Die SCV-Mitgliedschaft im Check
66.000 aktive ChorsängerInnen in gut 1.600 Vereinen: Der Schwäbische Chorverband (SCV) zählt zu den größten Amateurmusikverbänden in Deutschland. Das große Ziel: die „Pflege des Gesangs“ fördern. Als echter Traditionsbetrieb unterstützt er seit mehr als 150 Jahren Chöre aus der Region. Im Gründungsjahr 1849 schwang neben der Lust am Singen noch eine politische Komponente mit: die Rechte des Bürgertums stärken und der Gedanke, Deutschland einigen zu wollen. Heute ist der stolze Pathos der Gründerzeit einem umsichtigen Pragmatismus gewichen: GEMA-Meldungen, Vereins-
beratung, Hilfe bei der Chorleiterförderung des Landes. Der SCV will seine Mitgliedsvereine mit Know-how stärken. Doch warum lohnt sich eine Mitgliedschaft? Wo liegen Chancen, wo Schwächen? Ein Praxischeck.
„Früher gehörte es zum guten Ton, Mitglied im Schwäbischen Chorverband zu sein. Das war eine Selbstverständlichkeit“, sagt Reinolf Weida, erster Vorsitzender der Chorvereinigung Liederkranz Sindelfingen. Gegründet wurde sein Chor 1830, also sogar noch vor dem SCV. Die Mitgliedschaft besteht schon seit vielen Jahrzehnten. „Rechtsverordnungen, GEMA-Meldungen, Vereinsführungen: All das kommt auf einen Verein neben dem Singen zu. Da ist der SCV schon ein hilfreicher Partner.“ Der Liederkranz Sindelfingen ist einer der alteingesessenen Chöre, die der SCV seit langer Zeit vertritt. Ganz frisch dabei, nämlich seit April 2018, ist der A-Cappella-Pop-Chor„Choriosity“ aus Ulm. 2013 hat Martin Winter alias „Monty“ den Chor gegründet. Er leitet „Choriosity“ bis heute und erfährt großen Zuspruch. Begonnen hat alles mit knapp 20 SängerInnen. Heute sind es mehr als 120 aktive Mitglieder. Noch dazu stehen weit über 100 Personen auf der Warteliste. „Wir sind voll belegt“, erklärt Monty Winter. Zwei Chöre, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Was wünschen Sie sich vom Schwäbischen Chorverband? Wovon profitieren Sie, an welchen Stellen gibt es noch Verbesserungspotenzial?
Netzwerken
„Es ist immer gut, ein Teil von etwas Größerem zu sein. Wir sind zwar über den „Christlichen Verein Junger Menschen“ organisiert, aber dort gibt es kein Netzwerk, das speziell auf die Chorarbeit, die wir machen, eingeht.“ Diese Tatsache war einer der Hauptgründe, für Monty Winter mit seinem Chor „Choriosity“ in den Schwäbischen Chorverband einzutreten. „Dort gibt es Fortbildungen und spezielle Informationen für Chöre. Das ist sehr interessant und hilfreich für uns.“ Außerdem, sagt Monty Winter, ist der Austausch mit anderen Chören wichtig und der SCV kann diesen mit seinem Netzwerk aus über 1.600 Mitgliedschören vereinfachen. Diese Erfahrung kann auch Reinolf Weida vom Liederkranz Sindelfingen teilen. „Wir geben seit mehr als 30 Jahren ein Weihnachtskonzert in der Stadthalle. Mittlerweile kooperieren wir dafür auch mit anderen Vereinen und es kommen tatsächlich bis zu 800 Zuschauer.“ E-Mail-Verteiler, gemeinsame Workshops und Treffen, Chor-
wettbewerbe: Eine Mitgliedschaft beim Schwäbischen Chorverband ist eben auch eine Einladung. Vernetzt euch. Singt gemeinsam. Startet ein Projekt. „Ohne diese Strukturen“, betont Weida, „wären manche Kooperationen nicht so ohne Weiteres möglich.“ Monty Winter ergänzt: „Es ist ziemlich cool, einem Verband anzugehören, der groß genug ist, ein Chorfest und Wettbewerbe zu stemmen. Für uns ist wichtig, zu solchen Veranstaltungen fahren zu können, sich zu präsentieren und auszutauschen.“
Nah am Vereinsalltag
Die reine Lust am Singen reicht nicht, um einen Chor zu führen. Gewisse Rechtsgrundlagen müssen erfüllt, GEMA-Meldungen geschrieben, Konzerte geplant, organisiert und sicher umgesetzt werden. Das macht Spaß, aber bringt auch einen hohen organisatorischen Aufwand mit sich. „Es ist es oft nicht einfach, da durchzublicken“, findet Reinolf Weida. Für seinen Chor ist das umfassende Informationsangebot des SCV ein Hauptgrund, für die langjährige Mitgliedschaft. „Auf der Homepage findet man heute sehr schnell und übersichtlich viele Informationen.“ Der SCV möchte „Rahmenbedingungen für erfolgreiche Vereinsarbeit und ehrenamtliches Engagement schaffen“ sowie die „Vereinsführung und Vereinsverwaltung unterstützen“. Praxisnahe Seminare z. B. bereiten Vorstände und Mitglieder auf Positionen im Verein vor.
Darüber hinaus gibt es seitens des SCV auch ganz pragmatische Leistungen. „Die GEMA-Meldungen sind eine große Erleichterung“, sagt Monty Winter. „Man sendet dem SCV das Programm und füllt ein Formular aus, der Rest läuft reibungslos ab.“ Während für Monty Winter und „Choriosity“ die Hilfe bei der Vereinsorganisation eher im Hintergrund stehen, sind sie für Weida und den Liederkranz Sindelfingen ein wichtiger Grund, Teil des SCV zu sein. „Es vermittelt ein Gefühl der Sicherheit. Beispielsweise gibt es versicherungstechnische Vorteile für die Mitglieder und die Vorstände. Das sind Sachen, die wir rege nutzen.“ Von Fördermittel-Anträgen bis zu rechtlichen Fragen: der SCV deckt ein breites Spektrum an Themengebieten ab und steht beratend zur Seite. „Vor ein paar Jahren mussten wir die Rechtsberatung nutzen. Die Künstlersozialkasse hat uns einen hohen Betrag in Rechnung gestellt. Wir waren ratlos. Der SCV hat uns damals einen Anwalt vermittelt, der sich auskannte und sofort geholfen hat“, erzählt Reinolf Weida. „Da dachte ich, wie gut, dass wir als Mitglieder diese Vorzüge genießen.“
Qualität der Chöre steigern
Es ist ein großes Ziel, das der Schwäbische Chorverband verfolgt. Nur an die Mitgliederzahlen zu denken sei, nach Auskunft des Verbandes, eine fatale Entwicklung. Auf der Homepage des SCV heißt es: „Qualität geht jeden an, egal auf welchem Leistungsniveau sich ein Chor befindet. Der Anspruch „mehr Qualität“ heißt, morgen besser zu sein als heute.“ Workshops, Seminare und verschiedene Spezialangebote beispielsweise zum Singen über 60 oder dem Umgang mit der kindlichen Stimme sollen ChorleiterInnen und SängerInnen besser ausbilden. „Es sollte nicht um die perfekt gesungenen Noten gehen“, findet Monty Winter. „Für mich zeichnet die Qualität eines Chores aus, dass sich die SängerInnen mit der Gruppe identifizieren und mit einer hohen intrinsischen Motivation verbindlich gemeinsam Musik machen.“ Für Winter sind die Zeiten, in denen man sich während der Probe von einem Chorleiter berieseln lässt, längst vorbei. Bei „Choriosity“ sollen sich die Mitglieder aktiv einbringen. Songauswahl, Konzertorte: „Die SängerInnen dürfen viel mitentscheiden – dabei ist es aber keine Demokratie“, erklärt Winter mit einem Augenzwinkern. Als musikalischer Leiter gibt er die grundlegende Richtung vor. Ein Konzept, das zukunftssicher zu sein scheint. Innerhalb von nur wenigen Jahren hat sich die Anzahl der Mitglieder verfünffacht.
„Das Konzept „Freizeit“ ist heute sehr umkämpft. An jedem Tag im Jahr überlegen sich vor allem junge Menschen heute sehr gut, ob sie, anstatt zur Chorprobe zu gehen, lieber auf dem Sofa liegen und Netflix schauen, Freunde treffen oder Sport machen. Jede Woche müssen Chorproben ein so großer Reiz sein, dass die jungen Menschen gerne kommen. Die Partizipation der Mitglieder ist der entscheidende Punkt. Es geht nicht nur um das Singen.“ Der Chor ist für Monty Winter ein komplexes soziales Gefüge, mit einer eigenen Dynamik. Wer es schafft, dass sich die SängerInnen wohlfühlen und der Chor ein wichtiger Teil des Privatlebens wird, hat wohl gute Chancen auf solche Traum-Mitgliederzahlen wie „Choriosity“.
Die Außenwirkung steigern
Der Liederkranz Sindelfingen ist seit Jahrzehnten eine Institution in der baden-württembergischen Chorszene. Doch der Nachwuchs fehlt. „In unserem Männerchor liegt der Altersdurchschnitt bei circa 80 Jahren“, erklärt Reinolf Weida. Ein Problem, vor dem viele alt eingesessene Chöre stehen. „Unser traditionelles Volksliedrepertoire ist sicher nicht so beliebt wie Pop oder Rockarrangements.“ Dem Nachwuchsproblem möchte der Liederkranz mit Hilfe des SCV begegnen. Denn auch rund um die Themen Kommunikation und Außenwirkung bietet der Verband Beratungen, Informationen und Tipps an. „Wir sind gerade dabei, das zu nutzen und sind sehr froh, dass uns der Schwäbische Chorverband an die Hand nimmt, denn eine durchdachte Öffentlichkeitsarbeit zählt nicht zu unseren Kernkompetenzen.“ Während der Liederkranz Sindelfingen bei diesem Thema von der Erfahrung des SCV profitiert, sind die Angebote im Bereich Nachwuchsgewinnung und Kommunikation für „Choriosity“ nur wenig interessant. Facebook, Instagram, Twitter: Es gibt kaum einen Social Media-Kanal, den der Ulmer Chor nicht aktiv nutzt. „Das klappt bei uns sehr gut“, sagt Monty Winter. Es ist ein Spagat, den der Schwäbische Chorverband mit seinem Angebot für seine Mitglieder leisten muss. Denn die Bedürfnisse sind sehr verschieden.
Wunschkonzert
Vernetzen, weiterbilden, die Zukunft der Chorlandschaft gestalten: Der Schwäbische Chorverband bietet ein großes Angebot aus Informationen, Workshops, musikalischen Events und praxisnaher Hilfe im Vereinsalltag an. Dieses Angebot nutzen mehr als 1.600 Chöre. Der traditionsreiche Liederkranz Sindelfingen und der noch junge A-Cappella-Pop-Chor „Choriosity“ zeigen, wie vielfältig die Chorszene ist, die der Verband repräsentiert. „Der Schwäbische Chorverband gibt uns eine Stimme. Er trägt unsere Anliegen auf eine höhere Ebene: in die Politik, die Kultur und weite Teile der Gesellschaft. Das könnten wir als einzelne Vereine gar nicht“, formuliert es Reinolf Weida. Der Liederkranz Sindelfingen und „Choriosity“ zeigen exemplarisch, wie verschieden die Bedürfnisse der vom SCV repräsentierten Chöre sind. Vielen davon wird der Verband schon gerecht. Allerdings würde sich Monty Winter eines vom Schwäbischen Chorverband wünschen: „Es wäre toll, wenn im Angebot des SCV die Dynamik der Popchöre ein bisschen mehr Beachtung finden würden. Diese Chöre werden immer beliebter. Es wäre schon toll, wenn es z. B. einen Workshop mit Profis der Pop-Chor-Szene wie Jan-Hendrik Herrmann geben würde.“ Blickt man auf die rasante Entwicklung von „Choriosity“, ist das vielleicht ein Wunsch, der auch zukünftig das Vereinsleben und die Chorlandschaft in Baden-Württemberg bereichern kann.