Schlecht hören muss nicht das Ende der musikalischen Karriere sein. Moderne Technik erlaubt immer bessere Ergebnisse im Bereich der Hörgeräte.
Hören ist für Sängerinnen und Sänger elementar. Doch was tun, wenn man merkt, dass die eigene akustische Wahrnehmung immer schlechter wird? Viele scheuen sich vor dem Gang zum Hörtest. Bei heutigen Hörgeräten eine falsche Entscheidung, findet Hörakustik-Meister Jochen Wied und erklärt, warum man sich viel früher mit diesem Thema auseinandersetzen sollte.
Isabelle Arnold: Woher kommt Ihre Leidenschaft dafür, die Musik wieder besser hörbar zu machen?
Jochen Wied: Meine eigentliche Leidenschaft ist, Unmögliches möglich zu machen. Dieses klassische „Geht nicht“ gibt es bei uns nicht. Vor drei Jahren wollten wir anfangen mit In-Ears zu handeln. Deshalb habe ich mich genauer mit diesem Thema befasst und mich dabei ein bisschen über die Hersteller geärgert. Dann habe ich beschlossen: Ok, wenn ich das nicht in der Qualität bekomme, wie ich sie haben möchte, dann muss ich es eben selbst machen.
Wir haben anderthalb Jahre lang selbst entwickelt und mittlerweile eine breite Produktpalette aufgelegt. Dabei ist eine tolle Symbiose von In-Ear Monitoring und Hörgeräte-Trägern entstanden. Die Erfahrungen fließen hier in die Arbeit ein, ob Musik-User oder nicht.
Diese Erfahrung fängt bei der Hardware- Ausrüstung an. Wir haben früher mit kleinen Audiometrie-Boxen Musik wiedergegeben. Wenn es heute darum geht, ein Hörgerät auf Musik richtig einzustellen haben wir eine große PA-Anlage stehen, wo wir mal richtig Gas geben können. Wir haben jetzt ein spezielles Anpassystem, bei dem es mehr um das natürliche Hören geht. Eine Herausforderung: Man stellt das Gerät so ein, dass Sprache angenehm ist, aber gleichzeitig auch bei sehr viel Lärm verstanden werden kann. Es wird aber eben auch auf Geräusche eingegangen. Man schaut, was der Kunde an Klang haben möchte. Durch diese neue Anpassform haben sich Sprache und Musik deutlich angenähert.
Isabelle Arnold: Passende Hörgeräteeinstellungen: Was macht einen guten Klang aus?
Jochen Wied: Zunächst von Seiten der Produktion: Prinzipiell kann jedes Gerät speziell eingestellt werden. Ein Hörgerät ist von der Einstellung her immer erst einmal auf Sprache optimiert. Das Hauptziel wenn ein Kunde kommt ist, dass er besser versteht, das hat oberste Priorität. Die Einstellung für das optimale Sprachverständnis und die Einstellung für den optimalen Musikklang sind zwei Paar Stiefel. Deshalb muss man hier zusätzliche Programme im Hörgerät hinterlegen. Das kann man bei jedem Hörgerät, also von einem Kassengerät bis zu den teuersten Geräten. Natürlich, je teurer das Gerät, desto mehr Kanäle habe ich, um es einzustellen. Das machen wir dann in den Anpassräumen oder auch mit Hilfe der großen Soundanlage, mit der wir einfach nochmal mehr tun können.
Isabelle Arnold: Was verändert sich, wenn mein Hörgerät anders eingestellt ist?
Jochen Wied: Die eigene Stimme ist kontrollierbar. Das ist das Entscheidende. Die große Herausforderung ist aber schon, wenn man die Wahrnehmung der eigenen Stimme gut hinbekommen hat, dann gibt es wieder Schwierigkeiten, den Chorleiter zu verstehen. Natürlich ist die Einstellung zum Singen nicht für Sprache optimiert. Daher muss ich vorher schon mit dem Chorleiter Absprachen treffen. Oder ich muss ihn einfach bitten, dass er deutlicher und lauter spricht.
Beides auf einmal geht nicht, aber man hat hier die Möglichkeit, über eine App zwischen zwei verschiedenen Hörprogrammen zu wechseln. In der Praxis schaltet aber während der Chorprobe keiner ständig hin und her.
Isabelle Arnold: Das moderne Hörgerät: Was hat es zu bieten?
Jochen Wied: Die technischen Möglichkeiten sind gigantisch. Wir haben Bluetooth-Übertragung in den Hörgeräten. Wenn ich heute telefonieren will, drücke ich auf mein Hörgerät, das Handy bleibt liegen oder in der Jackentasche. Ich kann Musik streamen, ich kann mir Hörbücher anhören, geplant sind auch Übersetzungsprogramme. In Zukunft soll es auch Sturz-Sensoren geben. Der nächste Schritt wird sein, dass das Gerät Schwankungen beim Gehen analysieren kann und eine Warnung gibt, wenn der Gang des Trägers unsicher wird. Im Bereich der Sensorik gibt es noch viel Potenzial.
Auch auf den Alltag des Trägers können wir mittlerweile viel besser eingehen. Wir bieten neben der Anpassitzung auch an, den Kunden z. B. in die Chorprobe zu begleiten, um dort die Feinjustierung zu machen oder wir schalten uns online während der Probe auf das Gerät auf und nehmen Anpassungen unter Live-Bedingungen vor.
Isabelle Arnold: Wie wichtig ist die Anpassung an reale Räume?
Jochen Wied: Wir haben den Raum hier bewusst ziemlich realistisch gestaltet. Für klassische Anpassräume gelten sehr strenge Vorgaben, was Nachhallzeiten und Grundpegel angeht. Da habe ich null Rücksicht drauf genommen. Wir haben ihn ganz normal eingerichtet und die Akustik hier ist viel näher an der Realität, als man sonst ist. Sonst wäre es ein bisschen wie: Wir passen im Beichtstuhl an, leben aber im Wirtshaus – so funktioniert das wirklich nicht.
Das Thema Hall ist oft bei Kirchenchören extrem. Aber wenn man sich die reelle Akustik von Kirchen anhört, weiß man, dass
auch normal Hörende nicht alles verstehen können. Als Kunde muss ich den realistischen Klang auch im Alltag akzeptieren. Es ist eben laut, wenn etwas runterfällt. Das ist unangenehm, aber eben auch normal. Es gibt eben kein selektives Hören. Es ist so ähnlich, wie wenn ich jetzt zum Optiker gehe und mich darüber beschwere, dass mit der neuen Brille in der Bild-Zeitung so ein Haufen Mist steht. Aber genau das tut der Schwerhörige. Der möchte gern ein selektives Hören haben, möchte auf der einen Seite völlig schön und natürlich hören auf der anderen Seite nur Sprache verstehen und keinen Lärm hören.
Isabelle Arnold: Warum kann man Geräusche nicht mehr so gut filtern?
Jochen Wied: Im Prinzip ist es so: Das Hirn reagiert auf unbekannte Geräusche. Beim Hören wird gefiltert und die Entscheidung getroffen: Wichtig oder unwichtig.
Wir lernen, eine Vielzahl an Geräuschen und Wahrnehmungen auszublenden. Dieses Verhalten muss wieder gelernt werden. Wir brauchen ungefähr 20 Prozent der Zeit, in der wir verlernt haben, zu filtern, also schlecht gehört haben, um es wieder zu erlernen. Die meisten Kunden kommen sieben Jahre, nachdem sie zum ersten Mal über ein Hörgerät nachgedacht haben. Das heißt, sie hören mindestens 15 Jahre schon schlecht. Das bedeutet: Ich habe drei Jahre Eingewöhnungszeit. Der Kunde kommt und denkt: Jetzt gebe ich viel Geld aus, jetzt kriegt er 3.000 Euro von mir dann muss das am ersten Tag funktionieren. Das geht nicht. Es braucht viel Zeit und Ruhe. Er muss sich vorher realistisch sagen lassen, dass das kein Hopplahopprozess ist.
Isabelle Arnold: Thema Vorsorge: Wann sollte man einen Hörtest machen?
Jochen Wied: Alle fünf Jahre, ab 50 alle fünf, ab 60 einmal im Jahr. Es ist kostenlos und dauert keine zehn Minuten. Das ist ruckzuck gemacht und man hat den Status. Vor allem kann man dann auch rechtzeitig etwas tun. Die Leute kommen mit mittel- bis hochgradigen Hörverlust zum ersten Mal zu uns. Die werde ich nie wieder dahin bekommen, ein halbwegs vernünftiges realistisches Hören bekommen.
Isabelle Arnold: Das heißt keine Angst vor dem Hörgerät, sondern vor dem Zuspätkommen?
Jochen Wied: Darum geht es in erster Linie: Die Informationen dem Hirn weiter zu lassen. Wenn das Hören schlechter wird, was solls, dann drehen wir halt das Hörgerät lauter. Wenn aber die Signalverarbeitung im Hirn schlechter wird, dann haben wir ein Problem, denn schlechter hören fördert auch Demenz und damit haben wir sehr häufig zu tun.
Isabelle Arnold: Warum sind Hörgeräte immer noch verpönt?
Jochen Wied: Weil man bei dem Thema an alte glatzköpfige Männer mit riesigen beigen Hörgeräten am Ohr denkt. Quatsch, denn die Hörgeräte heute sind so klein und unauffällig, die sieht man nicht, oder meistens nur noch ein dünnes Kabel.
Isabelle Arnold: Was ist ihr Fazit: Ein Hörgerät muss nicht angenehm, sondern realistisch sein?
Jochen Wied: Genau, das darf ruhig weh tun. Wenn ich zu sehr vom Klang verwöhnt werde, ist das nicht optimal. Es bringt einen nicht voran. Natürlich freut man sich am Anfang, dass das Gerät angenehm klingt. Ich verstehe alles ein bisschen besser und damit ist es getan. Aber nach einem halben Jahr liegt es in der Schublade und wird nicht mehr genutzt.
Die Geräte taugen alle schon was, sie sind oftmals einfach nicht richtig eingestellt und der Kunde war nicht genug motiviert. Es funktioniert nur mit sehr sehr viel Arbeit, aber dann hört es sich gut an.
Isabelle Arnold
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