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SINGEN Juli / August 2025, Thema

Barrierefreiheit im Chor

Cornelia Härtl
1. Juli 2025
Titelbild: Barrierefreiheit im Chor ist mehr als ein stufenloser Zugang. Sie bedeutet, Strukturen zu schaffen, die allen das Mitsingen ermöglichen – mit offener Haltung, passenden Formaten und praktischen Lösungen.
Bild: Sora

Ist doch selbstverständlich – oder?

Die meisten Sänger:innen werden auf die Frage, ob Menschen mit einer Behinderung in ihrem Chor willkommen sind, wohl mit „Ja“ antworten – zumindest sollte das in einer aufgeklärten Gesellschaft wie der unseren so sein. Aber was tun wir aktiv dafür, dass Menschen mit Behinderung sich auch wirklich willkommen fühlen? Wie barrierefrei sind unsere Chöre tatsächlich? Und welche Hürden sind uns vielleicht gar nicht bewusst?

Die gesetzliche Definition von Barrierefreiheit in Deutschland findet sich in § 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG). Kurz zusammengefasst: Alle Menschen sollen die Möglichkeit haben, Angebote und Räume selbstständig, ohne zusätzliche Hilfe und ohne besondere Erschwernis nutzen zu können – und zwar so, wie es für die Allgemeinheit üblich ist. Laut Statistischem Bundesamt lebten Ende 2023 rund 7,9 Mio. Menschen mit schwerer Behinderung in Deutschland, also etwa 9,3 Prozent. Und viele Menschen mit Behinderung – ob sichtbar oder unsichtbar – singen durchaus gerne. Warum entsteht dann aber zumindest der Eindruck, dass wir in unseren Chören nur vereinzelt Menschen mit Behinderung haben?

Erste Anknüpfungspunkte

Zwar hört und liest man immer wieder von inklusiven Chor-Projekten (einige Beispiele haben wir auch im Artikel ab S. 10 zusammengetragen), diese sind aber eher die die Ausnahme als die Regel. Und eine große Schwierigkeit hierbei liegt darin, aus dem Projekt eine fixe Institution werden zu lassen. Aber warum eigentlich? Sind die Hürden (auf beiden Seiten) womöglich zu groß?

Viele Menschen mit Behinderung finden den Weg in einen Chor über bereits aktive Familienmitglieder – haben also schon Berührungspunkte. Obwohl spezifische quantitative Daten zur Rolle von Familienmitgliedern beim Zugang von Menschen mit Behinderung zu Chören fehlen, unterstreichen qualitative Studien und Praxisbeispiele ihre zentrale Bedeutung. Familienangehörige ebnen häufig den Weg in die Chorgemeinschaft. Das legt nahe, dass Chöre, die inklusiver werden möchten, gezielt auf Familien zugehen und sie in ihre Aktivitäten einbinden sollten.

Sollte es also tatsächlich Hürden geben, so scheinen diese durchaus überwindbar zu sein. Aber vielleicht sind sie uns nicht immer bewusst. Stellen wir uns also noch einmal ganz bewusst die Frage: Welche Aspekte sollten beim Thema Barrierefreiheit im Chor unbedingt mitgedacht werden?

Physische Barrierefreiheit

Der erste Gedanke beim Thema Barrierefreiheit richtet sich oft auf den Zugang zu Räumen: Sind Probenräume, Konzertstätten und Veranstaltungsorte stufenlos erreichbar? Gibt es barrierefreie Toiletten? Stehen Parkplätze für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen zur Verfügung? Diese Fragen bilden die Grundlage, um überhaupt eine Teilnahme zu ermöglichen. Viele Chöre proben in Kirchen, Gemeindezentren oder Schulen – Orte, die nicht immer barrierefrei gestaltet sind.

Schon eine einzige Stufe am Eingang kann für Rollstuhlfahrer:innen oder Menschen mit Rollatoren ein unüberwindbares Hindernis darstellen. Hier lohnt es sich, gemeinsam mit den Trägern der Gebäude Lösungen zu finden: mobile Rampen, alternative Eingänge oder ein klar gekennzeichneter barrierefreier Zugang können viel bewirken. Ebenso wichtig ist es, bei Konzertplanungen barrierefreie Veranstaltungsorte zu bevorzugen und frühzeitig über mögliche Einschränkungen zu informieren.

Kommunikative Barrierefreiheit

Barrieren bestehen nicht nur in der baulichen Umgebung, sondern auch in der Kommunikation. Ein Chor, der Menschen mit Einschränkungen einbeziehen möchte, sollte Informationen so aufbereiten, dass sie für alle verständlich und zugänglich sind. Dazu gehört die Verwendung klarer und einfacher Sprache in Einladungen, Probenplänen oder Aushängen. Manche Menschen profitieren von zusätzlichen visuellen Hilfen, etwa Piktogrammen oder farblichen Markierungen.

Auch digitale Barrierefreiheit ist ein wichtiges Thema: Ist die Chor-Website für Menschen mit Sehbehinderungen zugänglich? Gibt es auf Social-Media-Kanälen Bildbeschreibungen (Alt-Text) für Fotos? Können Probenpläne in einem barrierefreien Format (z. B. als PDF mit strukturierter Gliederung) verschickt werden?

Nicht zuletzt spielt die Kommunikation in der Probe eine Rolle: Für Menschen mit Hörbeeinträchtigungen können technische Hilfsmittel wie Höranlagen oder Mikrofone eine wertvolle Unterstützung sein. Dirigent:innen können ihre Anweisungen visuell verstärken – durch eindeutige Handzeichen, Blicke oder Bewegungen. So wird die Musik für alle erlebbar. Und dafür sind mit Sicherheit auch viele ältere Chormitglieder dankbar, die vielleicht offiziell keinen Behinderungsgrad haben, aber trotzdem schlechter hören.

Soziale Teilhabe

Barrierefreiheit ist mehr als bauliche Anpassung und technische Hilfen. Sie beginnt bei der Haltung: Fühlen sich alle willkommen, unabhängig von Einschränkungen oder besonderen Bedürfnissen? Gibt es im Chor eine Atmosphäre der Offenheit und Wertschätzung? Viele Menschen mit Behinderung erleben im Alltag Ausgrenzung oder Unsicherheit im Umgang mit ihren Bedürfnissen. Ein Chor kann hier bewusst ein Zeichen setzen – durch einen respektvollen, sensiblen Umgang miteinander, durch die Bereitschaft zuzuhören und gemeinsam Lösungen zu finden.

Oft hilft es schon, kleine organisatorische Anpassungen vorzunehmen: flexible Probenzeiten, kurze Pausen oder die Möglichkeit, bei Bedarf einzelne Proben zu verkürzen. Auch Patenschaften im Chor können helfen – erfahrene Mitglieder unterstützen Neuzugänge, erklären Abläufe oder begleiten zu Konzerten. So entstehen echte Verbindungen, die über die Musik hinausreichen.

Künstlerisch-pädagogische Ansätze

Inklusives Singen bedeutet auch, die musikalische Arbeit an die Bedürfnisse aller Teilnehmenden anzupassen. Dirigent:innen sind hier besonders gefragt: Welche Methoden und Materialien ermöglichen es allen, sich einzubringen? Manche Menschen profitieren von vereinfachten Notensätzen, andere lernen am besten durch Zuhören und Nachsingen. Visuelle oder kinästhetische Elemente – etwa durch Bewegungen, Farben oder Gegenstände – können helfen, musikalische Inhalte zu verankern.

Auch die Repertoireauswahl spielt eine Rolle: Sind die Stücke so gestaltet, dass sie auch von Sänger:innen mit kognitiven Einschränkungen oder geringen Notenkenntnissen mitgesungen werden können? Gibt es Arrangements, die verschiedene Schwierigkeitsgrade berücksichtigen? Ein inklusiver Chor berücksichtigt unterschiedliche Fähigkeiten und Ausdrucksformen – ohne dabei den musikalischen Anspruch zu verlieren. Entscheidend ist nicht die Perfektion, sondern das gemeinsame Erleben und Gestalten.

Organisatorische Voraussetzungen

Barrierefreiheit im Chor braucht Strukturen. Sie ist kein einmaliges Projekt, sondern ein fortlaufender Prozess, der in die Vereinsarbeit integriert werden sollte. Ein erster Schritt kann sein, das Thema Barrierefreiheit in die Satzung oder ins Leitbild des Chors aufzunehmen. So wird sichtbar: Wir möchten ein Chor für alle sein.

Darüber hinaus lohnt es sich, externe Unterstützung in Anspruch zu nehmen: Viele Organisationen – von der Lebenshilfe über Behindertenbeauftragte bis hin zu spezialisierten Fachstellen – bieten Beratung an. Auch Förderprogramme wie „Musik für alle!“ des Bundesmusikverbands Chor & Orchester können Chören helfen, inklusive Projekte umzusetzen, sei es durch finanzielle Mittel, durch Workshops oder durch Netzwerke. Barrierefreiheit bedeutet auch, Fördermöglichkeiten zu kennen und gezielt zu nutzen.

Ein wichtiger Aspekt ist die Sensibilisierung innerhalb des Chors: Workshops, Fortbildungen oder einfach Gespräche über Bedürfnisse und Möglichkeiten fördern das gegenseitige Verständnis und helfen, Hemmschwellen abzubauen. Barrierefreiheit entwickelt sich Schritt für Schritt – und jeder Chor kann seinen eigenen Weg gehen. Oft braucht es nur ein offenes Ohr, etwas Kreativität und die Bereitschaft, Dinge auszuprobieren.

Fazit

Barrierefreiheit bedeutet, dass alle Menschen gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können – unabhängig von ihren körperlichen, sensorischen, kognitiven oder psychischen Voraussetzungen. Übertragen auf die Chorarbeit bedeutet das: Barrierefreiheit ist weit mehr als nur der stufenlose Zugang zum Probenraum. Sie umfasst auch den Zugang zu Informationen, die Gestaltung von Proben und Konzerten, die Kommunikation untereinander und die Bereitschaft, individuelle Bedürfnisse wahrzunehmen und darauf einzugehen.

Ein barrierefreier Chor denkt von Anfang an inklusiv: Er schafft Strukturen, die es allen ermöglichen, sich einzubringen und wohlzufühlen – sei es durch räumliche Anpassungen, durch einfache Sprache, durch alternative Lernmethoden oder durch eine offene, wertschätzende Haltung. Barrierefreiheit ist ein Weg – kein Zustand. Sie beginnt mit dem Zuhören und dem Mut, Dinge anders zu gestalten. Barrierefreiheit im Chor ist keine Selbstverständlichkeit, aber sie ist machbar – und sie lohnt sich.

Chor, Engagement, Pädagogik
Barrierefreiheit im Chor
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