„Dieweil man auf der Sängerreise sehr leicht kommt aus dem rechten Gleise“
Sonne, blauer Himmel, saftiges Frühlingsgrün oder buntes Herbstlaub – Ausflüge in die Natur kann man zu allen Jahreszeiten machen – sofern das Wetter mitspielt – und die Mitwirkenden auch.
„Wenn nach des Winters Schnee und Eis / Die Bäume stehn in Blüten weiß / Dann, Sohn, in diesen Wonnetagen / Fährt der Verein auf einem Wagen / Hinaus ins grüne Waldrevier, / Dort singt man dann bei Wein und Bier / Und hat zuweilen viel Vergnügen, / Doch manchmal kann man Schläge kriegen, / Dieweil man auf der Sängerreise / Sehr leicht kommt aus dem rechten Gleise!“
Mit diesen Worten, die schon etwas vom weiteren Verlauf der Ereignisse erahnen lassen, beginnt Wilhelm Grimm seine 1898 veröffentlichte „lustige Geschichte in Knittelversen“: „Die verunglückte Sängerfahrt“. Der Autor, ein Kaufmann und Hobby-Dichter in Obernkirchen, hat hier ein schon in der Kaiserzeit beliebtes Thema aufgegriffen und mit derb-humoristischen Szenen kraftvoll ausgeschmückt: das Ausflugswesen der Gesangvereine. Kurz zum Inhalt der Lektüre:
Das Wild braucht keine Unterhaltung
Ein Männergesangverein will sich mit einer Reise eine Freude machen. Der ambitionierte Präsident des Vereins schlägt vor, „mit einem Kahne zu fahren auf dem Oceane, nach England sei es gar nicht weit“. Auf dieser Reise könne der Sänger so einiges lernen. Der Vorschlag wird von den Mitgliedern jedoch abgelehnt. Statt einer teuren, anstrengenden Bildungsreise, dazu noch übers unsichere Wasser („wenn es Bier statt Wasser wäre, ich führ mit, bei meiner Ehre“), möchten sie lieber einen Tagesausflug auf dem festen Boden ihrer heimischen Gefilde: „Wer seine Frau liebt und sein Kind / Der bleibt wo wir geboren sind!“
So geht es denn bald nicht auf einem schwankenden Schiff übers Meer, sondern auf einem mit reichlich Alkohol ausgestatteten Leiterwagen in Richtung heimatliche Natur. Auf ihrer Tour kehren die schon früh mit Schnaps abgefüllten Sänger zunächst noch in einem Landgasthof ein. Dort geraten sie bei einer Tanzveranstaltung in eine Keilerei mit schlagfertigen „Bauernburschen“. Kräftig lädiert flüchten die Sänger nun in den Forst. Aber auch hier läuft so ziemlich alles schief. Man möchte die Hirsche des Herrn Grafen Schneidewind besichtigen, doch am Gehege „auf einer Warnungstafel stund: / Man darf allhie auf diesem Grund, / nicht singen und nicht musicieren, / Dieweil mit Waldes wilden Thieren / Selbst ein gelernter Jägersmann / Nie vorsichtig genug sein kann; / Das Wild braucht keine Unterhaltung! / Graf Schneidewind´sche Forstverwaltung.“
Fröhliche Sängerhumoresken
Enttäuscht widmen sich die Herren wieder ihren alkoholischen Vergnügungen, geraten müde im Rausch in ein furchtbares Gewitter, versinken schier in Schlamm und reißenden Bächen. Der eine verliert seine Zähne, der andere seine Haare und fast jeder seine Kleidung. Der Leiterwagen zerbricht, die Pferde fliehen …. „Die Sänger horchen, frieren, schweigen, / Kalt tropft der Regen von den Zweigen, / So ohne Hut, im bloßen Strumpf, / Steh´n sie wie Frösche da im Sumpf…“. Das Drama endet schließlich mit der nächtlichen Heimkehr der Trümmertruppe und dem Hinweis auf die jedem noch bevorstehende „Gardinenpredigt“.
Grimms „verunglückte Sängerfahrt“ ist nicht die einzige (literarische) Story zum Thema Sängerausflug, die anderen Beispiele sind allerdings weit weniger drastisch. „A fideler Sängerausflug“, eine „fröhliche Sängerhumoreske“ aus dem Verlag Friedrich Mürdter in Backnang war z.B. ein kleines Schauspiel mit musikalischen Einlagen, konzipiert für Theatergruppen in Gesangvereinen.
Heitere Bilder von lustigen Fahrten
Wohl noch häufiger als in der Literatur finden wir „Sängerfahrten“ oder „Sängerausflüge“ in der populären Bildwelt wieder, auf Bildpostkarten, Sammelbilder und Illustrierten bzw. Fliegenden Blättern.
Ein schönes Beispiel liefert etwa die Sammelbildserie „Eine lustige Sängerfahrt“ der Firma Palmin (Pflanzenbutter), deren sechs hübsche Chromolithographien den Hauptverlauf einer fiktiven Reise veranschaulichen: Von der Ankunft der Sänger (mit ihren Frauen und Kindern), ihrem Festmahl, dem geselligen Tanz bis hin zu den heiteren Spielen im Walde – kurz: ein harmonisierendes Gegenstück zu Grimms derber Geschichte.
Häufig finden wir Vereinsausflüge auch auf frühen Ansichtskarten. Die Objekte lassen sich in zwei Gruppen einteilen: einmal in Karten, die ganz bestimmte Vereine als Erinnerungsstücke an konkrete Reisen anfertigen ließen, und zum anderen in allgemeine, von Verlagen herausgegebene Bild-
postkarten. Auf diesen Karten sind die Sängerinnen und Sänger als Ausflügler in meist freundlich-humoristischer Weise charakterisiert bzw. karikiert. Man sieht sie inbrünstig auf Waldeshöhen trällern, ehrfürchtig unter Riesenbrücken intonieren oder ausgelassen auf Spreewaldbooten grölen. Ab den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts kommen dann auch vermehrt Fotografien von Chorausflügen in Mode. Eine Aufnahme vom Uracher Wasserfall von 1930 zeigt uns dabei: Auch im winterlichen Februar zog es die Sängerinnen und Sänger in die Natur.
Ob große Konzert- und Bildungsreise mit Bus und Bahn oder kleiner Tagesausflug per pedes in Feld und Flur – Ausflüge waren und sind noch immer eine wichtige verbindende Aktivität der Chöre und der Vereinsmitglieder. Sie dienen seit Beginn des bürgerlichen Chorwesens zu den wichtigsten Mitteln der Geselligkeitspflege.