„… ein einmaliges Projekt sollte es sein … damals … in der Ortenau, Südbaden, von wo ORSO sich das erste ‚O‘ im Namen etliche Jahre ausgeliehen hat. Dem städtischen Gymnasium Ettenheim als Schulorchester entwachsen, veranstalteten wir 1993 die ersten Proben in Kippenheim als ‚RSO‘ (für Rocksymphonieorchester). In dem Dorf, in dem ich aufwuchs, ein absolutes Novum. ‚Ein Sinfonieorchester? Und die spielen Rockmusik?‘“ So blickt Wolfgang Roese, künstlerischer Leiter und Gründer von ORSO, das mittlerweile für „Orchestra & Choral Society“ steht, anlässlich des 30-jährigen Geburtstags seines „Babys“ auf die Anfänge zurück.
Seitdem liegen u. a. unzählige Auftritte im Freiburger Konzerthaus hinter den Musiker:innen, sie teilten die Bühne mit Montserrat Caballé, gastierten an verschiedenen Orten Berlins, wo sie in der Philharmonie mit 400 Chorist:innen Vaughan-Williams‘ „A Sea Symphony“ aufführten; sie reisten durch Mexiko und gehen immer wieder mit der „Rock Symphony Night“ auf Deutschland-Tour. Für Konzerte im Mai und Juni 2026 plant das Team um Roese wieder einen Abstecher zur Filmmusik: Derzeit tüfteln sie an Arrangements für „Soundtracks – Musik aus Kino, TV, Netflix & Co“.
Wie es begann
Als Musikstudent gründete Wolfgang Roese 1993 in der Ortenau ein Schüler- und Studentenorchester, das ein Jahr später um einen gemischten Chor ergänzt wurde. Weil schon damals Crossover den Kern des Repertoires bildete, nannte man sich „Ortenauer Rock-Symphony-Orchestra“. Nach seinem Kapellmeisterstudium an der Freiburger Musikhochschule gründete Wolfgang Roese 2004 das 90-köpfige Studentenorchester „ORSOphilharmonic“. Als 2006 „Die Schneekönigin“ mit großem Erfolg uraufgeführt wurde, trat er erstmals als Komponist in Erscheinung.
Hinter ORSO stehen gemeinnützige Vereine, die mit einer hauptamtlichen Geschäftsstelle, aber auch großem Ehrenamtsengagement das Imperium tragen. Der 1994 gegründete Freiburger Verein ist der älteste; infolge Roeses Umzug nach Berlin kam 2012 die Zweigstelle in der Hauptstadt hinzu, seit 2023 vervollständigt der Stuttgarter Verein das Trio, nachdem ein ORSO-Projektchor am dortigen Stage-Theater die Disney-Produktion „Der Glöckner von Notre Dame“ stemmte. Weil die damaligen Projektsänger:innen weiterhin Teil des ORSO-Universums bleiben wollten, gründete man den dritten Ortsverein.
Von Respighi bis Rammstein, von Strauss bis zu den Stones
In der Regel realisiert ORSO pro Jahr zwei große und ein kleines Programm. Bei großen sinfonischen Chorwerken wie „A Sea Symphony“ oder Mahlers 2. Sinfonie stehen weit über 100 Sänger:innen auf der Bühne, bei Crossover-Projekten ist der Chor auf rund 100 begrenzt, bei Kammerchor-Besetzungen auf 50.
Das aktuelle Programm bringt Komponisten, Interpret:innen und Künstler:innen unter einen Hut, die man andernorts nur selten in einer Reihe findet: unter ihnen Ottorino Respighi, Rammstein, Peter Fox, Beyoncé, Amy Winehouse, Benjamin Britten, David Bowie, Queen, Strauss, die Stones, Metallica und die Beatles.
ORSO selbst beschreibt es folgendermaßen: „So erklingen rein symphonische wie dramatische Passagen, im nächsten Moment rockt ein gewaltiges Orchester zusammen mit der Rockband dem Finale entgegen. Der Chor mutiert ganz plötzlich vom Rockensemble zum ergreifenden Opernchor, der über das Orchester strahlt, um am Ende wie ein Gospelchor in den Groove des Orchesters und der Band zu tauchen.“
2026 widmen sich Roese und Team wieder Highlights aus der Filmmusik, wenngleich der Dirigent, der auch außerhalb seiner eigenen Klangkörper Gastdirigate übernimmt, konstatiert, dass Chöre in Filmmusiken gar nicht so häufig vorkämen und Repertoire in diesem Genre eher schwierig zu finden sei. Bereits in den letzten Jahren erklang mehrfach der Bewegtbild-Sound in den Programmen „Filmmusik aus rund 100 Jahren zwischen Berlin und Hollywood“ und „Hooray for Hollywood“. Letzteres markierte als erstes Konzert nach der Pandemie 2022 ORSOs umjubelte Rückkehr auf die Bühnen.
60.000 bis 100.000 Euro Kosten pro Konzert
Die ORSO-Orchester vereinen Berufs- mit Hobbymusiker:innen und Musikstudent:innen. Die Chorist:innen sind hingegen Amateur:innen. Die größten Ausgaben verzeichnen die Vereine daher durch Saalmieten, die Honorare für die Profis im Orchester und die GEMA. Als Einnahmen verbuchen sie die Eintrittsgelder zu den Konzerten sowie die Mitgliedsbeiträge, stellenweise Fördergelder, dazu Hilfen des Berliner Chorverbandes. Seit ORSO 2023 infolge eines einzigen Abends 7.000 Euro GEMA-Gebühren verursacht und damit den Fördertopf gesprengt hat, wurde die finanzielle Unterstützung umstrukturiert und verringert, ORSOs Aufwendungen aber bleiben. 60.000 bis 100.000 Euro kostet ein Abend. „Wir müssen ausverkauft sein“, macht Wolfgang Roese deutlich.
Fehlende Gelder kompensieren sie u. a. durch Digitalisierung: Anstelle Nutzungsgebühren für Organisationstools zu bezahlen, hat Roese – in der Corona-Zwangspause zum IT-ler geworden – eine eigene Software entwickelt und programmiert. Als Glücksfall erwies sich auch das Mammutprojekt „Der Glöckner von Notre-Dame“, für dessen Einsatz im Stuttgarter Apollo-Theater 280 Amateur-Sängerinnen gecastet wurden. „600 Shows für Disney haben uns saniert“, gibt Roese zu.
Regelmäßige Proben plus Selbststudium
Die Proben finden normalerweise alle zwei Wochen statt, dafür reist Roese von Berlin aus nach Süddeutschland – mittwochs leitet er die Proben in Freiburg, donnerstags in Stuttgart. Hinzu kommen extra Probentage oder -wochenenden. Und wie überall sei die Probenzeit natürlich unzureichend, bilanziert der studierte Kapellmeister mit einem Lachen in der Stimme. Da sei Eigeninitiative gefragt. Angekurbelt werde die Motivation zum Selbststudium durch Online-Übe-Files.
Stimmlich anspruchsvoll: von Heavy Metal bis Opernchor
Die „Rock Symphony Night“, das Herzstück von ORSO, bezeichnet Roese als die Kür für alle Mitwirkenden. Stimmlich sei es das Anspruchsvollste, was den Chorist:innen, die zwischen 16 und 80 Jahre alt sind, abverlangt werde: Sie müssen technisch nicht nur verschiedene Stile draufhaben, sondern auch in Windeseile den Schalter von Heavy Metal zum Opernchor umlegen: Da ist eine sogenannte complete vocal technique erforderlich.
Wo sie die herbekommen? „Üben, üben, üben“, sagt Roese. Alle seien angehalten, sich um ihre Stimme zu kümmern, die meisten nähmen privaten Stimmbildungs- und Gesangsunterricht, einige Workshopangebote biete der Verein an, darunter auch Stimmbildungseinheiten mit Profi-Vocalcoaches während der Probenphasen. „Den Rest trichtere ich ihnen ein“, sagt Roese lachend.
Chorerfahrung sei erforderlich. „Wir haben kein krasses System“, sagt er mit Blick auf die Auswahl. Mundpropaganda sei die größte Quelle neuer Mitglieder. Mittels Schnupperproben wird ausgelotet, ob es passt: stimmlich und menschlich. Dann folgt ein Vorsingen. „Bei den Frauen sind wir etwas strenger“, sagt Roese und bestätigt: Auch bei ORSO ist es wie überall: Rar sind, wenn, dann Männerstimmen.
Matratzenlager in der Geschäftsstelle
Professionelle Ausstrahlung und eine gewichtige Wirkung nach innen und außen haben oft Details, die zunächst vielleicht nebensächlich erscheinen. Bei ORSO wird aber z. B. auch in Bezug auf Aufstellung und Bühnenpräsenz nichts dem Zufall überlassen. Wie der Chor auf die Bühne geht und wie er steht, folgt einem ausgeklügelten System: „Ein Team aus zwei bis drei Personen sitzt vor jedem Konzert zusammen und überlegt, wer an welcher Position stehen soll. Dabei werden verschiedene Punkte berücksichtigt. Wichtig sind z. B. die Bühnenpräsenz, gerade bei Rock Symphony, die Sicherheit bei den Bewegungen, denn wer neu ist und das erste oder zweite Mal mitsingt, freut sich über die Sicherheit der Chorist:innen in der ersten Reihe, denn die erste Reihe hat niemanden zum Spicken“, erläutert Laura Sohn, die als Sopran, DanceCaptain, Notenwartin und im Chormanagement aktiv ist.
Natürlich achte man auf die Vorlieben der Chorist:innen. Zudem sei es vonnöten, eine ausgewogene Mischung an Neulingen und Erfahrenen zu finden, „weil wir auswendig singen und vieles aus tradiertem Wissen besteht und so nicht in den Noten steht.“
Und selten treten die Chöre getrennt voneinander auf. Normalerweise verstärkten immer einige Sänger:innen der anderen beiden Chöre. Roeses Aussage nach sind insbesondere die Stuttgarter sehr reisefreudig – übrigens auf eigene Kosten. Wer sich dann kein Hotel leisten kann oder möchte, hat seinen Schlafsack dabei: „Da gibt’s dann ein Matratzenlager in der Berliner Geschäftsstelle.“
Gaffa-Tape für die Orientierung
Für umfangreichere Choreografien einzelner Chorist:innen werden extra Proben angesetzt. Entwickelt und einstudiert werden diese durch die DanceCaptains, etwa ein Dutzend Aktive. „Oftmals entstehen die Choreos über mehrere Wochen und die endgültige Fassung erst am Probenwochenende, also genau eine Woche vor dem großen Auftritt, da ist Flexibilität gefragt“, erzählt Laura Sohn und fügt an: „Damit der Chor seine richtige Position findet und jeder Chorist perfekt ausgerichtet an der ihm zugewiesenen Stelle steht, arbeiten wir mit Gaffa-Tape, zur Vorbereitung werden ganz viele Streifen erstmal an den Bühnenrand geklebt.“
„Hier gehöre ich hin“
Was seine überwiegend ehrenamtlich Mitwirkenden motiviert? „Es braucht ein tolles Projekt“, antwortet Roese flott und simpel, „wenn es nicht zündet, kann man zaubern, wie man will, dann wird es nichts. Man braucht Leute, die dafür brennen, einen langen Atem und Nerven wie Drahtseile.“ Und einen künstlerischen Leiter, der die Menschen begeistern kann. Iris Ehret, von Anfang an als Sopran dabei, erinnert sich: „Er ist nicht nur Gründer, sondern auch Dirigent und Herz des Ensembles. Sein Temperament, sein Wissen und Können, seine Leidenschaft und Energie waren und sind überwältigend. Schon nach dieser ersten Probe wusste ich: Hier gehöre ich hin.“
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