Ehrenpräsident Dr. Lorenz Menz über Vergangenheit und Zukunft im SCV
Zunächst wünsche ich allen Leserinnen und Lesern ein gutes Jahr 2024! Wir haben das Glück, in Frieden und Freiheit leben zu dürfen – ein hohes Gut im Blick auf die Krisen- und Kriegsherde auf unserem Planeten. Uns allen wünsche ich, dass wir in diesem Jubiläumsjahr des SCV vielfach landauf, landab erfahren, welchen Reichtum wir damit haben, dass es den SCV gibt! Es ist diese große Chorfamilie, die sich auch nach 175 Jahren jung, schwungvoll, ideenreich und fröhlich präsentiert. Das ist ein guter Grund, ein Jahr lang und mit vielfältigen Projekten dieses Jubiläum zu feiern.
Chöre als Heimat für alle
Unsere Chöre sind aus dem Alltagsleben unserer Dörfer und Städte nicht weg zu denken. Ihnen verdanken wir festliche Stunden. So ist an vielen Orten eine Chorfamilie gewachsen, in der jüngere und ältere Menschen ihren Platz haben. Es ist eine Gemeinschaft, in der sich jede und jeder entfalten kann – ohne Rücksicht auf Geschlecht, Herkommen, Religion oder Wohlstand. Hier zählt der Mensch und seine Begeisterung, gemeinsam mit anderen zu singen. Da kann man sich wohl fühlen. Was unsere Chöre bieten, ist, so scheint es mir, ein probates Gegenmittel gegen unmenschliche Trends unserer Zeit, in der Vereinzelung wächst und das Nebeneinander – leider oft auch das Gegeneinander – im Vormarsch sind.
Viele suchen nach Sinn und Erfüllung. Vor diesem Hintergrund ist der SCV, der die Vielfalt unserer Chöre umschließt, aktueller denn je zuvor. Dass unser Land eine so lebendige Chorlandschaft seit Generationen hat, ist nicht vom Himmel gefallen. Es ist eine bewundernswerte Gemeinschaftsleistung vieler auf allen Ebenen, vom Chor an der Basis, dort, wo der Humus für Chöre ist, über die regionalen Gliederungen bis zum Landesverband. Alle brauchen einander, müssen sich ergänzen und zusammenhalten. Nur wenn die Kräfte arbeitsteilig gebündelt werden, entsteht eine kraftvolle Vielfalt in der Chorlandschaft.
Hätten nicht weitsichtige Männer vor 175 Jahren den Grundstein zum SCV gelegt: Wir müssten es heute tun. Schon damals haben, davon bin ich überzeugt, die Frauen im Hintergrund entscheidend mitgewirkt. Schon zu Beginn stand die Überzeugung, dass die Chöre eine Organisation brauchen, die den örtlichen Bereich übersteigt und den Chören auch die politische Relevanz in der Gesellschaft gibt, die sie brauchen und verdienen.
Zahlreiche Herausforderungen
Schon immer sind die Chöre eingebunden in den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Wandel. Aber diese Veränderungen waren wohl noch nie so nachhaltig und mit sich beschleunigendem Tempo spürbar wie in den vergangenen Jahrzehnten. Die Mobilität der Menschen, die Alterung der Gesellschaft, die Unlust, sich langfristig zu binden, die Konkurrenz der Medienangebote und die finanziellen sowie personellen Engpässe sind zentrale Herausforderungen, denen sich die ganze Chorbewegung gegenüber sieht. Hinzu kommt eine zunehmende Bürokratisierung, die manche:n davon abhält, eine Vorstandsposition zu übernehmen. Zum Beginn des Jubiläumsjahres möchte ich mit großem Respekt feststellen, dass sich der SCV diesen Herausforderungen gestellt hat. Er hat nicht weggesehen, sondern zugepackt, um die Probleme in Chancen umzuwandeln. Es ist ein erfinderischer Lernprozess in Gang gekommen, der die Chorfamilie auf allen Ebenen zukunftsfähig macht.
Qualität ist die beste Werbung
Ich will nicht übersehen, dass dieser Prozess auch schmerzhaft ist. Jeder Chor, der nicht mehr weiter machen kann, ist ein Riesenverlust. Aber es gibt zum Glück die vielen erfreulichen Ansätze, die in die Zukunft weisen. Ich nenne nur beispielhaft die vielen jungen Chöre, die Projektchöre auf hohem Niveau, die Kinder- und Jugendchöre. Die Vielfalt der Angebote wird auch künftig ein Markenzeichen des SCV sein. Diese Vielfalt wird ergänzt durch ein Angebot an Fort- und Weiterbildung, das nicht besser sein könnte. Das sichert Qualität. Und Qualität ist auch in der Welt der Chöre die beste Werbung!
Entscheidend für die Zukunftssicherung sind Schlüsselworte wie Zusammenarbeit und Zusammenhalt. Da ist der SCV auf gutem Weg. Nach meiner Beobachtung hat er eine gute Dialogkultur entwickelt, die alle einbindet. Da wird gemeinsam beraten und nach Lösungen gesucht. Da ist die Dienstleistung des SCV immer weiter ausgebaut worden, um den Chören und regionalen Verbänden Unterstützung und Entlastung anzubieten. Man kann es auch anders sagen: Der SCV kann eine beeindruckende Jubiläumsbilanz aufweisen, zu der ich herzlich gratuliere. Bei allen Veränderungen bleibt es aber dabei: Der größte Reichtum im SCV sind die Menschen im Ehrenamt und im Hauptamt, die sich mit ihrer jeweiligen Kompetenz und mit ihrer Begeisterung einbringen. Ihnen gilt im Jubiläumsjahr mein herzlicher Dank.
Chöre als Vorbilder für bürgerschaftliches Engagement
Ich danke den vielen Frauen und Männern, die aus freien Stücken die kostbare Freizeit für Chorproben und die Vorbereitung von Festen opfern. Ich danke allen, die an der Basis und in den Chorverbänden bereit sind, Führungsverantwortung zu übernehmen. Unsere Chöre sind und bleiben leuchtende Vorbilder für praktiziertes bürgerschaftliches Engagement, bei dem jeder und jede auch an die anderen denkt und für sie handelt. So entsteht in der Gesellschaft ein Klima, in dem man sich wohlfühlen kann. Ehrenamtliche haben vor 175 Jahren den Anfang gewagt. Das Ehrenamt attraktiv zu halten, ist eine unserer Kernaufgaben auch im SCV. Danken möchte ich auch allen Hauptamtlichen, von den Dirigentinnen und Dirigenten bis zum engagierten Team in unserer Geschäftsstelle unter Leitung von Johannes Pfeffer, dem sympathischen Eigengewächs des Chorverbandes, den ich schon in seiner Zeit als Zivi erleben durfte. Ehrenamt ist heute mehr denn je auf das Hauptamt angewiesen. Wir können dankbar sein, eine leistungsstarke und einsatzbereite Geschäftsstelle zu haben. Was für ein Glück, dass sie in Plochingen so modern untergebracht ist!
Nicht zuletzt danke ich unserem Präsidium und unserem Präsidenten, die die Gesamtverantwortung tragen. Es ist ein Glücksfall, an der Spitze des SCV Dr. Jörg Schmidt zu haben, einen Mann mit Sachverstand, Einsatzbereitschaft und zugleich mit großer Sensibilität für die Sorgen und Nöte der Basis. Einer, der den Kontakt mit der Politik pflegt und der den SCV überregional einbringt in die Kooperation mit anderen Chor- und Musikverbänden. Ein so starker Verband wie der SCV hat das Recht, ja die Pflicht, überregional mitzumischen. Und das tut unser Präsident.
Am Anfang des Jubiläumsjahres denke ich dankbar auch an die vielen, die zu meiner Zeit den SCV mitgeformt haben. Zum Glück leben noch viele, denen zu begegnen mir Freude macht. Viele haben diese Erde schon verlassen. Stellvertretend für sie erinnere ich an den unvergessenen Präsidenten Prof. Dr. Balle, dessen Amt ich vor fast einem Vierteljahrhundert für ein Jahrzehnt übernehmen durfte. Es waren gute Jahre im SCV, für die ich dankbar bin.
Investition in die Menschlichkeit
Das Jubiläumsjahr, das ist mein Wunsch, möge unseren Chören bewusst machen, welchen Reichtum sie für unser Leben sind. Das Jahr möge ein Signal sein in die Öffentlichkeit hinein, dass jede Förderung der Chöre eine nachhaltige Investition nicht nur in ein kulturelles Projekt, sondern in die Menschlichkeit unserer Welt ist. Ich komme sehr oft in ein Senioren- und Pflegeheim. Eine Beobachtung beeindruckt mich immer wieder neu: Da sitzen alte Menschen im Kreis beieinander und singen. Und es geht ein Strahlen über ihr Gesicht, weil sie ein Lied aus alter Zeit anrührt. Und selbst dort, wo Demenz die Worte blockiert, löst das Singen ein Mitsummen und ein Lächeln aus. Gibt es heute etwas Schöneres und Heilsameres als zum Lächeln zu verhelfen? Und das kann der SCV in vielfacher Weise.
Dem Jubiläumsjahr wünsche ich einen guten Verlauf. Allen danke ich, die dieses Jahr vorbereitet haben und es gestalten. Es soll ein Höhepunkt in der spannenden Geschichte des SCV werden. Es ist für uns Auftrag und Chance zugleich!
Dr. Lorenz Menz
Ehrenpräsident des SCV
Präsident a.D. (2000-2010)