Das Kleinod des Schwäbischen Chorverbandes wird neu erfunden
Friedrich Silcher – der große schwäbische Komponist und Musikpädagoge. Bekannt ist er wohl vor allem für seine Volksliedsammlungen und seine hochromantischen Chorsätze wie „Am Brunnen vor dem Tore“ oder „Ännchen von Tharau“. Sein Wirken als Mensch, als Mann mit demokratischen Idealen und als Verfechter der Volkspädagogik wird dabei jedoch häufig vernachlässigt. Auch das Silcher-Museum in Schnait widmete seine Ausstellung bisher vor allem dem Musiker und seiner Zeit, nicht aber der Person in ihrer Gesamtheit. Doch das soll sich nun ändern.
Das Silcher-Museum
Seit 2019 macht sich der Projektleiter Karsten Michael Drohsel zusammen mit Monika Brocks, Geschäftsführerin des SCV und Elisabeth Hardtke, Mitarbeiterin im Silcher-Museum, daran, das Museum, das sich im Besitz des Schwäbischen Chorverbandes befindet, neu zu gestalten. Im Fokus stehen nun die Person und seine Werte. „Der Mensch hat gewirkt und der Mensch hat auch Lieder geschrieben, die man vielleicht nochmal ganz anders dechiffrieren muss. Ich glaube, da steckt wesentlich mehr drin als ‚boy meets girl‘“, sagt Drohsel im Interview mit der Zeitschrift SINGEN. Für die Umgestaltung beschäftigen ihn vor allem die Fragen: Was kann uns Silcher heute erzählen? Wie kann sich das Wissen, das wir in einer Ausstellung erfahren, mit unserem Alltag verbinden und wie kann es uns bei den Fragen helfen, die wir jetzt haben? „Mir geht es immer darum, wofür die Vergangenheit steht und wie wir sie bewerten. Das kann jeder individuell machen. Das Museum und die Ausstellung sollen nur ein Angebot sein“, erklärt er. Ein Angebot, sich mit der Geschichte Silchers aus verschiedenen Blickwinkeln intensiv auseinanderzusetzen oder aber einfach nur hindurchzugehen – ganz nach Belieben des Besuchers oder der Besucherin.
Noch befindet sich das Museum allerdings in der Umstrukturierungsphase, dem sogenannten „silcherLab“. Bis 2024 soll so aus dem Silcher-Museum schließlich das Silcher-Haus werden: ein Ort der Begegnung, der Demokratie, der Bildung und Chancengleichheit. Werte, die unmittelbar mit Silcher zusammenhängen, wie Drohsel betont: „Friedrich Silcher hat schon relativ früh in seiner Arbeit Abstimmungsmechanismen eingeführt. Ausgehend von den dabei verwendeten Abstimmungskugeln lässt sich gut darüber nachdenken, was das eigentlich in einer Zeit um 1800 bedeutet, in der es weder Deutschland, geschweige denn Demokratie gibt.“
Demokratie
Doch bei dem neuen Silcher-Haus geht es nicht nur um Silcher als demokratischen Menschen. Demokratie soll unmittelbar erfahrbar gemacht werden – mit kleinen Spielereien, Abstimmungen und digitalen Angeboten, sagt Drohsel. Die Ausstellungsobjekte sind dann nicht mehr nur Erinnerung an eine alte Zeit, sondern erzählen Geschichten und regen zum Nachdenken an. Doch es geht um viel mehr, als Demokratie nur erfahrbar zu machen. Sie soll vor allem aber gelebt werden und das bereits vor der Neueröffnung des Hauses. Schon jetzt können sich alle Menschen an der Entstehung beteiligen, Ideen einbringen und mitentscheiden. „Wir wollen, dass sich die Leute beteiligen. Leute, die Lust haben, mit uns zusammen diesen Ort gemeinsam zu gestalten“, sagt Karsten Michael Drohsel. Das kann auf ganz unterschiedliche Art und Weise geschehen. Wer sich beispielsweise für Geschichte interessiert, kann etwa zu Silcher und seiner Zeit forschen und sich so maßgeblich an der Ausstellung beteiligen. Doch es geht noch weiter: Die eigentliche Ausstellung, die sich bisher über das gesamte Gebäude erstreckt hatte, wird verkleinert und in den Geburtshaustrakt verlegt. Der nun freie Silcher-Saal im Schulhaustrakt wird schließlich zu einem Raum der Begegnung, dem „Kulturraum Friedrich Silcher“.
Kulturraum Friedrich Silcher
Während das gesamte Haus erst wieder zum 175. Geburtstag des Schwäbischen Chorverbandes im Jahr 2024 seine Türen öffnet, soll der Kulturraum bereits Ende 2021 in Betrieb genommen werden. In welcher Form, entscheiden weitgehend die Bürgerinnen und Bürger von Schnait und Interessierte aus dem Chorverband. Ob als Treffpunkt für Jugendliche oder Senioren, als Übungsraum der Musikschule oder für Vereine – der Raum ist offen für alle. Auf diese Weise können die Menschen bereits im Vorhinein Einfluss auf die Nutzung ihres neuen Saals nehmen – ganz im Sinne Silchers. Doch auch nach der Eröffnung soll Demokratie dort weiterhin gelebt werden, denn ein offener Raum für alle erfordert Verständigung: „Man muss sich gegenseitig aushalten, man muss aushandeln, falls es Konflikte gibt“, sagt Karsten Michael Drohsel.
Gemeinschafts-Projekte
Um diese Gemeinschaft zu unterstützen, plant der Schwäbische Chorverband darüber hinaus, in regelmäßigen Abständen gesellschaftliche Projekte zu veranstalten. Ein erstes dieser Art ist bereits im Entstehen und soll im Oktober beginnen: das „ThreadLab“. Abgeleitet von Englisch „thread“, dem Faden, verwandelt sich der Raum in einen Handarbeitsraum voller Fäden. Interessierte können dort für sich alleine oder unter Anleitung handarbeitlich tätig werden und so gemeinsam in frühere Zeiten eintauchen. Den Auftakt des Projektes bildet eine Veranstaltung in der Nacht vom 15. auf den 16. Oktober. Corona-
konform soll das größte Wollknäul Schnaits (oder der ganzen Welt) entstehen, das gleichzeitig das Startkapital des ThreadLabs bildet. Mit dieser Veranstaltung eröffnet der Schwäbische Chorverband den Kulturraum und damit nach zwei Jahren zum ersten Mal wieder einen Teil des Hauses. Bis schließlich auch das Museum 2024 öffnet, ist es allerdings noch ein Weilchen hin.
Mitbestimmung
In der Zwischenzeit bieten weitere Veranstaltungen und Projekte den Bürgerinnen und Bürgern von Weinstadt, speziell natürlich von Schnait, die Möglichkeit, sich an der Entwicklung des Hauses zu beteiligen. Und bereits jetzt können sie sich über den neuesten Stand informieren und mitdiskutieren. Alle vier Wochen, am zweiten Dienstag im Monat, findet über Zoom ein öffentliches Meeting aller Projektbeteiligten und Interessierten statt, bei dem sie gemeinsam über die Zukunft des Silcher-Hauses sprechen. Interessierte sind herzlich eingeladen, dabei zu sein. Ganz nach dem Motto: „Wir machen unser Museum. Und das „Wir“ schließt wirklich alle ein, die sich diesem „Wir“ anschließen.“