Viele virtuelle Möglichkeiten: Muss ich sie nutzen?
Wir wissen, dass der Gesetzgeber den Pandemie-geplagten Vereinen die Möglichkeit gegeben hat, auf alternative Weise (elektronisch, digital, Beschlussverfahren) die Mitgliederversammlung durchzuführen (Artikel 2, § 5 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID 19-Pandemie vom 28. März 2020), auch wenn diese Formen der Durchführung nicht in der Satzung geregelt sind, können sie – bis zum 31. Dezember 2021 – durchgeführt werden. Viele Vereine haben diese Erleichterung inzwischen durch Satzungsänderung in ihr dauerhaftes Satzungsrecht übernommen, um auch künftig die Möglichkeit zu haben, gegebenenfalls elektronisch, mit Videokonferenz etc. eine Mitgliederversammlung durchzuführen.
Was aber, wenn ein Verein von diesen Möglichkeiten keinen Gebrauch macht?
Genau hierum geht es heute: Viele Vereine, vor allem kleinere, ländliche Vereine, verzichteten und verzichten auf die obligate Mitgliederversammlung, die in der Satzung und durch § 36 zwingend vorgeschrieben ist. In vielen Beratungsgesprächen ging es um dieses Thema. Die Vereinsvorstände waren/sind verunsichert: Darf ich überhaupt auf die Durchführung einer Mitgliederversammlung verzichten, wenn das Gesetz die Möglichkeit hierzu (in alternativer Form) gibt? Was geschieht, wenn der Vorstand eine Mitgliederversammlung mit Rücksicht auf vor allem seine älteren Mitglieder nicht durchführt, die Angst vor Ansteckung bei Präsenzveranstaltungen haben und nicht über einen geeigneten Zugang zum Internet und eine Email-Adresse verfügen?
Grundsätzlich ist dieses Thema nicht neu. Es kommt immer wieder vor, dass Vereine die in der Satzung und auch terminlich festgelegte Mitgliederversammlung nicht einberufen. Das kann verschiedene Gründe haben: Streit im Verein, fehlende Kandidaten für Vorstandsämter, vieles mehr lässt sich denken. Mir ist vor vielen Jahren ein Fall begegnet (nicht im Bereich der Chormusik), in dem ein Verein über Jahrzehnte auf die Durchführung von Mitgliederversammlungen und Wahlen verzichtete. Es war ein Wanderverein. § 36 BGB war im Verein unbekannt; ein Haftungsrisiko konnte man sich nicht vorstellen. Ach ja: Der Verein hatte sich auch nicht als gemeinnützig anerkennen lassen. Er flog sozusagen „unter dem Radar“ sowohl des Registergerichts als auch der Finanzbehörde. Steuerliche Probleme hatte man nicht; man lebte „von der Hand in den Mund“, sodass wohl auch keine Steuern angefallen wären oder nachgefordert hätten werden können. Als der Verein in die Beratung kam, erklärte der Vorstand, man habe den bürokratischen Aufwand nicht eingesehen und sich deshalb nicht dazu aufraffen können. Es habe doch immer alles anstandslos funktioniert, über Jahrzehnte hinweg.
Es war in diesem atypischen Fall nicht besonders schwer, den Verein wieder „aufs Gleis“ zu setzen, mit einer neuen Satzung, einem neu gewählten Vorstand und der Herbeiführung der Anerkennung als gemeinnützig. Die Regel ist das allerdings nicht.
Nicht-Durchführung kann Konsequenzen haben
Die Nichtdurchführung der Mitgliederversammlung kann auch gravierende Folgen haben. War der Verein bereits eingetragen, war ein Vorstand gewählt, bleibt dieser im Amt, bis ein neuer gewählt worden ist. Na gut, dann ist ja alles in Ordnung; damit kann der Verein schließlich leben.
Weit gefehlt. Der Verbleib des alten Vorstands in Amt und Vereinsregister kann sich als „Bombe“ für den Verein erweisen, etwa, wenn der frühere vertretungsberechtigte Vorstand nach Gutdünken und mit der Absicht, dem Verein zu schaden, der ihn aus dem Amt gewählt hat, Maßnahmen trifft oder Rechtsgeschäfte tätigt, an die der Verein gebunden ist, weil der alte Vorstand noch im Vereinsregister eingetragen ist.
Anderer Fall:
Es gibt gar keinen im Vereinsregister eingetragenen, vertretungsberechtigten Vorstand mehr. Dann kann der Verein rechtlich gar nicht handeln. Er kann keine Fördermittel beantragen, er kann keine Verträge abschließen, er kann keine Erklärungen gegenüber Gericht oder Finanzamt abgeben.
- 36 BGB fordert deshalb die Einberufung einer Mitgliederversammlung in den durch die Satzung bestimmten Fällen so wie dann, wenn das Interesse des Vereins dies erfordert.
Wann muss eine Mitgliederversammlung einberufen werden?
Es gibt kaum eine Satzung, in der nicht geregelt ist, wann eine Mitgliederversammlung einberufen werden muss. Ist dies trotzdem einmal der Fall, so ist die Mitgliederversammlung gleichwohl einzuberufen, nämlich dann, wenn das Interesse des Vereins es erfordert. Wenn also Neuwahlen durchgeführt werden müssen, wenn die Satzung des Vereins vom Registergericht beanstandet wurde, wenn ein wichtiger Vertrag geschlossen werden muss, der in die Zuständigkeit der Mitgliederversammlung fällt.
Berufen die Vorstandsmitglieder – hier haftet in aller Regel jedes Vorstandsmitglied! – dennoch keine Mitgliederversammlung ein, macht sich der gesamte Vorstand schadenersatzpflichtig. Geschädigter ist der Verein. Als Schaden ist jeder rechtliche oder tatsächliche Nachteil anzusehen, der das Vermögen des Vereins mindert.
In diesen Fällen kann im Übrigen eine Minderheit der Mitglieder die Einberufung einer Mitgliederversammlung durchsetzen oder die Mitgliederversammlung selbst einberufen, § 37, Absatz 2 BGB. Sie lässt sich durch einen Beschluss des Registergerichts ermächtigen, auch ohne oder gegen den Willen des Vorstandes die Mitgliederversammlung selbst einzuberufen. § 37 dient einerseits dem Schutz der Minderheit im Verein (§ 37, Absatz 1 BGB), wenn 1/10 der Mitglieder die Einberufung verlangt. Absatz 2 schützt die Vereinsmitglieder vor der Untätigkeit oder Verweigerung des Vorstands.
Eine Mitgliederversammlung muss einberufen werden
Im Ergebnis bleibt die Verpflichtung des Vorstandes unangetastet, eine Mitgliederversammlung zu den in der Satzung niedergelegten Zeitpunkten einzuberufen. In Pandemiezeiten oder aus anderen triftigen Gründen kann im Einzelfall eine Mitgliederversammlung verschoben werden, auch ins neue Kalenderjahr. Allerdings muss der Vorstand sorgfältig prüfen, ob die Einberufung einer Mitgliederversammlung in alternativer Form nicht möglich oder zumutbar ist. § 36 BGB ist zwingendes Recht und wird durch die Satzung konkretisiert. Bei abgelaufener Amtsperiode eines Vorstandsmitglieds endet diese mit der Neu- oder Wiederwahl, mit der Ausnahme, dass in Pandemiezeiten, also bis zum 31. Dezember 2021, seine Amtsperiode bis zur Neu- oder Wiederwahl fortdauert, die auch im Jahr 2022 stattfinden kann, wenn dies im laufenden Kalenderjahr nicht möglich oder zumutbar ist.
Es kann deshalb auch erforderlich werden, zwei Mitgliederversammlungen in einem Kalenderjahr, auch an einem Tag, durchzuführen. Es müssen allerdings – nach Einladung und Tagesordnung – zwei getrennte Versammlungen sein, in denen Einladung, Rechenschaftsbericht und Entlastung jeweils für das betreffende Kalenderjahr durchgeführt werden.
Zum Verfasser:
Rechtsanwalt Christian Heieck
Weiherstraße 6, 72213 Altensteig
Telefon: 07453 1677
Telefax: 07453 9554596
Email: kanzlei@rechtsanwalt-heieck.de
Dieser Beitrag gibt die Auffassung, Kenntnisse und Erfahrungen des Autors aus vielen Jahren Vereinsrechtpraxis wieder. Wir bitten dennoch um Verständnis, wenn im Hinblick auf die Vielfalt der individuellen Fallgestaltungen, die im Vereinsrecht vorkommen, eine Haftung für die gegebenen Auskünfte im Hinblick auf konkrete Einzelfälle nicht übernommen werden kann.