieser Entscheidung nicht betroffen ist.
Ein Letztes: Wenn eine Entlastungsentscheidung nicht erfolgt und deshalb die Schadenersatzansprüche des Vereins nicht durch die Entlastung untergehen, bedeutet das nicht, dass der nicht entlastete Vorstand zur Bezahlung von Schadenersatzleistungen verpflichtet ist. Es gilt nämlich auch hier für das Verhalten des Vorstandes § 31a BGB, der besagt, dass Vorstandsmitglieder nur dann in Haftung genommen werden können, wenn sie ihre Pflichten vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt haben.
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Dieser Beitrag gibt die Auffassung, Kenntnisse und Erfahrungen des Autors aus vielen Jahren Vereinsrechtpraxis wieder. Wir bitten dennoch um Verständnis, wenn im Hinblick auf die Vielfalt der individuellen Fallgestaltungen, die im Vereinsrecht vorkommen, eine Haftung für die gegebenen Auskünfte im Hinblick auf konkrete Einzelfälle nicht übernommen werden kann.