Susanne Dengel von der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung Trossingen über die Nachwuchsgewinnung und -qualifizierung im Ehrenamt
Das Chorwesen lebt vom ehrenamtlichen Engagement: Ehrenamtliche organisieren Proben und Konzerte, kümmern sich um die Einhaltung von Rechtsvorschriften und werben Fördermittel ein. Sie zeichnen sich für die interne und externe Kommunikation verantwortlich und motivieren andere Mitglieder. Die Anforderungen an das Know-how von Ehrenamtlichen sind in der Vergangenheit gewachsen.
Gleichzeitig haben viele Vereine Schwierigkeiten, einen freiwerdenden Posten wieder zu besetzen, so dass immer wieder Vereine ihre Aktivitäten beenden und sich auflösen. Das hat unterschiedliche Ursachen, eine besondere Rolle spielen jedoch die hohe Einbindung junger Menschen in Schule und Universität sowie auch die wachsende Mobilität (Picot 2012).
Wir als Bundesakademie setzen uns dafür ein, dass Vereine sich frühzeitig mit verschiedenen Strategien der Nachwuchsgewinnung beschäftigen. Im Folgenden werden dazu erste Anregungen gegeben.
Erwartungen an den Vorstand klären
Welche Eigenschaften und Kompetenzen sollte jemand mitbringen, der den Vorsitz in unserem Verein übernimmt? Wo wollen wir mit unserem Verein hin? Die Antworten auf diese Fragen können recht individuell ausfallen. Zwar muss der oder die Vorsitzende nicht alles können, schließlich wird seine Arbeit durch andere Teammitglieder ergänzt, aber klar ist: Vorstandsarbeit ist eine Führungsaufgabe und mit der Besetzung sollte auch eine Strategie verbunden sein. Es geht also zunächst darum, die Erwartungen an den Vorstand zu klären und in einem Anforderungsprofil zusammenzufassen. Ebenso wichtig ist es, transparent zu machen, was an der Übernahme eines Amtes attraktiv ist. Hier empfiehlt es sich, die Motive für ehrenamtliches Engagement zu betrachten. Der „Freiwilligensurvey“ ermittelt alle fünf Jahre das ehrenamtliche Engagement in Deutschland und bietet dadurch Orientierung. Nach dem „Freiwilligensurvey 2014“ übernehmen 80 Prozent der befragten Ehrenamtlichen aus allen Bereichen Verantwortung im Ehrenamt, weil es ihnen Spaß macht. Daneben spielen weitere Motive eine wichtige Rolle: Es geht um das Zusammenkommen mit anderen (ca. 60%) und den Kontakt zu anderen Generationen (ca. 61%). Der Wunsch, die Gesellschaft mitzugestalten, ist ebenfalls für viele ein Antrieb (ca. 57%). Einigen geht es darum, Qualifikationen zu erwerben (ca. 34%), deutlich weniger möchten an Ansehen und Einfluss gewinnen (ca. 15%) (Freiwilligensurvey 2016, S. 418f.). In einer Stellenbeschreibung lassen sich das Anforderungsprofil und der zu erwartende Gegenwert für das Engagement transparent machen. Hier sollte auch der zeitliche Umfang des Ehrenamts und die Amtszeit angegeben werden. Kürzere Amtszeiten können attraktiv wirken.
Moderne Modelle der Vorstandsarbeit
Teamarbeit im Ehrenamt ist noch keine Selbstverständlichkeit. So machen wir als Bundesakademie im Kontakt mit den Vereinen die Erfahrung, dass viele Vorsitzende alle anfallenden Aufgaben auf sich konzentrieren und höchstens die anderen Mitglieder des Vorstands einbinden. Die Zukunft liegt jedoch unserer Überzeugung nach in einer stärkeren Arbeitsteilung. Diese lässt sich beispielsweise durch ein effektives Projektmanagement realisieren. Als Folge werden Einzelne entlastet und die Übernahme von Verantwortung im Ehrenamt wird attraktiver. Wer ein ganzes Team von Unterstützern um sich weiß, traut sich eher, eine Aufgabe oder gar ein Amt zu übernehmen. Dies gilt umso mehr für Jugendliche und junge Erwachsene. Die Vereine sollten auch kritisch prüfen, inwieweit sie einzelne gesellschaftliche Gruppen bislang weniger in Betracht gezogen haben als andere. Nach dem „Freiwilligensurvey“ sind insbesondere Jugendliche mit niedrigem Bildungsgrad im ehrenamtlichen Engagement unterrepräsentiert (Freiwilligensurvey, S. 116). Forscher vermuten, dass diese Jugendlichen seltener gezielt angesprochen und für die Übernahme eines ehrenamtlichen Postens motiviert werden (Picot 2012, S. 174). Neben der Teamarbeit bringen auch flachere Hierarchien mehr Bewegung und Wandel in die Ämterverteilung. Insgesamt sind Offenheit und die Bereitschaft zur Veränderung gefragt: Für Vereine mit sinkenden Mitgliederzahlen kann auch die Fusion mit einem anderen Verein ein Thema sein.
Die Kandidatensuche
Die Ansprache möglicher Kandidaten beginnt. Hier lohnt es sich, auch außerhalb des Vereins nach Interessierten zu schauen. Die Stellenbeschreibung sollte dabei stets offengelegt werden. Insgesamt ist es wichtig, aufrichtig zu sein – dies verhindert späteren Frust auf beiden Seiten. Ist die oder der Richtige gefunden, bleibt noch einiges zu tun. So ist eine Einarbeitungszeit wichtig, in der auf die individuellen Bedürfnisse des neuen Vorstands eingegangen wird. Schließlich ist auch die Anerkennungskultur im Verein zu reflektieren. Was Menschen als Anerkennung empfinden, ist sehr verschieden. Für die allermeisten steht jedoch ein „Danke-schön“ oder ein Lob für eine konkrete Leistung ganz oben, während offizielle Empfänge durch Kommunen oder Träger eine deutlich geringere Rolle in der erhofften Anerkennung spielen. Kleine, aber dafür persönlich ausgewählte Geschenke sind für viele Ehrenamtliche ebenfalls eine willkommene Geste (Röbke 2014, S. 2).
Bedeutung der Qualifizierung wächst
Im ehrenamtlichen Bereich wächst die Bedeutung von Qualifizierung und Weiterbildung. Die Bundesakademie nimmt sich dieser Aufgabe an, wirkt als Impulsgeber in Verbände und Vereine hinein und benennt Best Practice-Beispiele. Im letzten Jahr veranstalteten wir ein „Netzwerktreffen zum ehrenamtlichen Engagement in der Musik“, an dem rund 60 Verbands- und VereinsvertreterInnen aus dem ganzen Bundesgebiet teilnahmen. Vertreten waren auch ReferentInnen aus dem nicht-musikalischen Bereich, da wir überzeugt sind, dass Musikvereine auch aus den Erfahrungen anderer Engagementbereiche lernen können. Bei einer Talkrunde über die Zukunft des Engagements waren die TeilnehmerInnen sich einig, dass es aktuell ein Nachwuchsproblem in vielen Vereinen gibt und diskutierten mögliche Lösungsansätze. Als besonders fruchtbar erwies sich der bundesweite Austausch zwischen den Vereinen, bei dem die TeilnehmerInnen auch ihre Erwartungen an ein Weiterbildungsangebot anmeldeten. Auf Basis dieser Rückmeldungen haben wir Weiterbildungsangebote für Vereins-und VerbandsvertreterInnen entwickelt.
„Vereinspiloten“ werden fortgesetzt
Die viertägige Weiterbildung zu „Vereinspiloten“ fand bereits im Herbst des letzten Jahres statt und richtete sich in erster Linie an aktuelle und angehende Vereinsvorstände. Sie bot einen Überblick über alle Fragen des modernen Vereinsmanagements. Neben dem Nachwuchsthema ging es auch um Vereins- und Veranstaltungsrecht, Projektmanagement, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising. Das Angebot stieß auf enormes Interesse. Insgesamt gingen rund 200 Bewerbungen bei uns ein – 50 Vereinsvertretern aus zehn Bundesländern konnten wir eine Teilnahme ermöglichen. Die Motivationsschreiben der Teilnehmer, um die wir bei der Anmeldung gebeten hatten, belegen den Problemdruck bei den Vereinen, aber auch das Interesse an Qualifizierungsmaßnahmen dieser Art. Im Anschluss an die Weiterbildung erhielten die Teil-nehmern zudem ein digitales Lernvideo und einen Formularleit-faden mit häufig benötigten Rechtstexten. Insgesamt bestärkt uns die gute Resonanz auf die Veranstaltung, das Format fortzusetzen und mit der Veranstaltung in diesem Herbst in die zweite Runde zu gehen. Termin ist der 23. bis 26. Oktober 2017.
Verbandspiloten bietet bundesweite Austauschplattform
In diesem Jahr richtet sich die Bundesakademie außerdem an die Verbände. Am Wochenende des 7. bis 9. Juli 2017 treffen sich in Trossingen Vorsitzende und Mitarbeiter von vokalen und instrumentalen Amateurmusikverbänden zur Weiterbildung zu VerbandspilotInnen. Zentrale Themen des Wochenendseminars sind das Verhältnis von Haupt- und Ehrenamt, Strategien der Nachwuchsgewinnung, Kommunikationsführung und Beratung, Moderation von Sitzungen und Social Media Marketing. Vorgesehen sind interaktive Formate, die einen intensiven Austausch ermöglichen. Im Rahmen eines Verbandscafés stellen sich Verbände aus dem ganzen Bundesgebiet vor. Bei Talkrunden sind die Teilnehmer eingeladen, sich aktiv einzubringen. Durch die Förderung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ist die Teilnahme an der Weiterbildung inklusive Übernachtung und Verpflegung kostenfrei. Es wird eine Verwaltungspauschale von 25 Euro erhoben. Anmeldungen nehmen wir über unsere Homepage entgegen.
Anerkennung der Bedeutung des Ehrenamts
Musikvereine und Chöre leisten einen Beitrag zur Demokratiestärkung in unserer Gesellschaft. Sie erhöhen gerade im ländlichen Raum die Lebensqualität und wirken sich dementsprechend hemmend auf Abwanderungsbewegungen aus. Als Bundesakademie machen wir die Erfahrung, dass das Bewusstsein um die gesellschaftliche Bedeutung noch nicht ausreichend besteht. Auch hier können wir von anderen Engagementbereichen wie dem Umweltschutz und dem sozialen Bereich lernen, die selbstverständlicher auf ihren Beitrag zum Gemeinwohl hinweisen. Vor diesem Hintergrund wird es zukünftig noch wichtiger sein, die Sichtbarkeit des ehrenamtlichen Engagements in der Musik zu erhöhen. Im letzten Jahr haben wir daher beim Landesfilmdienst einen Film mit dem Titel „Ehrenamt bewegt“ in Auftrag gegeben. Hier werden drei Vereine aus dem Bundesgebiet vorgestellt, darunter auch ein Chor aus Baden-Württemberg. Der Film zeigt die Leistung von Vereinen auf und soll so zur Übernahme von ehrenamtlichen Aufgaben motivieren. Die Vereine sind eingeladen, den Film bei ihrer Nachwuchsarbeit einzusetzen.
Susanne Dengel
Literatur:
Müller, D., Hameister, N. & Lux, K. (2016): „Anstoß und Motive für das freiwillige Engagement“. In: Simonson, J., Vogel, C. & Tesch-
Römer, C. (Hrsg.): „Freiwilliges Engagement in Deutschland. Der Deutsche Freiwilligensurvey 2014“ (S. 407-426)
Picot, S. (2012): „Jugend in der Zivilgesellschaft. Freiwilliges Engagement Jugendlicher im Wandel“. Bertelsmann Stiftung, Gütersloh
Röbke, T. (2014): „Anerkennungskultur – Ein Blick zurück nach vorn“. Online verfügbar unter: http://www.lbe.bayern.de/imperia/md/content/stmas/lbe/pdf/anerkennungskultur_roebke_2014.pdf
Vogel, C., Hagen, C., Simonson, J. & Tesch-Römer, C. (2016): „Freiwilliges Engagement und öffentliche gemeinschaftliche Aktivität“. In: Simonson, J., Vogel., C. & Tesch-Römer, C. (Hrsg.): „Freiwilliges Engagement in Deutschland. Der Deutsche Freiwilligensurvey 2014“ (S. 85-148)