Über Stimmbildung in den Chorleitungsausbildungen des SCV
„Der Chorleiter ist der Gesangslehrer des Chores“, pflegt der Professor Jörg Breiding zu sagen. In Amateurchören bekommen die allermeisten Sänger:innen keinen Gesangsunterricht außerhalb der Chorprobe. Das ist ein großer Unterschied zu Orchestern, in denen die meisten bereits Instrumentalunterricht hatten oder noch haben. Daraus resultiert eine Verantwortung für den/die Chorleiter:in, aber auch eine Chance, jeden einzelnen und auch die Gruppe zur eigenen Stimme zu führen. In den Chorleitungsausbildungen des Schwäbischen Chorverbandes nimmt Stimmbildung einen wichtigen Platz ein. Die SINGEN hat darüber mit den Dozent:innen Anne Regina Sieber und Nikolai Ott (C-Ausbildung), Martin Chrost (Kinderchorausbildung KC3) und Sascha Rieger (Popchorausbildung) gesprochen.
Stimmbildung in der C-Ausbildung
„In der C2-Ausbildung beginnt jeder Tag zunächst mit circa einer Stunde chorischer Stimmbildung. Hier werden die Themen Atmung, Atemstütze, Stimmsitz, Resonanz etc. erklärt und Methoden aufgezeigt, wie dies mit den Chören geübt werden kann“, berichtet Anne Regina Sieber, verantwortlich für die Stimmbildung in den Ausbildungen C1 und C2. Ihre Methode basiert auf der natürlichen Eigenschaft des Singens: Sie lässt gerne die Teilnehmenden selbst beobachten und herausfinden, wie der Körper und damit auch die Stimme bei bestimmten Emotionen agieren bzw. reagieren. Denn das Erlernte werde besser verstanden und eingeprägt, wenn es selbst entdeckt und gefühlt werde: Was passiert zum Beispiel „beim Lachen? (das Zwerchfell federt), beim Schimpfen? (bei Worten, die betont werden, spannt sich das Zwerchfell), bei einer arroganten Haltung? (gute Körperspannung – weniger Luft in der Stimme), beim Inhalieren wohlriechender Düfte? (hilft, die Kopfresonanzen zu finden)“. Erst dann würden spezifische Übungen vorgestellt und ausprobiert, die in einer aufbauenden Reihenfolge ein gutes Einsingen für den Chor bilden, erklärt Sieber.
Während des Dirigierkurses finden stimmbildnerische Tipps auch ihren Platz, denn Stimmbildung ist mit dem Abhalten einer Chorprobe eng verknüpft. Der/Die Chorleitende könnte und sollte während der Probe an das Einsingen erinnern und das Erlernte festigen. „Viele Sänger:innen und auch viele Chorleiter:innen denken, das Einsingen sei bloß da, um die Stimme aufzuwärmen. Dabei ist es auch ein wichtiges Training, das zu den Fortschritten des ganzen Chores beiträgt“, verdeutlicht Nikolai Ott, C-Ausbilder und Musikdirektor des SCV. Die Gestik des Chorleiters oder der Chorleiterin könne übrigens die Stimmgebung der Chorsänger:innen auch stark beeinflussen – Farbe, Resonanz, Register-, Vokalausgleich und vieles mehr. Darum ist sowohl die Kenntnis der Stimmphysiologie als auch die Erfahrung der eigenen Stimme und die Vorstellung des erwünschten Gruppenklanges wichtig.
Die Stimmbildung der Teilnehmenden wird durch Einzelunterricht gefördert (rund 30 Minuten an jedem Ausbildungstag). In diesen Einheiten kann der/die angehende Chorleiter:in seine/ihre Stimme besser kennenlernen und an Stimmgebung, musikalischer Interpretation und Aussprache arbeiten. Der Unterricht bereitet auch auf die Gesangsprüfung vor, die zu den Ausbildungen gehört. Die C3-Teilnehmenden bekommen außerdem Unterricht in den Fächern Stimmphysiologie und Phonetik.
Am letzten Tag der Ausbildung wird eine Stimmbildungseinheit zur Arbeit mit Kindern vorgestellt. Anne Regina Sieber: „Dazu gibt es eine Stimmbildungsgeschichte, in der viele Elemente der Stimmbildung spielerisch erlernt werden.“
Heterogenität in der teilnehmenden Gruppe
Die Teilnehmenden der C-Ausbildungen haben unterschiedliche Hintergründe. Manche lernen die Arbeit an der Stimme erst kennen, manche arbeiten seit mehreren Jahren mit kleinen Gruppen, andere sind Berufssänger:innen. Für jeden ist hier etwas dabei: „Auch ein:e Sänger:in, der/die bisher keinen Gesangsunterricht hatte, kann in den fünf Stimmbildungseinheiten der C2-Ausbildung viel lernen und eine gute Gesangsnote bekommen, wenn er/sie eine saubere Tongebung hat und im Vortrag Musikalität zeigt“, sagt Stimmbildnerin Anne Regina Sieber. Und selbst wenn der/die Chorleiter:in der/die Gesangslehrer:in der Gruppe ist, seien die Methoden dieses „Gruppenunterrichts“ doch anders als die des Einzelunterrichts im Fach Gesang, so dass auch ausgebildete Solosänger:innen für ihre zukünftige Tätigkeit als Chorleiter:innen viel von der chorischen Stimmbildung lernen könnten.
Amateurchöre vs. Profichöre
Oft stellen sich Amateurchorsänger:innen die Frage: Wie laufen Einsingen und chorische Stimmbildung im Profichor? Die Frage nach dem Einsingen lässt sich einfach beantworten: meistens gar nicht. Berufssänger:innen kommen in der Regel eingesungen zur Probe. Stimmbildung in dem Sinne gibt es auch nicht, denn die Stimmen sind ja bereits „gebildet“. Was definitiv stattfindet und im Profichor besonders wichtig ist, ist die Arbeit in einem homogenen Chorklang. Dazu gehören u.a. einheitliche Vokale, eine bestimmte Klangfarbe – passend zum Stück oder zu einer bestimmten Passage – und abgestimmte Obertöne. Um diese Ziele zu erreichen, kann der/die Chorleiter:in passende Übungen vorschlagen. Insgesamt haben Berufschöre andere Herausforderungen: Die Mitglieder kommen mit einer ausgebildeten Stimme und einem individuellen Timbre. Ziel der Probe ist, neben der Einstudierung der Stücke, diese bereits erfahreneren Individuen klanglich zusammen zu bringen. Insofern haben es manche Amateurchöre leichter, da sich die Stimmen noch in der Ausbildung befinden und sich die Sänger:innen gemeinsam auf den Weg machen.
Besonderheiten in der Popchorleitungsausbildung PC3
Im Jahr 2024 entsteht eine spezielle Ausbildung für die Leiter:innen von Popchören. Die Ausbildung beinhaltet den Unterrichtsbereich „Stimme und Sprache“, in dem neben der Lehre der Anatomie und der Funktionsweise der Singstimme auch „Pop-Phrasing und Aussprache unter Beachtung genrespezifischer Besonderheiten“ gelehrt wird. Die Stimme in der Popmusik ist zwar grundsätzlich das gleiche Instrument wie in klassischen Chören, doch die „Spielweise“ ist eine andere. Dem Leiter der Popchorleitungsausbildung im SCV, Sascha Rieger, ist besonders wichtig, dass die Teilnehmenden das Erlernte nicht nur verstehen, sondern auch durch aktives Singen am eigenen Körper wahrnehmen und erläutert: „Die Teilnehmenden bilden den Übe-Chor. Dadurch gibt es viel Raum zum Singen und Spüren, aber auch zum Anleiten. Denn eine zeitgemäße Pädagogik setzt darauf, dass die Teilnehmenden ihre Erfahrungen mit einbringen und hiervon mehrfach profitieren können: als Anleitende:r, durch Ausprobieren und Optimieren der eigenen Anweisungen, als Teilnehmer:in, durch Kennenlernen einer Fülle von Übungen der anderen und als Sänger:in, durch das eigene Wahrnehmen, wie diese Übungen auf einen selbst wirken.“
Voraussetzung für die Teilnahme an der Popchorleitungsausbildung PC3 ist eine abgeschlossene Chorleitungsausbildung C2 oder vergleichbare Vorkenntnisse. Nach Abschluss der PC3 können die Teilnehmenden nach Auskunft von Sascha Rieger „selbständig Warm-Up-Sequenzen erstellen, die an den jeweiligen Anlass angepasst sind; sie verfügen über einen großen Fundus an Übungen und Liedern für verschiedene stimmbildnerische Themen, sie haben unterschiedliche Lerntypen kennengelernt und können diese Werkzeuge auch so zusammenstellen, dass es sowohl genügend Wiederholung als auch ausreichend Abwechselung gibt.“ Außerdem könnten sie in einer Probe kurzfristig auf schwierige Stellen in den Werken reagieren und ihren Chorsänger:innen passende Übungen anbieten.
Dieser Punkt sei besonders wichtig, wenn es um chorische Stimmbildung geht: Nicht nur das Einsingen gehöre zur Stimmbildung des Chores, sondern auch das stimmlische Begleiten der Repertoireerarbeitung, sagt Rieger. Übungen am Anfang der Probe machten erst langfristig Sinn, wenn diese bei einer bestimmten schwierigen Stelle wieder „ausgepackt“ würden; einerseits spürten die Sänger:innen, warum die Übung gut war, anderseits wenden sie das Erlernte direkt am Stück an – und idealerweise auch bei weiteren Stücken, wenn die Schwierigkeit wieder auftaucht. So begleite der Chorleiter/die Chorleiterin den Chor und bildet nicht nur den Gruppenklang, sondern auch die Stimmen weiter.
Spezialfall Kinderchorleitung
Für die Leitung von Kinderchören bietet der Schwäbische Chorverband die Ausbildung KC3 an. Neben der Kinderchorleitung werden auch Fächer wie Repertoirekunde, Musiktheorie, Stimmphysiologie und Gesang unterrichtet. Entscheidend für die Teilnahme an dieser Ausbildung ist eine gesunde Sprech- und Singstimme, denn Kinder lernen – bereits von der Geburt an – hauptsächlich über das Nachahmen ihrer Mitmenschen. So auch das Singen. Deshalb „hat die Stimmbildung im Kinderchorleitungslehrgang einen enormen Stellenwert“, betont Martin Chrost, stellvertretender Musikdirektor der Chorjugend im SCV sowie Lehrgangsleiter und Dozent der Kinderchorleitungsausbildung KC3. Im Gesangsunterricht, den alle Teilnehmenden einzeln bekommen, werden neben Übungen und Kunstliedern auch Kinderlieder erarbeitet. Ziel davon sei nicht nur, diese Lieder schön vorzutragen und ein gesundes und schönes klangliches Vorbild für die Kinder zu sein, sondern auch dieses Repertoire so zu verinnerlichen, dass eine Vorstellung des künstlerischen Ergebnisses entstehen und vermittelt werden könne. Bei der Literatursuche muss die Besonderheit der Kinderstimme berücksichtigt werden: „Noch viel mehr als die Erwachsenenstimme befindet sich die Kinderstimme dauerhaft in einer Entwicklung“, so Martin Chrost. Bei der Ausbildung werde mit einem Kinderchor gearbeitet. So könne das Gehör trainiert werden: Worauf muss der Leitende bei den Stimmen der Kinder aufpassen? Welche stimmbildnerischen Übungen stehen zur Verfügung, um das erwünschte Klangergebnis zu erzielen? Diese und weitere Fragen können die Absolvent:innen der Kinderchorleitungsausbildung KC3 beantworten.
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