Aspekte von Kommunikation als Angelpunkt eines harmonischen Chorgefüges
Viele Chöre sehen sich mit der Aufgabe konfrontiert, aktiv neue Mitglieder zu werben, sowohl im Jugend- als auch im Erwachsenenbereich. Die nicht nur daraus resultierende Herausforderung ist, Mitglieder auch zu halten. Beides erfordert Maßnahmen, Vorgehens- und Verhaltensweisen, die einladend, konstruktiv, Zusammenhalt stärkend und motivierend sind. Vieles davon hängt unmittelbar mit Kommunikation zusammen, als einem Aspekt von Führungsstil seitens der Vereinsverantwortlichen, aber auch untereinander. Sowohl intern als auch im Kontakt nach außen. Die SINGEN hat mit der Stuttgarter Mediatorin Regina Ritter und Theo Strauch, systemischem Coach und Supervisor, gesprochen und sie zu verschiedenen Aspekten von Kommunikation in Vereinen befragt. Dabei ging es u.a. um die allgemeine Kultur des Austauschs und des Informationsflusses innerhalb eines Vereins; die Expert:innen machten aber auch Vorschläge für Vorgehensweisen bei chorspezifischen Herausforderungen.
Interview Regina Ritter
Welchen Stellenwert hat Kommunikation aus Ihrer Sicht in der Vereinsarbeit?
Kommunikation ist – egal, ob im Arbeitsleben, in der Familie oder im Verein – etwas ganz Wesentliches. Es ist das menschliche, verbindende Element zwischen uns. Mit Blick auf Mitgliedergewinnung ist es in der Kommunikation elementar zu definieren: ‚Was ist das Wesentliche meines Chores? Wie sind wir unterwegs?‘ Ich glaube, es ist wichtig, einem neuen Mitglied klar zu machen, wie professionell oder wie hobbymäßig man singen will, damit für das neue Mitglied Klarheit herrscht: ‚Auf was lasse ich mich ein? Passt das zu meinen Vorstellungen und zu meinem Anspruch?‘ Da werden sich oft grundsätzlich zu wenige Gedanken gemacht.
Ein Verein sollte sich also zuerst selbst analysieren…
Unbedingt. Als Verein sollte man sich erstmal klar werden: ‚Was sind unsere Ziele? Was macht uns aus? Welchen Kurs wollen wir einschlagen?‘ Ist das nicht der Fall, kann man weder eine Chorleiter:innensuche noch eine Mitgliedersuche sinnvoll beginnen.
Welche Aspekte sind hinsichtlich Form und Durchführung von Kommunikation unverzichtbar?
Klarheit in der Kommunikation ist das Hilfreichste, was man bekommen kann. Die fängt bei mir selbst an: ‚Wen suche ich? Wie viele neue Mitglieder sollen es sein? Wo will ich hin mit meinem Chor?‘ Mir geht es da auch gar nicht darum, dass man riesig lange Zeitspannen im Blick hat. Ich glaube, es genügt, wenn man alle zwei, drei Jahre mal draufguckt und sich fragt: ‚Passt das noch, wie wir unterwegs sind oder hat sich etwas verändert?‘ Eine lange Linie vor sich zu sehen, passt meines Erachtens nicht mehr in unsere Zeit und darein, wie wir agieren und als Menschen unterwegs sind. Es ist eine Überforderung, wenn wir glauben, wir können so lange Zeitspannen vorausdenken. Wir müssen als Vereinsverantwortliche ein bisschen genügsamer mit der Zeitspanne sein.
Das hört sich so an, als trifft das auf jeden Verein bzw. ehrenamtlich organisierte Gruppierung zu. Gibt es Besonderheiten bei Chören?
Ich arbeite sowohl mit Chören als auch anderen ehrenamtlichen Organisationen. Ich muss da oft schmunzeln, denn es sind immer wieder die gleichen Themen und Herausforderungen, wenn das Ehrenamt zusammenkommt, an was es hängt bzw. was es braucht. Die Unterschiede sind – was das grundsätzliche Miteinander betrifft – nicht allzu groß.
In einem Chor sind viele Menschen ehrenamtlich engagiert, unter denen es außerhalb des Chores keine Hierarchie gäbe. Im Verein gibt es aufgrund der Unterschiede – weil jemand zum Beispiel eine Leitungsposition innehat – zahlreiche „Gelegenheiten“, wo Kommunikation gelingen, aber auch schiefgehen kann. Welche Fehler können passieren bzw. was kann getan werden, um sie zu verhindern?
Was gerne passiert, ist, dass wir – vor allem, wenn wir unsere Struktur gut kennen, weil wir lange im Verein sind – davon ausgehen: ‚Das ist ja klar!‘ Aber für viele neue Mitglieder sind manche Dinge überhaupt nicht klar. Wenn wir neue Mitglieder mit in den Chor nehmen, müssen wir genau schauen, was wir zwar voraussetzen, aber nicht voraussetzen dürfen. Dinge, die für uns selbstverständlich sind – wo man Informationen findet, wann Treffen stattfinden, wie der Chor organisiert ist – dürfen wir nicht voraussetzen, sondern müssen uns in einen Neuen hineinversetzen und uns fragen: ‚Was würde ich jetzt brauchen, um mich in diesem neuen Chor zu orientieren?‘ Den Vereinsverantwortlichen möchte ich auf den Weg geben, dass sie das „Onboarding“ so professionell wie in Unternehmen gestalten, damit sich das neue Mitglied gut zurechtfinden kann.
Wie sollte man das praktisch umsetzen?
Wenn wir die Vielzahl an verschiedenen Chören im Schwäbischen Chorverband anschauen, kriegen wir es nicht hin, eine grundsätzliche Aussage über die Art der Kommunikation zu machen; es gibt kein allgemeines Kochrezept. Das Wesentliche ist, dass die Verantwortlichen schauen: ‚Wen habe ich vor mir und was braucht derjenige?‘ Wenn das jemand sehr Technikaffines ist und wir in unserem Chor eine super Social-Media-Struktur etabliert haben, dann wird er sich anders zurechtfinden, als jemand, der das nicht nutzt. Und schon muss ich meine Kommunikation anpassen.
Ein:e Vereinsvorsitzende:r beispielsweise sollte sich also nicht einen einzigen Stil aneignen, sondern die eigene Kommunikation und Kontaktaufnahme dem Gegenüber individuell anpassen. Jemand, der/die ehrenamtlich vorne dran steht, kann sich ja aber auch nicht zu viel Arbeit machen – den einen rufe ich an, dem anderen schreibe ich eine Mail, beim nächsten klingele ich an der Tür…
Das geht natürlich nicht. Das ist oft auch der Moment, wenn Vereinsverantwortliche das Gefühl haben, sie können es nicht recht machen und Posten deshalb unbesetzt bleiben. Darüber müssen wir uns nicht wundern, wenn wir an sie mit solch einer Haltung – zielgruppengerecht zu kommunizieren – herangehen, denn dann laden wir unglaublich viel an Erwartungen auf ihre Schultern. Wenn wir einen Chor mit einer guten Altersdurchmischung haben, wäre es stattdessen klug, jemanden mit an die Seite zu holen, der den Teil der Kommunikation, der mir nicht so liegt, übernimmt. Sucht euch also im Team Leute, die übernehmen, was ihr nicht leisten könnt oder wollt!
Die Zauberformel ist also schlicht eine kompetenzgerechte Aufgabenverteilung?
Durchaus. Ich kenne Menschen in Chören, die mit dem hierarchischen Denken nicht mehr so viel anfangen wollen und können, und die Verantwortung ganz klar auf viele Schultern verteilen. Da sind durchaus moderne Arbeitsformen in den Chören zu finden – wo Hierarchiefreiheit gelebt wird.
Ziel sollte also sein, auch in der Leitungsebene eines Vereins die Altersdurchmischung abzubilden. Nun ist ein Chor vielleicht gerade erst dabei, sich neu aufzustellen und neue Mitglieder zu gewinnen. Wie komme ich in Kontakt mit jungen Leuten?
Der Aufhänger ist natürlich, dass jemand sagt: ‚Ich möchte singen, mir gefällt das Repertoire und wie der Chor auftritt.‘ Die erste Referenz, die ein Chor gibt, ist die Qualität. Und ohne, dass ich auf den Chor aufmerksam werde, passiert erstmal gar nichts. Wir brauchen zunächst die Präsenz nach außen, damit Menschen, die singen wollen, auf unseren Chor aufmerksam werden. Der Aufhänger ist die eigene Sichtbarkeit. Das ist ein bisschen wie die Angel mit dem leckeren Köder auszuwerfen und zu schauen, wem das schmeckt.
Und wie schaffe ich es kommunikativ, dass die Person, die ich an der Angel habe, bleibt?
Nehmen wir an, ein neues Mitglied hat die erste Phase im Chor hinter sich. Menschen beteiligen sich gerne und mögen das Gefühl, nicht nur wohin zu kommen und wieder zu gehen – mit einer kleinen Verantwortung fängt die Bindung zum Verein an. Welche Aufgaben können wir einer Person übertragen oder wo schaffen wir Raum, dass sie eigene Ideen einbringen und verwirklichen kann? Dadurch entsteht zunehmend Identifikation und damit Bindung zum Verein.
Liebe Frau Ritter, vielen Dank für das Gespräch!

Foto: privat

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Interview Theo Strauch
Welchen Stellenwert hat für Sie der Bereich der Kommunikation in einem Chor?
Natürlich einen sehr hohen. In der Kommunikation kann man generell sagen, dass das, was gesagt wird, weit hinter dem zurücksteht, wie es gesagt wird. Was mich als systemischer Supervisor am meisten interessiert, ist: Auf welcher Grundlage findet Kommunikation statt? Jeder kennt bei sich selbst, dass man innerhalb einer Beziehung etwas sagen kann, ohne die Worte auf die Goldwaage legen zu müssen und der/die andere nimmt das auf einer freundschaftlichen Beziehung auf. Wenn man die nicht hat, können die gleichen Worte kränkend sein. Der Kontext und das „Gewebe“, auf dem Kommunikation stattfindet, sind entscheidend.
Kommunikation ist also nicht die Basis der Interaktion und der Beziehung, sondern andersherum?
Genau. Die Beziehung ist die Basis für die Kommunikation. Wenn ich Ihnen jetzt ein Kompliment mache, ist das merkwürdig, weil das „Gewebe“ zwischen uns fehlt. Dann wäre selbst ein nettes Kompliment missverständlich, weil für Sie nicht klar wäre, was ich mit einem Kompliment Ihnen gegenüber jetzt intendiere. Wenn ich meiner Frau ein Kompliment mache, dann freut sie sich, weil sie weiß, wie ich das meine. Und das Gleiche gilt für Kritik. Wenn ich etwas Kritisches anmerken würde, wären Sie unter Umständen brüskiert. Wenn man einen guten Kontakt hat, trifft das gleiche, was man sagt, auf eine andere Grundlage. Im Chor bilden die Funktionen das Gewebe.
Jetzt ist es bei der Mitglieder- bzw. Freiwilligengewinnung aber so, dass die Kontakte erst geknüpft werden müssen. Das Aufbauen dieser Beziehung geht aber doch auch über Kommunikation…
Ja, das geht aber auch über die Inhalte. Mein Eindruck ist, dass Chöre und Vereine dem Nachwuchs bzw. neuen Mitgliedern gegenüber in eine Bittstellerposition kommen: ‚Kommt doch bitte in unseren Chor! Macht doch bitte mit! Übernehmt doch bitte Verantwortung!‘ Der Gedanke ist, wie es gelänge, das umzudrehen. Zentral ist die Wertschätzung. Selbstwirksamkeit – im Sinne, dass ich Einfluss nehmen kann auf das, was passiert – ist das Mittel, um Selbstbewusstsein zu erzeugen. Kann ich das nicht, sind die Reaktionen darauf Rückzug und Vereinzelung. Chorsingen ist genau das Gegenteil: Wie kann es also gelingen, dass der Wert, den das hat, ganz oben steht und bei den Zielgruppen besser ankommt und dass daraus sich ein Bedürfnis entwickelt, dabei zu sein. Eben nicht: ‚Wir müssen Werbung machen, dass Leute kommen‘, sondern ‚Wir müssen den Wert so darstellen, dass Leute gerne mitmachen wollen und sich mehr oder weniger bewerben‘. Das wäre eine Umdrehung der Haltung.
Würden Sie sagen, dass man je nach Zielgruppe unterschiedlich handeln muss?
Ja, dennoch denke ich bei Zielgruppen – also bei Altersgruppen – eher an die Kommunikation intern. Da ist das Mittel der Wahl Transparenz. Ich nenne das gerne Metakommunikation: ‚Unter uns von Mensch zu Mensch würde ich dir jetzt das uns das sagen. In meiner Funktion hier als Chorleiter oder Jugendgruppenleiter muss ich dir aber das und das sagen.‘ Das heißt, dass man die eigene Rolle bzw. Position in der Kommunikation mit beleuchtet und anspricht, damit die Inhalte auf eine andere Basis kommen.
Auf eine andere Akzeptanz…
Auch das. Und dann bin ich wieder bei dem Gewebe, das ich anfangs angesprochen habe. Wie kriege ich eine Grundlage hin, auf der die Kommunikation anders akzeptiert wird?
Also eine Vertrauensbasis wie in jeder Beziehung auch, aufgrund derer ich positive wie negative Aspekte aushalten kann?
Ja und dass man eine größere Akzeptanz hat, bezogen auf die Funktion des anderen: ‚Weil du hier die Leitungsrolle hast, kann ich akzeptieren, dass du mir das so sagst‘.
Nun hat mein Verein Mitglieder und möchte sie halten. Ich muss durch meinen Führungsstil – zu dem die Kommunikation gehört – dazu beitragen, dass sich die Menschen in meinem Verein wohlfühlen und motiviert sind, sich einzubringen. In welche Fallen kann ich tappen und wie vermeide ich das?
Indem man die Position, aus der heraus man eine Entscheidung trifft, die für den anderen vielleicht unbequem ist, verdeutlicht. Was häufig passiert, ist, dass man lauter, strenger oder eindringlicher wird. Das könnte der Gegenüber als aggressiv oder dominant empfinden. Ich kann aber auch hingehen und sagen: Ich kann viel Verständnis dafür aufbringen, dass du immer zu spät kommst, aber in meiner Rolle als Chorleiter muss ich dir sagen, das hält den Betrieb auf. Ich habe eine Verantwortung für die gesamte Mannschaft und bitte dich deshalb um Pünktlichkeit. Als dein Kumpel würde ich dir das so nicht sagen.
Kommunikation bedeutet ja nicht nur, Worte auszutauschen, sondern auch Kontakt zu halten, die Mitglieder mitzunehmen, zu informieren und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie auf dem aktuellen Stand sind. Was sollten Vereinsverantwortliche hierbei beachten?
Sie sollten verdeutlichen, wenn es Aspekte gibt, auf die sie selber nur begrenzt Einfluss haben. Ein Beispiel: Man sitzt bei einer Generalprobe eine halbe Stunde rum, weil noch irgendetwas nicht geregelt ist. Wenn der Chorleiter vorher auf so eine mögliche Situation hinweist, weiß man, wo man dran ist und fühlt sich nicht als benutzte Masse. Stattdessen erfährt man Wertschätzung. Das Zauberwort ist Transparenz, so dass das Gegenüber merkt, dass man Wert auf die Beziehungsebene legt.
Also lieber mal eine E-Mail mehr schreiben, auch wenn es belanglos erscheint, und darüber informieren, dass man noch keine weiteren Informationen hat?
Zum Beispiel. Dann fühlt man sich als E-Mail-Empfänger total ernstgenommen.
Kommunikation ist also nicht nur die Form des wörtlichen Austauschs, sondern eine Form von Führungsstil?
Auf jeden Fall! Teamleitungen sind oft in einer Sandwich-Position: Sie müssen Vorgaben von oben nach unten weitergeben. Wenn sie kommunizieren: ‚Es ist gar nicht so sehr meine Position, aber die, die ich in meiner Funktion vertreten muss‘ – dann ist die Kuh vom Eis.
Haben Sie Tipps, wie Vereinsverantwortliche eine solche Kommunikation in ihrem Chor etablieren können?
Mit den Mitgliedern in einen Dialog treten: ‚Liebe Leute, ich habe jetzt hier die neue Position und ich will das gut, in eurem Sinne und mit euch gemeinsam machen. Was wünscht ihr euch?‘ Bevor es an Inhalte geht, die Herausforderungen benennen.
Was Sie beschreiben, erinnert mich sehr an die von Marshall B. Rosenberg formulierte „Gewaltfreie Kommunikation“ im Sinne einer wertschätzenden, transparenten Bedürfnisbeschreibung – die aber nicht nur punktuell stattfindet, sondern systemisch.
Ganz genau! Wertschätzung ist die Grundhaltung: Den anderen nicht nur respektieren, sondern ihn als Kommunikationspartner wertschätzen. Wenn ich an unseren Einstieg denke: Ich habe Ihnen als Erstes etwas Nettes gesagt [bevor das eigentliche Interview begann, Anm. der Autorin]. Es kostet mich keine Mühe, wenn ich das tue, aber es ist wegbereitend. Wichtig ist, dass die Menschen in Führungspositionen dafür sorgen, dass ein bestimmter Stil entwickelt wird, wie man miteinander umgeht.
Lieber Herr Strauch, vielen Dank für das Gespräch!
Die Interviews führte Sandra Bildmann.